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RADIOLOGIE/321: Einstellung des Mammographiescreenings gefordert (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 766-767 / 32. Jahrgang, 6. Dezember 2018 - ISSN 0931-4288

Medizinische Strahlenbelastung
Einstellung des Mammographiescreenings gefordert

Von Inge Schmitz-Feuerhake,[1] Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.


Am 24. Oktober 2018 hatte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit einen "Referentenentwurf einer Verordnung über die Zulässigkeit der Anwendung ionisierender Strahlung und radioaktiver Stoffe am Menschen zur Früherkennung nicht übertragbarer Krankheiten" (Früherkennungsverordnung) vorgelegt und die Fachverbände bis zum 12. November 2018 zur Stellungnahme aufgerufen. Die Vizepräsidentin der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V., Frau Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, übermittelte aus diesem Anlass die Forderung der Gesellschaft, das Mammographiescreening zur Früherkennung von Brustkrebs bei Frauen einzustellen. Denn die Sterblichkeit an Brustkrebs wurde damit nicht gesenkt und die offiziellen Angaben zum Strahlenrisiko gehen von falschen Referenzwerten aus und ignorieren strahlenbiologische Fakten.

Strahlentelex dokumentiert nachfolgend die Stellungnahme der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.


Die Gesellschaft für Strahlenschutz lehnt den Einsatz von Röntgen- oder radioaktiver Strahlung - und damit einer ihrerseits kanzerogenen Methode - als Massenscreening zur Früherkennung grundsätzlich ab.

Sie fordert deshalb die Einstellung des derzeit einzig zugelassenen Verfahrens zur Brustkrebsfrüherkennung.

Das Strahlenrisiko beim Mammographiescreening wird von der Strahlenschutzkommission mit der Behauptung gerechtfertigt, dass es bei den gegebenen Standards vernachlässigbar sei. Vom Bundesamt für Strahlenschutz wird es als "nicht der bestimmende Faktor" bei der Evaluierung vom Nutzen im Vergleich zu Aufwand und Nebenwirkungen gesehen.

Es gibt zwei Gründe, warum diese Standpunkte nicht geteilt werden können, die im Folgenden dargelegt werden.


I Der Nachweis, dass das Mammographiescreening die Brustkrebssterblichkeit in Deutschland senkt, ist bislang ausgeblieben.

Die Strahlenschutzkommission hat im Jahr 2008 die strahleninduzierte Erkrankungsrate an Brustkrebs durch das Mammographieprogramm (ab Alter 50 Jahre) zu 0,1-0,01 % beziffert. Eine neue Studie von Ali et al. (2018), die verschiedene nationale Screening-Programme verglichen haben, kommt für Deutschland auf eine zusätzliche Erkrankungsrate von 7 Fällen auf 100.000 Teilnehmerinnen. Das entspricht 0,007 %.

Das deutsche Screeningprogramm wurde 2005 begonnen mit der Behauptung, die Brustkrebsmortalität bei Frauen könne dadurch um 30 % gesenkt werden. Die Inzidenz von Brustkrebs ist seitdem ständig weiter angestiegen. Die Mortalität zeigte bereits vorher eine leicht abfallende Tendenz und letztere wird 2013/2014 zu 1,2 % pro Jahr angegeben. Diese Abnahme wird auf verbesserte Therapie zurückgeführt. Eine Kernaussage im Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016 vom RKI in Berlin (Gesamtkrebsregister) ist:

"Die Sterblichkeit an Brustkrebs ist bereits seit Anfang der 1990er Jahre rückläufig. Ein Einfluss des Screenings auf die Sterblichkeit an Brustkrebs ist erst für die kommenden Jahre zu erwarten."

Wenn sich aber bisher gar keine Sterblichkeitssenkung andeutet, dann ist die Induktion von Brustkrebs bei Frauen, die ohne Screening gar nicht erkranken würden, auch bei geringer Fallzahl ethisch nicht vertretbar, auch wenn man im Denksystem der Befürworter verharrt.

Eine bekannte Tatsache, die auf jeden Fall beachtet werden müsste, ist, dass sich innerhalb des Screeningkollektivs eine Untergruppe von Frauen mit nachweisbarer genetischer Disposition zur Brustkrebsentwicklung befindet. Ihr Anteil in der weiblichen Bevölkerung beträgt nach DKFZ (2018) etwa 5-10 %. Bei ihnen ist nach Erkenntnissen der molekulargenetischen Forschung eine extrem gesteigerte Strahlenempfindlichkeit anzunehmen. Etwa 70 % von ihnen erkranken im Laufe ihres Lebens tatsächlich an Brustkrebs. Bei Strahlenexposition durch Screening muss man mit 100 %-iger Erkrankung rechnen, da diesen Frauen zu intensiveren Früherkennungsmaßnahmen geraten wird. Damit wären 30 % von ihnen, also 1,5-3 % der gescreenten Frauen betroffen und die zusätzliche Neuerkrankungsrate beträgt 1.500-3.000 Fälle auf 100.000 Teilnehmerinnen.

Daher muss seriöser als bisher der Frage nachgegangen werden, ob nicht der gleichzeitige Anstieg der Inzidenz die Sterblichkeitssenkung verhindert und möglicherweise mit der Methode selbst zusammenhängt.


II Die offiziellen Strahlenrisikoangaben für das Mammographiescreening gehen von ungeeigneten Referenzwerten aus und vernachlässigen strahlenbiologische Fakten.

Die offiziellen Angaben zur strahleninduzierten Induktionsrate von Brustkrebs durch das Massenscreening sind Abschätzungen, die auf Grund anzunehmender Dosiswerte für die Brust und Referenzwerte für den Dosiswirkungszusammenhang berechnet werden. Dabei werden Vereinfachungen vorgenommen und verschiedene strahlenbiologische Unterschiede zum Fall der Mammographietechnik nicht beachtet. Daher muss man von einer weiteren erheblichen Unterschätzung des Risikos ausgehen.

a) SSK und BfS gehen von einer Dicke der komprimierten Brust von 4 cm aus und einer Brustdosis von 4 mGy (2 Aufnahmen) pro Untersuchung. Ali et al. nehmen in kraniokaudaler Position 5,3 cm Brustdicke an und mediolateral 5,8 cm. Als Dosis erhalten sie 2 mGy pro Untersuchung. Frauen in Deutschland haben aber häufig eine dickere Brust. Nach einer Untersuchung von Schneider (1992) sind weniger als 25 % der Mammae auf 4 cm komprimierbar,der Mittelwert liegt bei 5,3 cm. Bei 2 cm größerer Dicke steigt die Dosis um den Faktor 2,2. Jede 10. Aufnahme muss schätzungsweise wiederholt werden.

b) Die SSK bezieht sich bezüglich des Dosiswirkungszusammenhang ausschließlich auf die japanischen Atombombenüberlebenden, bei denen sich früher ein sehr starker Rückgang der Brustkrebsmortalität in der Altersgruppe der Frauen ab 50 Jahre gezeigt hatte. BFS und Ali et al. berufen sich auf BEIR VII von 2006, in dem diese Gruppe ebenfalls eine große Rolle spielt. Ostasiatinnen haben aber durchschnittlich einen zierlicheren Körperbau als Europäerinnen und verfügen über sehr viel weniger Brustgewebe. Entsprechend lag die Brustkrebsinzidenz von Ostasiatinnen im Jahr 2012 nur etwa bei 25 Fällen pro 100.000 gegenüber 120 Fällen in Deutschland, also nur bei 29 % der deutschen Rate (Angaben aus RKI 2016). Wegen der sehr unterschiedlichen Inzidenzen auch innerhalb Europas kann man daher weder das relative noch das absolute Risiko von den Atombombenüberlebenden sinnvoll auf die deutsche Situation übertragen. Neuere Daten aus dem Berufsmilieu, aus Weissrussland und der Ukraine nach Tschernobyl, nach Röntgendiagnostik und von weiblichem Flugpersonal bestätigen, dass das Strahlenrisiko der Brust sehr viel höher anzusetzen ist.

c) Die Strahlungsenergie beim Mammographiescreening beträgt ≤30 keV und ist daher vergleichsweise extrem niedrig. Bei den Atombombenexplosionen lagen die Strahlungsenergien hingegen extrem hoch, hauptsächlich im Bereich 0,8 bis 1 MeV. Während nach ICRP alle Röntgen- und Gammastrahlen mit dem Strahlungswichtungsfaktor 1 versehen werden, ist die Relative Biologische Wirksamkeit RBE für stochastische Schäden jedoch umso höher, desto weicher die Strahlung ist. Der Unterschied macht etwa einen Faktor 8 aus. Dieser müsste beim Bezug auf die Atombombenüberlebenden auf die Risikozahlen angewendet werden, bei anderen Vergleichskollektiven ist ein Faktor 2-4 anzusetzen.

d) Auf den Beitrag der Frauen mit genetischer Disposition zur Neuinduktionsrate haben wir bereits hingewiesen.


1) Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, ingesf@uni-bremen.de


Literatur

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weitere Informationen zum Strahlentelex siehe:
www.strahlentelex.de

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, November 2018, Seite 1 - 2
Herausgeber und Verlag:
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2019

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