Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2019
Ernährung
Kein Zuckerschlecken mehr für die Industrie
von Dirk Schnack
Nährwertampel, Verbot irreführender Werbung, verbindliche Reduktionsziele für Zucker: Auf der Tagung "Bitte nicht zu süss" stellte Hamburgs Gesundheitssenatorin konkrete Forderungen.
Die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln sind seit Jahren
Alltag in Deutschland. Was wäre, wenn die Lebensmittelhersteller von
Produkten mit hohem Zuckergehalt ebenfalls zu Warnhinweisen
verpflichtet werden? Zum Beispiel "Zucker macht zahnlos" auf einer
Packung mit Süßigkeiten oder "Vorsicht hoher Zuckergehalt: Diabetes
kann zu Amputationen und Erblindung führen", begleitet mit
entsprechenden Schockfotos. Diese Anregungen sind zwar nicht ganz neu,
stießen aber bei vielen Teilnehmern der Strategietagung "Bitte nicht
zu süß", die von der Hamburger Gesundheitsbehörde veranstaltet wurde,
auf positive Resonanz.
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15 % der drei- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind
übergewichtig. Davon geht der Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte aus.
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Vor solchen harten Bandagen wie Warnhinweisen schreckt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg nicht zurück, weil sie schon zu viele negative Erfahrungen mit der Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie gesammelt hat. Die Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung warf den Lobbyisten vor, mit Unwahrheiten zu arbeiten. Sie begrüßte deshalb ausdrücklich "konsequentes politisches Handeln", wie es auf dem Strategietag Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) forderte. Denn sie hat die Geduld mit der Lebensmittelindustrie verloren. "Auf Selbstverpflichtungen und den guten Willen der Industrie zu setzen, wie die Bundesregierung es tut, reicht nicht", sagte sie auf dem Strategietag. Sie forderte die Einführung einer Zuckersteuer und einer Nährwertampel auf Lebensmittelverpackungen sowie das Verbot von Werbung, die gesüßte Kinderprodukte als gesund verkauft. In Babynahrung sollte Zucker laut ihrer Forderung komplett verboten und für Fertiglebensmittel und Getränke sollten verbindliche Zuckerreduktionsziele festgelegt werden.
All dies sind Maßnahmen, die auf Bundesebene passieren müssten. Auf Landesebene reagiert Hamburg mit einer "Zuckerreduktionsstrategie". Sie beinhaltet folgende Maßnahmen:
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90 % der Eltern in Deutschland unterschätzen den Zuckergehalt in
Nahrungsmitteln wie etwa Fruchtjoghurts.
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Ein wichtiger Schritt für die Sensibilisierung war der Strategietag, auf dem Prüfer-Storcks für eine niedrigere Besteuerung gesunder Lebensmittel eintrat. Sie verwies auf erfolgreiche Beispiele: "Nachdem die Politik 2004 die bei Jugendlichen beliebten Mischgetränke "Alkopops" mit einer Sondersteuer belegte, sank der Absatz binnen eines Jahres um 80 Prozent." Beispiele aus Frankreich und Großbritannien zeigten außerdem, dass nach einer höheren Besteuerung die Zuckergehalte innerhalb von ein bis zwei Jahren um bis zu 65 Prozent gesunken seien.
Dr. Thomas Fischbach, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, hat den Eindruck, dass die Lebensmittelindustrie auf Zeit spielt - was für die Kinder fatal ist: "Wir werden die Erwachsenen kaum ändern, sondern müssen die jungen Menschen erreichen", sagte Fischbach und drängte: "Es muss schnell gehen." Er verwies in diesem Zusammenhang auf den Anteil an adipösen Kindern in den pädiatrischen Praxen. Auch der Hamburger Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl betonte den Handlungsdruck: "Kinder sind schon geprägt, wenn sie in die Kita kommen, und zwar von ihren Eltern." Er begrüßte das Eintreten Hamburgs für reduzierten Zuckerkonsum. Für ihn ist Deutschland ein "Gemüse- und Ballaststoffmangelland", nicht wegen mangelnder Verfügbarkeit, sondern weil sich die Deutschen schlicht falsch ernähren. Zu den schlimmsten Fehlern zählt für ihn neben dem Verzicht auf Gesundes auch ein zu hoher Zuckerkonsum. Der wird bei vielen Menschen nicht nur über Süßigkeiten und versteckten Zucker in Fertiggerichten erreicht, sondern u. a. auch durch zuckerreiches Obst wie Bananen und Weintrauben, durch Trockenobst oder gezuckerte Getränke. Um den Konsum zu senken, rät Riedl u. a. dazu, sich täglich auf drei Mahlzeiten zu beschränken und auf Zwischenmahlzeiten zu verzichten. Auch vernachlässigen viele Menschen nach seiner Beobachtung ausreichendes Trinken und verspüren zum Teil Hunger, weil sie nicht genug getrunken haben. Weitere Ratschläge des Ernährungsmediziners:
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Info
Einzelne Einrichtungen wie die Elbkinder-Kita in Hamburg erreichen,
dass Kinder nicht an stark zuckerhaltige Lebensmittel gewöhnt werden.
Dort gibt es zu den Mahlzeiten keine klassischen Süssigkeiten mit
Ausnahme von Speiseeis. Besondere Anlässe können mit einem maßvollen
Angebot an Süßigkeiten verbunden werden. Es gibt klare Regeln zum
Umgang mit Süßigkeiten, die mit Eltern und Kindern besprochen werden.
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Dass solche Bemühungen Erfolg haben können, berichtete Ökotrophologin Traute Wolf. Nach ihren Angaben isst die Elbkinder-Kita zuckerarm, ohne etwas zu vermissen. In der Kita lernen die Kinder sparsam gesüßte Speisen kennen. Zwar sei die Vorliebe für den süßen Geschmack angeboren, räumte Wolf ein, aber: "Wie süß ein Lebensmittel empfunden wird, hängt allein vom Erfahrungslernen ab."
Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2019
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Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juli - August 2019, Seite 22 - 23
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2019
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