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ONKOLOGIE/1008: "Jedem Krebspatienten seine individuelle Therapie" (Marburger UniJournal)


Marburger UniJournal Nr. 32 - April 2009

"Jedem Krebspatienten seine individuelle Therapie"

Von Johannes Scholten


"Wer Krebs hat, stirbt nicht an Metastasen, sondern an Resistenzen gegenüber Medikamenten", sagt der Marburger Onkologe Andreas Neubauer. Zusammen mit Kollegen hat er eine neue Klinische Forschergruppe etabliert, um Gene zu untersuchen, die Tumorzellen unempfindlich gegenüber Krebsmedikamenten machen.


In naher Zukunft wird Krebs vermutlich die Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache Nummer eins ablösen, wie es sich aktuell bereits in den Vereinigten Staaten und in China abzeichnet. Bei der Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zahlt sich die verbesserte Prophylaxe aus: Die Menschen treiben mehr Sport und rauchen weniger als früher.

Umso wichtiger ist es, auch die Bekämpfung von Krebserkrankungen weiter voran zu treiben. Aber Krebs ist nicht gleich Krebs, und nicht für alle Patienten eignet sich dieselbe Therapie. Aufgrund der großen Fortschritte, die in den vergangenen Jahren in der Aufklärung von molekulargenetischen Details der Krankheit erreicht worden sind, geraten individuelle Unterschiede immer stärker ins Blickfeld - sowohl in der klinischen Praxis, als auch in der Forschung: "Personalisierte Medizin" lautet ein gängiges Stichwort für diese Entwicklung.

Woran stirbt, wer an Krebs stirbt? "Eines der größten Probleme bei Krebs sind Resistenzen gegenüber Chemotherapeutika", erläutert der Marburger Onkologe Andreas Neubauer, Sprecher der neuen Klinischen Forschergruppe 210. Früher dachte man, dass ein gutes Chemotherapeutikum entscheidend für die Heilungschance ist, führt Neubauer aus. "Heute wissen wir, dass auch die genetische Ausstattung der Tumorzelle eine Rolle spielt." Man stirbt an Metastasen, wenn diese widerstandsfähig gegen eine medikamentöse Behandlung sind.

Die beteiligten Wissenschaftler wollen nun herausfinden, welche molekularen Signalwege dafür verantwortlich sind, dass Tumorzellen nicht auf Krebsmedikamente ansprechen. Dazu schalten die Forscher einzelne Gene aus, um Rückschlüsse auf deren Funktion ziehen zu können. In Hochdurchsatz-Experimenten können Tausende von Genen pro Durchgang getestet werden, indem man jeweils ein Gen pro Zelle inaktiviert. Anschließend prüft man, wie diese Zellen auf Chemotherapeutika reagieren.

Die technologische Grundlage für diese Vorgehensweise liefern moderne RNAi-Screening-Verfahren, die Martin Eilers mit seiner Würzburger Arbeitsgruppe weiterentwickelt. Das Ziel des Teilvorhabens ist es, Fremd-RNA mittels Viren in Zellen einzuschleusen, so dass dort deren eigene Gene ausgeschaltet werden. Auch die Marburger Forscher um Cornelia Brendel verfolgen ein Plattform-Projekt, das grundlegende Verfahren für alle anderen Teams erarbeitet: Sie verwenden aufwendige Zellsortierungs-Verfahren, um Zelltypen zu finden, die dafür verantwortlich sind, dass Patienten nicht auf Therapien ansprechen oder einen Rückfall erleiden.

Die übrigen Teilvorhaben unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der untersuchten Krebsarten sowie der Signalwege, die erforscht werden sollen. "Wir träumen davon, dass jeder Patient seine individuell zugeschnittene Therapie bekommt", fasst Neubauer das Fernziel der Forschergruppe zusammen. So widmen sich Patrick Michl und Volker Ellenrieder dem Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Thomas Stiewe befasst sich mit einem zellulären Reparatursystem, das Fehler bei der DNA-Vervielfältigung aufdeckt und korrigiert. Wenn das Reparatursystem nicht funktionsfähig ist, kommt es vermehrt zur Tumorbildung.

Neubauers eigenes Team beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen einem bekannten Krebsgen und dem Wirkstoff Cytarabin. "Das Projekt geht von klinischen Beobachtungen aus, die ich vor 20 Jahren als junger Wissenschaftler gemacht habe", erläutert der Onkologe: Leukämie-Patienten, die eine Krebs fördernde Mutation im so genannten Ras-Gen tragen, sprechen überdurchschnittlich gut auf das hoch dosierte Medikament Cytarabin an - auf den ersten Blick eine irritierende Entdeckung: Dieselbe Genveränderung, die für die Erkrankung verantwortlich ist, soll deren Behandlung fördern?

Neubauer schaute sich die Patienten deshalb zwanzig Jahre später noch einmal an, um zu ermitteln, wie das Medikament und die Mutation die Rückfallhäufigkeit beeinflussen. Das Ergebnis: Die Träger der Genveränderung zeigten am seltensten Rückfälle, wenn sie eine hohe Dosis des Medikaments erhalten hatten. In aktuellen Untersuchungen konnte Neubauer den verwirrenden Befund auch in Zellkultur nachweisen. Im Rahmen der Forschergruppe will er nun nach weiteren Zielgenen im Ras-Signalweg fahnden, die anschließend molekular charakterisiert und in Zellkultur getestet werden sollen.

Die enge Verzahnung zwischen klinischer Forschung und molekulargenetischer Laboruntersuchung ist ein wesentliches Merkmal des Verbunds. Es geht um mehr als um reine Grundlagenforschung. Darum tragen die beteiligten Wissenschaftler die Fragestellungen aus der Klinik ins Labor - und wieder zurück aus dem Labor in die Klinik. Die Arbeit mit Modellorganismen, Nagetieren zum Beispiel, mag für akademische Zwecke ausreichen, aber nicht für die medizinische Anwendung. Mäuseforscher können nämlich nur Mäusekrebs heilen, macht Andreas Burchert deutlich, der Leiter der Forschergruppe.

Das Konzept hat auch die Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft überzeugt. Die Förderorganisation gibt in den kommenden drei Jahren weit über eine Million Euro, die Universität steuert dieselbe Summe bei.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Bei akuter myeloischer Leukämie vermehren sich unreife Blutzellen ungezügelt im Knochenmark.


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Quelle:
Marburger UniJournal Nr. 32, April 2009, Seite 27 - 29
Herausgeber: Der Präsident der Philipps-Universität Marburg
gemeinsam mit dem Vorstand des Marburger Universitätsbunds
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009