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GENETIK/373: Sichelzellkrankheit - Eine importierte Erbkrankheit (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Mittwoch, 27. Mai 2009

Sichelzellkrankheit: Eine importierte Erbkrankheit


fzm - Globalisierung und Migration führen dazu, dass auch in Deutschland Erbkrankheiten auftreten, die es vorher hier nicht gab. Dazu gehört die Sichelzellkrankheit, deren Behandlung Ärzte vor besondere Herausforderungen stellt, wie Experten in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2009) berichten.

Etwa 1000 bis 1500 Menschen leiden in Deutschland an einer Sichelzellkrankheit, schätzen Dr. Roswitha Dickerhoff von Universität Bonn und ihre Mitautoren. Insgesamt 588 Patienten wurden seit 1987 in einem Krankenregister erfasst. Die Menschen kommen zumeist aus dem Mittelmeerraum oder aus Afrika. Verbreitet ist die Erkrankung überall dort, wo die Malaria heimisch ist - Sichelzellkranke sind gegen die Tropenerkrankung resistent.

Der Sichelzellkrankheit liegen unterschiedliche Defekte im Gen für den roten Blutfarbstoff Hämoglobin zugrunde. Bei Sauerstoffmangel verklumpt das Hämoglobin und die roten Blutkörperchen nehmen eine Sichelform an, die der Krankheit den Namen gegeben hat. Die Patienten leiden jedoch keineswegs nur unter einer Blutarmut. Jedes Organ kann betroffen sein, erläutern die Experten für Blutkrankheiten. Besonders häufig betroffen sind die Knochen. Hier kommt es zu sogenannten Schmerzkrisen: Sie entstehen, wenn die Sichelzellen kleine Blutgefäße im Knochenmark verlegen. Es kommt zur Entzündung, zum Einstrom von Flüssigkeit und zur Dehnung der Knochenhaut, was sehr schmerzhaft ist. Dr. Dickerhoff: Patienten mit Sichelzellkrankheit benötigen stärkste Schmerzmittel, in der Regel Opiate. Neben den Schmerzkrisen können die Durchblutungsstörungen bei der Sichelzellkrankheit lebensbedrohliche Komplikationen in den Lungen, im Darm oder im Gehirn einen Schlaganfall auslösen. Aber auch Blutvergiftungen oder eine schmerzhafte Dauerschwellung des Penis können einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen.

Die wiederkehrenden Gefäßverschlüsse greifen auf die Dauer den Knochen an. Dr. Dickerhoff: Jeder zweite Erkrankte erleidet bis zum 35. Lebensjahr eine Hüftkopfnekrose und viele benötigen eine künstliche Hüfte. Aber auch Nieren, Lungen, Herz und Augen werden in Mitleidenschaft gezogen. Die Organschäden mindern nicht nur die Lebensqualität der Patienten. Auch die Lebenserwartung ist eingeschränkt. In den 1970er Jahren starben Menschen mit Sichelzellkrankheit meist im frühen Teenageralter, erinnert Dr. Dickerhoff. Heute beträgt die mittlere Lebenserwartung 40 bis 50 Jahre.

Die Therapie der Sichelzellkrankheit ist schwierig. Bluttransfusionen können bei korrekter Anwendung lebensrettend sein, bei falschem Einsatz aber auch Schaden anrichten, erläutert Dr. Dickerhoff. Viele Patienten erhalten den Wirkstoff Hydroxycarbamid. Er stimuliert die Bildung einer vorgeburtlichen Variante des Hämoglobins, die keine Sichelzellen bildet. Das Medikament hat jedoch schwere Nebenwirkungen. Und es kann Männer während der Zeit der Einnahme unfruchtbar machen.

Die Patienten sollten deshalb nach Möglichkeit von Spezialisten für Blutkrankheiten behandelt werden, am besten mit Unterstützung eines Behandlungszentrums, fordert die Expertin. Die Patienten selbst können lernen, wie sie die Schmerzkrisen verhindern. Dr. Dickerhoff: Sie sollten viel trinken und Kältereize meiden, etwa das Schwimmen in kaltem Wasser. Auch die trockene kühle Luft in Flugzeugen kann Schmerzattacken auslösen.

Eine Heilung ist in seltenen Fällen bei Kindern und Jugendlichen durch eine Stammzelltransplantation möglich. Dabei wird das Knochenmark durch Medikamente und Strahlung zerstört und durch Zellen eines gewebeverträglichen Verwandten neu besiedelt. Derzeit wird laut Dr. Dickerhoff geprüft, ob eine Stammzelltransplantation auch mit den Zellen nichtverwandter Spender möglich ist. Dies würde die Zahl der Patienten, für die eine Heilung möglich ist, deutlich erhöhen.


R. Dickerhoff et al.:
Probleme erwachsener Sichelzellpatienten in Deutschland.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2009; 134 (22): S. 1179-1184


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 27. Mai 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009