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KINDER/402: Frühkindliche Sehschwäche - Amblyopie-Screening als Vorsorgeleistung gefordert (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2014

Frühkindliche Sehschwäche
Amblyopie-Screening als Vorsorgeleistung gefordert

Von Anne Mey



U7a beim Kinderarzt zeigt keinen Effekt auf Früherkennung von Sehschwächen. Krankenkassen verweisen auf nicht evidenzbasierte Studienlage.


Wenn im August die Erstklässler in Schleswig-Holstein vor der Tafel sitzen, haben sechs bis sieben Prozent von ihnen Schwierigkeiten, die Buchstaben und Zahlen abzuschreiben. Nicht, weil es ihnen an der nötigen Fingerfertigkeit fehlt, sondern weil sie eine Sehschwäche haben, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht oder erst kurz zuvor bei der Schuleingangsuntersuchung erkannt worden ist.

Sie leiden unter Amblyopie, einer Schwachsichtigkeit, die auf einer unzureichenden Entwicklung der Sehleistung im frühkindlichen Alter beruht. Die Möglichkeit zur Behandlung ist zwar im Alter der Einschulung noch gegeben, "der optimale Zeitpunkt zum Therapieeinstieg ist allerdings dann schon verpasst", meint Dr. Bernhard Bambas, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Augenärzte (BVA). "Damit nachhaltige Veränderungen noch möglich sind, müsste eine Therapie bereits im Alter von zwei bis drei Jahren beginnen." In diesem Alter wird eine Sehstörung allerdings sehr selten erkannt. Aus diesem Grund kämpft Bambas gemeinsam mit dem Verband der Kinderärzte schon seit Jahren dafür, dass eine augenärztliche Untersuchung im ersten Lebensjahr im Vorsorgekatalog festgeschrieben wird. Er erhofft sich im Zuge der für 2015 geplanten Zusatzbeiträge der Krankenkassen neuen Schub für seine Forderungen. Die Kassen müssten dann für die zusätzlichen Beiträge auch etwas bieten. Eine augenärztliche Vorsorgeleistung für die kleinsten Mitglieder würde sich laut Bambas auch gut in der Marketingstrategie der Kassen machen. Doch eine bundeseinheitliche Lösung ist bisher nicht in Sicht, nachdem der BVA im gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) im Jahr 2008 nach gut zehnjährigen Bemühungen gescheitert ist. Statt einer Vorsorgeuntersuchung bei den Augenärzten wurde damals mit der U7a eine zusätzliche Untersuchung bei den Kinderärzten in den Vorsorgekatalog integriert. Die mangelnde Studienlage wurde als Grund dafür genannt. Dieses Argument greift auch die Techniker Krankenkasse (TK) auf ihrer Homepage auf, wo sie darauf verweist, "dass weder die Wirkungen noch die unerwünschten Wirkungen eines routinemäßigen Sehtests, der zusätzlich zu den bestehenden Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt wird, bislang abschätzbar sind". Die Krankenkasse bezieht sich auf Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und stellt auch den Nutzen einer frühen Amblyopie-Behandlung aufgrund der aktuellen Studienlage infrage, da aus der bisherigen Forschung kein ideales Behandlungsalter für Amblyopien abgeleitet werden könne.

Dennoch bezahlt die TK in Westfalen seit diesem Jahr, genau wie die dort ansässige DAK, das Amblyopie-Screening für alle Kinder zwischen dem 31. und 42. Lebensmonat sowie auch eine Untersuchung im ersten Lebensjahr für Risikokinder. In einer entsprechenden Pressemitteilung der DAK betont der zweite Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Gerhard Nordmann, die Relevanz der Früherkennung: "Wenn die im frühen Kindesalter entstehende Amblyopie nicht rechtzeitig erkannt wird, können die Augen in den Folgejahren oft keine optimale Sehfähigkeit mehr erlernen." Doch auf Bundesebene hat nur die Knappschaft ihr Vorsorgeangebot für die dreijährigen Mitglieder mit der Untersuchung, die mit 40 Euro honoriert wird, ausgebaut. Daneben gibt es mit weiteren Kassen (u.a. AOK, BKK) verschiedene Verträge auf Landesebene. In Schleswig-Holstein gibt es abgesehen von der Knappschaft keine weiteren Verträge. Die TK Schleswig-Holstein wollte sich auf Anfrage zu dem Thema nicht äußern.

Zur Untersuchung U7a, die statt des geforderten Screenings eingeführt wurde, gehört beim Kinderarzt ein Sehtest, bei dem sowohl beide Augen einzeln in ihrer Sehkraft und auch das räumliche Sehen geprüft werden. "Nach meiner Erfahrung werden die Untersuchungen sehr sorgfältig durchgeführt. Aber neben den beiden Prüfungen wären noch weitere Tests erforderlich, die nicht Bestandteil der Vorsorge sind und daher nur sporadisch durchgeführt werden können", sagt Dehtleff Banthien, Landesverbandsvorsitzender der Kinder- und Jugendärzte. "Falls es in der Praxis nicht zu verwertbaren Ergebnissen kommt, erfolgt eine Überweisung zum Augenarzt", so Banthien. Doch in den augenärztlichen Praxen kommen nicht mehr Kinder mit Auffälligkeiten an als vor der Einführung der U7a: "Die Quote der Kinder in dem Alter hat sich bei den Augenärzten nicht verändert. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass diese Maßnahme keine Wirkung zeigt", so Bambas. Alle Bestandteile der Funktionsprüfung der Augen auf Amblyopie seien anspruchsvoll und selbst für den Augenarzt oder die Orthoptistin seien Schielwinkel von wenigen Graden schwer zu erkennen und erforderten sehr viel Übung.

Zwei Merkmale können ursächlich für die Amblyopie bei Kindern sein: Zum einen ist es das Schielen. Wenn die Fehlstellung massiv auftritt, fällt sie kosmetisch auch dem Laien auf. Liegt der Schielwinkel aber unter fünf Grad (Mikroschielen), bleibt es meist unentdeckt und das betroffene Auge entwickelt unter Umständen nur eine Sehleistung von fünf bis zehn Prozent. Zum anderen sind starke Unterschiede zwischen den beiden Augen problematisch. Ist ein Auge beispielsweise stark weitsichtig, das andere Auge aber normal entwickelt, fällt das im Alltag nicht auf. Solche Fälle werden oft erst im Schulalter entdeckt. Daher ist eine Untersuchung so früh wie möglich angezeigt, meinen Bambas und Banthien. Kinder mit genetischer Vorbelastung sollten am besten schon im Alter von sechs bis zwölf Monaten in einer Augenarztpraxis vorstellig werden. Dazu zählen kleine Patienten, deren Geschwisterkinder bereits eine Brille tragen oder deren Eltern schielen. Die Untersuchung laufe ähnlich ab wie bei einem älteren Kind. Es wird überprüft, ob eine Fixation aufgenommen wird, der Hornhautreflex wird untersucht und auch Sehschärfenprüfungen sind in dem Alter schon möglich. Mit dem "Preferential Looking System" kann anhand der Augenbewegungen erkannt werden, ob das Kind konturierte Objekte auf einem unkonturierten Hintergrund erkennen kann.

Bambas sucht nicht nur das Gespräch mit den Krankenkassen, er bemüht sich auch um mehr Aufmerksamkeit für das Thema in der Bevölkerung. Insgesamt sei die Augenvorsorge heute zwar präsenter als vor zehn oder zwanzig Jahren, dennoch müsse noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Am wirksamsten ist es nach Ansicht von Bambas, "wenn Eltern auf die Kassen zugehen und die Zahlung der Vorsorgeleistung selbst einfordern."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201405/h14054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mit dem Amblyopie-Screening können Sehschwächen bereits im Alter von sechs bis zwölf Monaten erkannt und anschließend behandelt werden.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Mai 2014
67. Jahrgang, Seite 24 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2014