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BILDUNG/1191: Assistenzberufe - Physician Assistants sollen Ärzte entlasten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2020

Assistenzberufe
Physician Assistants sollen Ärzte entlasten

Stephan Göhrmann sprach mit Dr. Martin Blümke, medizinischer Geschäftsführer der Westküstenkliniken (WKK)


Seit einigen Wochen läuft die Bewerbungsphase für den ersten Ausbildungsgang für Physician Assistants (PA) am Bildungszentrum des Heider Westküstenklinikums. 20 Plätze können belegt werden. Unter Ärzten sind noch nicht alle Vorbehalte ausgeräumt.

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20 Studienplätze richtet das Bildungszentrum des Westküstenklinikums Heide für die Ausbildung zum Physician Assistant derzeit ein. Ab Oktober sollen dort die ersten PA in Schleswig-Holstein ausgebildet werden. Den landesweiten Bedarf schätzt man in Heide auf rund 330.
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Zu wenige Ärzte, die zu viele Aufgaben erledigen müssen. Die Rechnung kann auf Dauer nicht aufgehen. Was könnte bei der Entlastung von Ärzten in der Patientenversorgung helfen? Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist der Physician Assistant (PA), ein medizinischer Assistenzberuf, der dem ärztlichen Dienst zugewiesen wird und der in Deutschland bislang noch nicht so verbreitet ist, wie in vielen anderen Ländern. Die Ausbildung zum PA ist in Schleswig-Holstein bislang nicht möglich gewesen - in Kürze startet der Ausbildungsgang am Bildungszentrum der Westküstenkliniken (WKK) Heide.

Der PA kommt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Nach dem Vietnamkrieg fluteten Tausende von gut ausgebildeten Sanitätern den heimischen Arbeitsmarkt. Für die medizinische Versorgung an der Front ausgebildet fanden sie nach Ende des Kriegs einen Arbeitsmarkt vor, dem sie mit ihrer umfassenden Ausbildung zwar gewappnet waren. Passende Ausschreibungen fanden sie allerdings nicht. Erst nachdem sich das Gesundheitssystem in den USA auf die Fertigkeitsliste der Heimkehrer öffnete, etablierte sich der Beruf des Physician Assistant. Heute arbeiten dort landesweit circa 160.000 PAs - nach Meinung vieler Experten mit Erfolg. Gleiches gilt für europäische Nachbarländer: den Gesundheitssystemen von Frankreich, Großbritannien und den Beneluxstaaten ist der PA als festes Berufsbild immanent.

In Deutschland sieht das anders aus: hier gibt es bislang kaum Hochschulen, die einen PA-Studiengang anbieten. Keine davon in Schleswig-Holstein. "Hier ist viel Widerstand", berichtet Dr. Michael Kappus, Ärztlicher Leiter des Klinikum Itzehoe und Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie. Er spricht damit die geringe Akzeptanz des Berufsbildes in vielen Einrichtungen des deutschen Gesundheitswesens an. Im Klinikum Itzehoe sieht das mittlerweile anders aus. Seit Mitte des Jahres unterstützt Maciej Chalubowicz als PA die Klinikärzte auf den Stationen.

"Die Sorge ist groß, dass der ärztlichen Tätigkeit etwas genommen wird. Diese Sorge ist unberechtigt."
Dr. Michael Kappus

Kappus bezeichnet den PA als Allrounder. Die Ausbildung eignet sich vor allem für die Bearbeitung standardisierter Aufgaben. Dokumentation, Erstkontakt mit dem Patienten sowie Erst- und Volluntersuchung seien optimale Aufgaben, mit denen der PA Klinikärzte unterstützen könne. Das allgemeine Tätigkeitsprofil erlaube es, PA auf verschiedenen Stationen einsetzen zu können. "Die Sorge ist groß, dass der ärztlichen Tätigkeit etwas genommen wird", erklärt Kappus. Diese Sorge sei unberechtigt. Dem PA werden weder die erforderlichen Kenntnisse vermittelt, um eigenverantwortlich tätig zu werden, noch hat er die dafür erforderlichen Befugnisse. Es ist ein Assistenzberuf, der unter die ärztliche Delegation fällt. Verantwortung für die Ausführung der ärztlichen Tätigkeit durch den PA trägt der Arzt.

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1 Physician Assistant (PA) ist derzeit am Klinikum Itzehoe beschäftigt. Den tatsächlichen Bedarf schätzt das Klinikum auf rund 20.
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"Der Kollege war voher als Pfleger auf den Stationen tätig und hat die Ausbildung über ein Projekt hier im Hause machen können", berichtet Kappus. Itzehoe bietet eine klinikinterne Ausbildung zum PA an. "Wir können direkt überprüfen, welcher Bewerber den Ansprüchen gerecht wird." Dass der PA aus dem eigenen Haus bekannt ist, hält er für den optimalen Weg. Es habe viele Sorgen der Ärzte vor Ort abbauen können. Auf das Projekt haben sich vor Bewerbungsstart zwei Interessenten beworben. Das freut Kappus, zeigt es doch das interne Ansehen der Ausbildung. Im Klinikum Itzehoe schätzt er den aktuellen Bedarf auf rund 20 PAs. Ohne standardisierte Ausbildung wird es schwer werden, diesen Bedarf zu decken. Doch genau das plant das Westküstenklinikum (WKK) in Heide, wie das folgende Interview zeigt.


Dr. Martin Blümke ist medizinischer Geschäftsführer der Westküstenkliniken (WKK). Am Standort Heide soll ab dem 1. Oktober 2020 ein Bachelorstudiengang für den Physician Assistant angeboten werden. 20 Studienplätze stellt das WKK im eigenen Bildungszentrum für die Ausbildung des professionellen Assistenzberufs zur Verfügung. Im Gespräch mit Stephan Göhrmann berichtet Blümke von den Hintergründen und den Aussichten des in Deutschland vielen noch unbekannten Berufsbildes.

Dr. Blümke, das WKK startet am Ende des Jahres einen PA-Studiengang. Woher kam die Idee den Studiengang am WKK zu etablieren?

Dr. Martin Blümke: Ich bin täglich in vielen Gesprächen mit dem ärztlichen Personal. Sie glauben nicht, wie oft ich höre, dass die Arbeit, die auf den Stationen ansteht, nicht geschafft werden kann - selbst dann nicht, wenn alle Stellen besetzt sind. Entweder ich brauche mehr Ärzte, was in absehbarer Zeit eher schwierig wird, oder ich muss die Arbeit neu organisieren. Wir brauchten also ein innovatives Konzept. Und der PA scheint eines zu sein. So haben wir in Zusammenarbeit mit der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera einen dreijährigen Studiengang entwickelt.

Ist der Studiengang als Antwort auf den ärztlichen Fachkräftemangel zu verstehen?

Blümke: Ja, auch. Wir werden Probleme bekommen, Stellen zu besetzen. Als Arbeitgeber müssen wir die Möglichkeit schaffen, die Ärzte zu entlasten. Ich denke an Vor- und Nachbereitungen. Der PA soll also in erster Linie eine Unterstützung sein, damit der vollapprobierte Arzt Zeit gewinnt, um sich auf die Kernaufgaben konzentrieren zu können. Das Diagnosestellen, die Verifizierung und die Festlegung von Therapien. Das sind Aufgaben, die die Patienten beim Arzt sehen. Das kostet Zeit. Und diese wichtige Zeit fehlt heute oftmals.

Die Aufgaben kommen aus dem ärztlichen Spektrum. Müssen die Ärzte in den Kliniken befürchten, dass sie einen Konkurrenzberuf auf dem Arbeitsmarkt antreffen?

Blümke: Nein. Klinikärzte brauchen keine Angst haben, gegen Bewerber aus den Reihen der PAs antreten zu müssen. Ärzte sind nicht zu ersetzen, weder im WKK noch in der Region. Der Stellenmarkt zeigt: Ärzte werden immer gebraucht. Zwar ist der PA von außen nicht von einem Arzt zu unterscheiden. Die Tätigkeiten und die Verantwortung sind aber ganz andere. Der Physician Assistant übernimmt Aufgaben unter der Delegation des Arztes. Der Mediziner ist verantwortlich.

Welchen beruflichen Hintergrund sollten Bewerber mitbringen?

Blümke: Die Bewerber werden in der Hochschule eingeschrieben und erbringen Ihre Präsenzzeit hier in Heide. Diese beträgt eine Woche im Monat. Die praktischen Anteile - die Transferzeiten - können die Bewerber in ihren Einrichtungen erfüllen. Die Inhalte der Transferzeiten sind aber vorgegeben. Medizinisches Wissen müssen die Bewerber mitbringen, weshalb sie einen gesundheitsberuflichen Hintergrund aufweisen müssen. Daher richtet sich der Studiengang vor allem an MFA und Krankenpfleger, die sich weiterbilden wollen. Die Bewerber müssen nicht gezwungenermaßen aus dem Umland kommen. Das Studium richtet sich an alle Interessenten, egal ob aus Dithmarschen, anderen Teilen Schleswig-Holsteins oder anderen Bundesländern. Für Bewerber aus dem näheren Umfeld besteht die Möglichkeit zu pendeln. Sollten Bewerber eine weitere Strecke auf sich nehmen müssen, werden wir vor Ort in Heide eine Unterkunft finden. Wir haben durch unsere Bildungsprogramme sehr viel Erfahrung, was das angeht. Das sind geübte Verfahren hier am WKK.

Sie sprachen gerade davon, dass sich der Studiengang in erster Linie an MFA und Krankenpfleger richtet. Verschärft man mit dem PA den Pflegenotstand?

Blümke: Nein. Es klingt erst einmal danach, als würde man eine Lücke füllen, indem man eine andere Lücke hinterlässt. So ist es aber nicht. Etwa 80 Prozent haben einen MFA-Hintergrund. Dennoch muss man auch sagen: Die, die sich dazu entscheiden würden, aus der Pflege zu gehen, um sich weiterzubilden, die werden ohnehin gehen. So oder so. Wir möchten junge Menschen Fördern. Der PA ist eine Karrierechance für die Pflege und die MFA. Ich bin mir ganz sicher, dass wir jungen Menschen mit dem PA eine Lebensperspektive geben, die in diesem Bereich auch weiterhin gute Arbeit leisten werden. So bleibt der Arbeitsmarkt attraktiv. Die Menschen bleiben dann in Schleswig-Holstein und wandern nicht in andere Bundesländer oder Metropolregionen ab. Junge Leute wollen sinnbringende Arbeit verrichten. Dann machen sie die Arbeit gerne und sind besonders engagiert. Der Studiengang ist daher auch eine Reaktion auf diese Forderung.

Zusammengefasst ist der PA eine Antwort auf die aktuelle Arbeitssituation, er soll Klinikärzte entlasten und Pflegepersonal und MFA eine Perspektive bieten. Gibt es Bereiche in denen der PA in Zukunft entlasten kann?

Blümke: Ich seh' die überall. Der Einsatzbereich ist variabel. So sind etwa die integrierten Notfallzentren wie für den PA geschaffen. Die Veränderungen werden kommen. Und auch, wenn es bei mir nicht im Vordergrund steht: Der PA ist auch ein wirtschaftliches Thema. Städte und Gemeinden tun sich jetzt schon zusammen und formen ihre Ärztenetze. Dann sind am Ende alle zufrieden: Ärzte wie Patienten. Das Thema ist noch nicht richtig angekommen, bietet aber viel Potenzial. Das ist kein Selbstläufer. Neues Denken erfordert mutige Menschen. Daher sind die Bewerber genauso wie die Kliniken in der Region gefragt. Einrichtungen, die motiviertes Personal haben und an einer professionellen Weiterbildung interessiert sind, finden hier eine Möglichkeit. Eine weitere akademische Disziplin in Schleswig-Holstein zu etablieren, wird dazu führen, dass die Menschen nicht in andere Regionen oder Bundesländer abwandern.

Vielen Dank für das Gespräch.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202002/h20024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Februar 2020, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2020

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