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KINDER/366: Frühgeborenenintensivstation - Eine Handvoll Leben (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Mittwoch, 20. Januar 2010

Winzige Patienten - große Herausforderung


fzm - Unglaublich zart wirken sie und so empfindlich, dass man sich kaum traut, sie anzufassen. Doch brauchen gerade extrem früh geborene Kinder oft die Hilfe von Physiotherapeuten. Welche Besonderheiten und Herausforderungen die Arbeit auf einer Frühgeborenenintensivstation mit sich bringt, beschreibt die Physiotherapeutin Alexandra Sinai in der Fachzeitschrift "physiopraxis" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2009)

"Die Arbeit auf der Station ist von einem liebevollen Umgang geprägt", schildert Alexandra Sinai ihre Erfahrungen auf der Frühgeborenenintensivstation des Kinderkrankenhauses auf der Bult in Hannover. Farbenfrohe Namensschilder an den Inkubatoren und kleine Kuscheltiere verbreiten eine beinahe familiäre Atmosphäre. Dennoch sei sofort spürbar, welche Belastungen für die jeweiligen Familien mit der zu frühen Geburt ihres Kindes verbunden sind, sagt Sinai. Gerade extrem früh geborene Kinder, die weniger als 28 Wochen im Mutterleib waren, leiden häufig an gravierenden Gesundheitsstörungen. Oft sind die Lungen noch unreif, der Darm funktioniert nicht richtig, mitunter treten Hirnblutungen oder Infektionen auf.

Die zahlreichen Diagnosen machen die Arbeit mit den Frühgeborenen vielschichtig und bringen für die Therapeuten eine große Verantwortung mit sich. Auch mit der psychischen Belastung der Eltern umzugehen, bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für die tägliche physiotherapeutische Arbeit. Der Allgemeinzustand der kleinen Patienten kann sich schnell verändern. Umso wichtiger ist die Kommunikation zwischen Ärzten, Pflegenden und Therapeuten. "Über mögliche Kontraindikationen muss jeder sofort Bescheid wissen", betont Alexandra Sinai - damit zum Beispiel nicht etwa atemtherapeutische Vibrationen bei einem Kind mit einer Hirnblutung eingesetzt werden.

Die Anregung der Atmung ist einer der Schwerpunkte bei der Arbeit mit Frühgeborenen. Hierfür setzen die Therapeuten unter anderem manuelle Vibrationen ein, die die Lungenbelüftung verbessern und dabei helfen, Sekret zu lösen. Es ist sogar möglich, dass die Kinder während der Behandlung "känguruhen", das heißt sie liegen auf dem Brustkorb der Mutter und genießen den engen Hautkontakt. In dieser Position kann der Therapeut die Atembewegungen der Mutter, ihre Stimme und ihren Herzschlag für die Therapie nutzen.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die Physiotherapeuten auch dem Mund- und Gesichtsbereich der Kinder, der durch notwendige Versorgungs- und Pflegemaßnahmen oft gestresst ist. Durch sanftes "Modellieren" der mimischen Muskulatur sollen mögliche Verkrampfungen gelöst und positive Reize gesetzt werden.

Die Frühchen sind mit der Vielzahl von Reizen, die außerhalb des Mutterleibes plötzlich auf sie einströmen, leicht überfordert. "Im Klinikum auf der Bult hängt deshalb in fast jedem Raum der Frühgeborenenintensivstation ein "sensibles Ohr", berichtet Alexandra Sinai. Wenn es orange oder sogar rot leuchtet, muss jeder im Raum sofort die Lautstärke drosseln. Weil die Kleinen auch von einer noch so sanften Physiotherapie überfordert sein können, müssen die Therapeuten auf feinste Signale des Unwohlseins achten - Weinen natürlich, aber auch Unruhe oder Gähnen. Daneben müssen auch die Werte auf dem Überwachungsmonitor im Auge behalten werden. Denn manchmal brauchen die winzigen Patienten einfach nur Ruhe. Dann ist "Hands-off" angesagt - "Hände weg". Auch das müssen Therapeuten und Eltern oft erst lernen.


A. Sinai:
Eine Handvoll Leben.
physiopraxis 2009; 7 (11/12): S. 55-57


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 20. Januar 2010
Thieme Verlagsgruppe
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2010