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UMWELT/225: Fukushima - Vermehrt Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen in Japan (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 628-629 / 27. Jahrgang, 7. März 2013

Folgen von Fukushima
Vermehrt Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen in Japan

von Annette Hack und Thomas Dersee



Bald nach dem Unfall von Fukushima begann die Präfektur mit Reihenuntersuchungen der Schilddrüsen an Kindern und Jugendlichen - vom Säugling bis zum Alter von unter 18 Jahren. Am 13. Februar 2013 fand erneut eine öffentliche Sitzung des Lenkungsausschusses für die Gesundheitsstudie an den Einwohnern der Präfektur Fukushima statt. Im Anschluß gab es eine Pressekonferenz. Von beiden Veranstaltungen teilte uns MARUMORI Aya aus Fukushima folgendes mit [1]:

Thema waren die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchungen an 38.114 Kindern im Jahr 2011 (Heisei 23). Von diesen waren 186 aufgefordert worden, sich gründlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen. 24 dieser Kinder erschienen nicht. Die Nachuntersuchungen sind für 151 Kinder inzwischen abgeschlossen, für 11 Kinder dauern sie noch an.

33 der 151 Kinder wurden nach Abschluß der Untersuchungen wieder in die normalen Beobachtungskategorien A1/A2 eingestuft, für die lediglich alle zwei Jahre eine Nachuntersuchung vorgesehen ist. 118 Kinder wurden wegen Verdachts auf ernste Erkrankungen in ärztliche Behandlung überwiesen. Zytologische Untersuchungen sind bei 76 Kindern abgeschlossen, bei 42 Kindern wurden sie noch nicht durchgeführt.

Bei 10 der Kinder, die sich einer zytologischen Untersuchung unterziehen mußten, besteht im Ergebnis ein Krebsverdacht. Der Verdacht ist bei 3 Kindern nach einer Schilddrüsenoperation bestätigt worden - gefunden wurde bei jedem der drei Kinder ein papilläres Karzinom. Bei 7 Kindern ist der Verdacht noch nicht bestätigt.

Die 10 Kinder sind im Durchschnitt 15 Jahre alt; drei von ihnen sind Jungen, sieben sind Mädchen. Die durchschnittliche Größe der Geschwulst lag bei 15 Millimetern.

In diesen Zahlen sind die Kinder, die als Folge der Untersuchungen im Jahr 2012 (Heisei 24) zur Nachuntersuchung aufgefordert wurden, nicht enthalten. Auch das Kind mit Schilddrüsenkarzinom, das bei dieser Reihenuntersuchung entdeckt wurde, ist in den jetzt bekanntgegebenen Zahlen nicht enthalten [2, 3, 4].

Der Leiter der Schilddrüsen-Reihenuntersuchungen, Professor SUZUKI Shin'ichi, kommentierte das Geschlechterverhältnis der Verdachtsfälle als "genau wie beim normalen Auftreten von Schilddrüsenkrebs". Professor YAMASHITA Shun'ichi, Leiter aller Reihenuntersuchungen und des Gesundheitsmanagements der Präfektur seit dem Atomunfall, bemerkte: "Allgemein gesprochen gibt es unter 38.000 Personen 10 Krebs- und Krebsverdachtsfälle".

Wie die Internetausgabe der Zeitung Asahi Shimbun vom 13. Februar 2013 ergänzend berichtete, stellt sich die Präfektur Fukushima auf den Standpunkt, es sei "schwer vorstellbar, daß es sich dabei um Auswirkungen der Strahlenexposition handeln könne". In der Folge von Tschernobyl sei ja der Schilddrüsenkrebs erst 4 bis 5 Jahre nach der Exposition aufgetreten. [5]

Bei den drei festgestellten Schilddrüsenkarzinomen habe es sich um langsam progrediente Formen in einem frühen Stadium gehandelt, "der Krebs" sei operativ entfernt worden und die 3 Patienten führten wieder ein normales Leben. Die Expositionsdosis sei nicht bekannt. Allerdings seien bei dieser ersten Reihenuntersuchung vor allem Kinder aus den Evakuierungszonen, zum Beispiel aus Iitate-mura oder Nami'e-machi, erfaßt worden. Schilddrüsenkrebs bei Kindern, zitiert die Zeitung Asahi Shimbun Suzuki, gebe es in einer Häufigkeit von ein bis zwei Fällen auf eine Million Kinder. Nun sei eine deutlich höhere Häufigkeit gefunden worden.


Kalkulationen von UNSCEAR und WHO

Am 26. Februar 2013 gab das Wissenschaftliche Komitee der Vereinten Nationen für die Wirkungen der Atomstrahlung (UNSCEAR) auf einer internationalen Konferenz in Fukushima ihre Berechnung der Schilddrüsendosis für einjährige Kinder in der 30-Kilometerzone um den havarierten Reaktor bekannt. Wie die Zeitung Asahi Shimbun (Internetausgabe) meldet, wird diese Dosis auf unter 50 Millisievert geschätzt. In diese Berechnung seien typische Evakuierungsbewegungen einbezogen, nicht jedoch Belastungen durch Nahrungsaufnahme, wird erklärt.

Im Mai 2012 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Schilddrüsendosis für ein einjähriges Kind aus Nami'emachi (nördlich des Katastrophenorts) auf 100 bis 200 Millisievert geschätzt, dabei allerdings die Ernährung mit einbezogen. Für die Präfektur Fukushima außerhalb der 20- bis 30-Kilometerzone wurde die Schilddrüsendosis für ein einjähriges Kind von der WHO auf 10 bis 100 Millisievert geschätzt. [6]

Am 28. Februar 2013 veröffentlichte die WHO eine vorläufige Abschätzung der Gesundheitsfolgen aus dem Atomunfall [7]. Sie kommt zu dem Ergebnis, "daß für die allgemeine Bevölkerung innerhalb und außerhalb von Japan die prognostizierten Risiken gering sind und keine beobachtbaren Anstiege der Krebsraten zu erwarten sind." Lediglich für Menschen an den am stärksten kontaminierten Orten seien die geschätzten Risiken etwas über den Normalwerten erhöht: Brustkrebs um rund 6 Prozent und alle soliden Tumoren um rund 4 Prozent bei Frauen, die der Fukushima-Strahlung als Kinder ausgesetzt waren, Leukämie um rund 7 Prozent bei Männern und Schilddrüsenkrebs um bis zu 70 Prozent bei Frauen, die der Strahlung als Säuglinge ausgesetzt waren.


Kommentar

UNSCEAR und WHO sind in erster Linie politische Organisationen. Sie haben sich untereinander abgesprochen und ihre Schadenskalkulationen beruhen auf den offiziellen Monitoring-Angaben der japanischen Behörden. In Japan ist allgemein bekannt, daß deren Dosisangaben falsch sind. Die WHO schreibt, jeder möge ihre Aussagen selbst beurteilen. Diese sind vor allem für das Ausland bestimmt, in Japan weiß man es besser.

Ergebnisse der Schilddrüsen-Reihenuntersuchungen an den Kindern aus der Präfektur Fukushima sind bisher für 80.164 Kinder veröffentlicht worden, das sind weniger als die Hälfte der Kinder, die untersucht werden sollten. Die bisherigen Untersuchungen fanden in zwei Gruppen statt. Die 38.114 Kinder der ersten Gruppe, um die es in diesem Beitrag geht, wiesen zu 35,1 Prozent Schilddrüsenzysten und zu 1 Prozent Knoten auf. Die 186 zur Nachuntersuchung bestellten Kinder (0,5 Prozent der Kohorte) zeigten schon bei der ersten Ultraschalluntersuchung große Knoten oder Zysten. Tatsächlich gibt es also nicht wie Yamashita erklärt inzwischen 10 Krebs- und Krebsverdachtfälle unter 38.000 Kindern, sondern unter 151 Kindern, denn nur für diese liegen überhaupt abschließende Untersuchungen vor.

Die überwiegende Zahl der anfänglich untersuchten Kinder soll erst in zwei Jahren wieder untersucht werden. Studienleiter Suzuki hatte am 10. November 2012 öffentlich in Fukushima-Stadt erklärt, die nötigen Spezialisten für Kinderschilddrüsen müßten erst ausgebildet werden und stünden deshalb erst in 2 Jahren zur Verfügung. [4]

Die von der Zeitung Asahi Shimbun zitierte Aussage der japanischen Behörden, die radioaktive Strahlung könne nicht Ursache der Schilddrüsenerkrankungen sein, denn nach Tschernobyl seien diese erst nach 4 bis 5 Jahren aufgetreten, ist falsch und grob irreführend. Denn für eine solche Behauptung gibt es keine Belege, weil die damalige Sowjetregierung seinerzeit ihren Ärzten untersagt hatte, eine Beziehung zwischen auftretenden Erkrankungen und der Exposition nach der Katastrophe herzustellen. Die russische Statistik beginnt deshalb erst 5 Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe. Schilddrüsenerkrankungen sind auch nach Tschernobyl bereits früher aufgetreten. [3]

Die operative Entfernung der Schilddrüse bei Schilddrüsenkrebs bedeutet speziell für Kinder einen schweren Eingriff in den Stoffwechsel. Die Hormone der Schilddrüse sind entscheidend für die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder und müssen nun ständig medikamentös ersetzt werden.

  • MARUMORI Aya, Rundmail vom 13.2.2013. Im Anhang Links zu der Videoaufzeichnung der Sitzung und der anschließenden Pressekonferenz (in japanischer Sprache, Dauer ca. 3½ Stunden):
    www.ustream.tv/channel/iwj-fuk ushima1.
    Ferner sind eingescannt die bei der Veranstaltung verteilten offiziellen Materialien
    (in japanischer Sprache: http://ppl.ug/ WLGNWzUNRXY)
  • Strahlentelex 612-613 v. 5.7.2012, Stx_12_612_S01-02.pdf
  • Strahlentelex 618-621 v. 4.10.2012, Stx_12_618-621_12_S01-02.pdf
  • Strahlentelex 622-623 v. 6.12.2012, Stx_12_622-623_S01-09.pdf
  • Asahi Shimbun Digital, 13.2.2013. www.asahi.com/national/update/0213/
  • Asahi Shimbun Digital, 27.2.2013. www.asahi.com/national/update/0227/ (Beitrag von Ooiwa Yuri; in japanischer Sprache).
  • WHO 2013: Health risk assessment from the nuclear accident after the 2011,
    www.who.int/ionizing_radiation/pub_meet/fukushima_report/en/index.html

  • Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
    http://www.strahlentelex.de/Stx_13_628-629_S04-05.pdf

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    Quelle:
    Strahlentelex mit ElektrosmogReport, März 2013, Seite 4-5
    Herausgeber und Verlag:
    Thomas Dersee, Strahlentelex
    Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
    Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
    E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
    Internet: www.strahlentelex.de


    veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2013