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INNERE/1322: Immer mehr Menschen mit inneren Erkrankungen erhalten Psychopharmaka (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Montag, 3. März 2014

Bedenklich, aber oft notwendig: Häufige Verordnung von Psychopharmaka



fzm, Stuttgart, März 2014 - Immer mehr Menschen mit inneren Erkrankungen erhalten Psychopharmaka, obwohl die meisten keine psychische Erkrankung haben. Auf der internistischen Abteilung einer Universitätsklinik wird mehr als jedem sechsten Patienten ein Mittel gegen Depressionen, Psychosen oder Schlafstörungen verordnet. In der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2014) erläutert der Klinikleiter die Gründe.

Bei gut 17 Prozent der Patienten, die im Jahr 2010 an der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Jena behandelt wurden, empfahlen die Ärzte im Entlassungsbrief ein oder mehrere Psychopharmaka. Das mag viel erscheinen, schreibt Klinikleiter Professor Gunter Wolf, zumal weniger als jeder zweite der Patienten eine psychiatrische Erkrankung hatte und nur jeder siebte in der Klinik von einem Psychiater untersucht wurde. Doch die Zahl der internistischen Erkrankungen, in denen Psychopharmaka zum Einsatz kommen, ist laut Professor Wolf in den letzten Jahren gestiegen.

So werden Antidepressiva heute auch zur Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt. Viele Rheumapatienten oder Diabetiker erhalten den älteren Wirkstoff Amitriptylin. Es gehört zu den sogenannten trizyklischen Antidepressiva, die zur Behandlung von Depressionen nur noch selten eingesetzt werden. Bei chronischen Schmerzen, etwa beim diabetischen Fuß, erzielt Amitriptylin jedoch eine gute Wirkung. Auch bei der Fibromyalgie, einem Schmerzsyndrom unklarer Ursache, werden Antidepressiva eingesetzt, ebenso bei Angst- und Zwangserkrankungen oder Essstörungen, die bei den zumeist älteren Patienten auf internistischen Stationen häufig sind.

Mit Antipsychotika, die zur Behandlung der Schizophrenie entwickelt wurden, behandeln Internisten, so Professor Wolf, heute Verhaltensauffälligkeiten von Demenzpatienten. Auch Angstzustände und Schlafstörungen sprechen auf Wirkstoffe wie Quetiapin, Pipamperon oder Risperidon gut an, schreibt der Experte. Die Dosierungen liegen dabei unterhalb der sogenannten neuroleptischen Schwelle, die benötigt wird, um Patienten mit Schizophrenie von Halluzinationen oder Wahnvorstellungen zu befreien. Bei den niedrigen Dosierungen wirken Antipsychotika eher als Beruhigungsmittel, berichtet Professor Wolf, der den Einsatz der eigentlichen Beruhigungs- und Schlafmittel eher kritisch betrachtet.

Die zu diesem Zweck entwickelten Benzodiazepine wurden an der Jenaer Klinik etwa zehn Prozent der mit Psychopharmaka behandelten Patienten verordnet. Für Professor Wolf ist dies "verbesserungswürdig". Benzodiazepine haben ein sehr hohes Suchtpotenzial, schreibt der Experte. Bei den zumeist älteren Patienten würden sie zudem das Sturzrisiko erheblich erhöhen. Eine Weiterentwicklung der Benzodiazepine, die sogenannten "Z-Drugs" hätten zwar ein niedrigeres Abhängigkeitspotenzial als die älteren Mittel, erklärt Professor Wolf, auszuschließen sei es jedoch nicht. In der Kurztherapie sei der Nutzen der Z-Drugs erwiesen, eine langfristige Anwendung, wie sie heute gängige Praxis sei, sieht der Experte jedoch kritisch. Er bemängelt, dass nur bei wenigen der Patienten ein Psychiater für die Verordnung hinzugezogen wurde.

Ein Nachteil vieler Psychopharmaka sind aus Sicht von Professor Wolf die ungünstigen Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Viele trizyklische Antidepressiva führen zur Gewichtszunahme und zu einer Verschlechterung von Blutzucker und Blutfetten. Professor Wolf rät hier die neueren Antidepressiva zu verordnen, vor allem bei Menschen, die bereits unter einem Typ 2-Diabetes leiden.


G. Wolf et al.:
Therapie mit Psychopharmaka bei internistischen Patienten einer Universitätsklinik
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (9); S.417-422

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Quelle:
FZMedNews - Montag, 3. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2014