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ETHIK/1009: Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung - Empfehlungen (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 9 - Dezember 2011 - 03/11

STELLUNGNAHME

Zur Bewertung der Herstellung von Mischwesen zwischen Mensch und Tier in der Forschung


Wie verstehen wir die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier? Welche Bedeutung hat eine Entwicklung in der Forschung, die die biologische Grenzziehung zwischen Mensch und Tier zunehmend infrage stellt für das Selbstverständnis des Menschen? Wo gibt es bereits heute Handlungsbedarf für Wissenschaft, Gesellschaft oder Politik? Zu diesen Fragen hat der Deutsche Ethikrat am 27. September 2011 eine Stellungnahme vorgelegt.


Das Selbstverständnis des Menschen ist von der Vorstellung einer klaren Grenzziehung zwischen Mensch und Tier geprägt. Auch wenn Menschen unter biologischen Gesichtspunkten ebenfalls zur Tierwelt gehören, liegt der Moral und dem Recht eine strenge Unterscheidung zugrunde, die auch in Religion und Kultur eine grundlegende Rolle spielt. Trotz des Bewusstseins einer klaren Unterscheidung überschreiten die Menschen die selbst gezogene Grenze allerdings in ihrer Fantasie. So kennt die mythische Überlieferung Berichte und Bilder von Mischwesen aus Tier und Mensch wie z.B. die Sphinx, den Pegasus, die Chimären, Kentauren und Nixen.

Auch in der biomedizinischen Forschung hat der Mensch längst begonnen, die Grenze zwischen Mensch und Tier zu überschreiten. Bereits seit den 1980er-Jahren ist die Schaffung von Mäusen als "Modellorganismen" zur Erforschung menschlicher Krankheiten durch Einfügung krankheitsspezifischer humaner Gene in das Mausgenom breit etabliert. Mittlerweile arbeiten die Forscher daran, nicht nur Gene, sondern ganze Chromosomen zu übertragen. Darüber hinaus werden u.a. aus menschlichen Stammzellen gewonnene Nerven-Vorläuferzellen in das Gehirn von Versuchstieren, auch Primaten, übertragen, um Krankheiten wie die Alzheimer-Demenz und Morbus Parkinson zu erforschen und später vielleicht behandeln zu können. Der Ethikrat begann sich zu einem Zeitpunkt mit dem Thema zu beschäftigen, als in Großbritannien im Human Fertilisation and Embryology Act die Herstellung von zytoplasmatischen Hybriden (Zybriden), wie sie bei der Einfügung des Kerns einer menschlichen Körperzelle in eine entkernte tierische Eizelle entstehen, ausdrücklich legalisiert wurde, um auf diese Weise embryonale Stammzellen ohne den Rückgriff auf menschliche Eizellen gewinnen zu können. Aufgrund des Umstands, dass die Herstellung solcher Zybride in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz nicht verboten ist, fand das Thema auch hierzulande großes Interesse.

Durch derartige Experimente wird die biologische Grenze zwischen Mensch und Tier zunehmend verwischt. Der Ethikrat sieht daher Klärungsbedarf, welche ethischen Herausforderungen mit der Herstellung von Mensch-Tier-Mischwesen verbunden und wo gegebenenfalls verbindliche Grenzen zu ziehen sind. Der Ethikrat hat dabei den Fokus auf die Übertragung menschlichen Materials auf Tiere gelegt und dies an drei Beispielen untersucht: an zytoplasmatischen Hybriden (Zybriden), an transgenen Tieren mit menschlichem Erbmaterial und am Beispiel der Übertragung menschlicher Zellen in das Gehirn fetaler oder adulter Tiere (Hirnchimären). Zu diesen Beispielen hat der Ethikrat Empfehlungen vorgelegt, die im Folgenden vorgestellt werden.    (Be)


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Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung

EMPFEHLUNGEN

I. Allgemeine Empfehlungen

I.1 - Der Deutsche Ethikrat ist der Auffassung, dass keine Mensch-Tier-Mischwesen in eine Gebärmutter übertragen werden dürfen, bei denen man vorweg absehen kann, dass ihre Zuordnung zu Tier oder Mensch nicht hinreichend sicher möglich ist ("echte Mischwesen"). Dies gilt ungeachtet des Streits, ob man die experimentelle Herstellung solcher Wesen sowie ihre Nutzung in vitro für zulässig hält.

I.2 - Der Deutsche Ethikrat bekräftigt die Grenzen, die das deutsche Embryonenschutzgesetz (§ 7 ESchG) gezogen hat:
• keine Übertragung menschlicher Embryonen auf ein Tier,
• keine Erzeugung von Interspeziesk Hybriden oder -Chimären, also von Lebewesen
- durch Befruchtung unter Verdwendung von menschlichen und tierischen Keimzellen,
- durch Fusion eines menschlichen und tierischen Embryos oder
- durch Verbindung eines menschlichen Embryos mit einer tierischen Zelle, die sich mit ihm weiter zu differenzieren vermag.

Diese Grenzziehungen sollten durch Aufnahme folgender Verbote erweitert werden: • Verbot der Übertragung tierischer Embryonen auf den Menschen,
• Verbot der Einbringung tierischen Materials in den Erbgang des Menschen,
• Verbot von Verfahren, die zur Bildung menschlicher Ei- oder Samenzellen im Tier führen können.

I.3 - Der nach § 49 der EU-Tierschutzrichtlinie in Deutschland zu bildende Nationale Ausschuss für den Schutz von für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tieren, mit dessen Aufgaben möglicherweise die Tierschutzkommission gemäß § 16b TierSchG zu betrauen ist, sollte einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf das Feld der Forschung an Mensch-Tier-Mischwesen legen, und dabei insbesondere folgende Themen berücksichtigen:

• Erzeugung transgener Tiere durch Einbringen eines erheblichen Anteils menschlichen Erbguts und Einbeziehung regulatorischer Gene,
• Erzeugung von Mensch-Affen-Hirnchimären,
• Forschungsarbeiten, die zu einschneidenden Veränderungen im Aussehen, in der Befähigung eines Tieres führen. Der Nationale Ausschuss sollte die dafür notwendige breite interdisziplinäre Kompetenz aufweisen, Richtlinien für die Arbeit der regionalen Tierschutzkommissionen auf diesem Feld erarbeiten, an Grundsatzentscheidungen auf diesem Gebiet beteiligt sein und seine Arbeit eingebettet in den gesellschaftlichen Diskurs vornehmen.

I.4 - Auf dem Forschungsfeld der Erzeugung von Mensch-Tier-Mischwesen sollte mehr Transparenz herrschen, etwa durch Aufnahme detaillierter Berichte zu "Mensch-Tier-Mischwesen" in die Tierschutzberichte der Bundesregierung.

I.5 - Experimente mit großer Eingriffstiefe, insbesondere bei Einfügung von Genen oder der Injektion von Zellen in der Embryonalentwicklung, sollten in der Hochrangigkeit ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung, insbesondere im Hinblick auf ihren zu erwartenden medizinischen Nutzen für den Menschen, sehr gut begründet sein und auf ihre möglichen Auswirkungen auf den moralischen Status des Mischwesens bewertet werden.

I.6 - Die biologische und interdisziplinäre Forschung zu den Auswirkungen des Einbringens menschlicher Gene, Chromosomen, Zellen und Gewebe in den tierischen Organismus muss verstärkt ethische Fragestellungen berücksichtigen und dabei auch die Auswirkungen auf das Verhalten und die Befähigungen sowie phänotypische Veränderungen einbeziehen. Die Ergebnisse derartiger Forschung sollten verstärkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.


II. Besondere Empfehlungen zur Herstellung von Zybriden

Unter einem Zytoplasmatischen Hybrid oder Zybrid versteht man eine lebende Zelle, die durch Fusion (Hybridisierung) einer entkernten Eizelle (zum Beispiel eines Rindes) mit dem Zellkern einer anderen, somatischen Zelle (hier eines Menschen) entstanden ist.

II.1 - Unabhängig von der Frage eines möglichen Verbots der Herstellung von Mensch-Tier-Zybriden vertritt der Deutsche Ethikrat einmütig die Empfehlung, dass keine Einpflanzung von Mensch-Tier-Zybriden in eine menschliche oder tierische Gebärmutter vorgenommen werden darf. Das Embryonenschutzgesetz sollte durch ein entsprechendes explizites Verbot ergänzt werden.

II.2a - Diejenigen Mitglieder des Deutschen Ethikrates, nach deren Auffassung die Herstellung und Nutzung von Zybriden ethisch zulässig ist, halten ein gesetzliches Verbot nicht für angebracht.

Stefanie Dimmeler, Frank Emmrich, Volker Gerhardt, Hildegund Holzheid, Weyma Lübbe, Eckhard Nagel, Jens Reich, Edzard Schmidt-Jortzig, Jürgen Schmude, Jochen Taupitz, Kristiane Weber-Hassemer, Christiane Woopen

II.2b - Diejenigen Mitglieder des Deutschen Ethikrates, nach deren Auffassung die Herstellung und Nutzung von Zybriden ethisch unzulässig ist, fordern die Aufnahme eines gesetzlichen Verbotes in das Embryonenschutzgesetz.

Axel W. Bauer, Alfons Bora, WolfMichael Catenhusen, Wolfgang Huber, Christoph Kähler, Anton Losinger, Peter Radtke, Ulrike Riedel, Eberhard Schockenhoff, Erwin Teufel, Michael Wunder


III. Besondere Empfehlungen zur Herstellung transgener Tiere mit menschlichem Erbmaterial

Unter transgenen Organismen versteht man Lebewesen, deren Erbgut durch einen technischen Eingriff dahin gehend verändert worden ist, dass entweder artfremdes oder synthetisch hergestelltes Erbgut in den Zellkern integriert wird. Die Gene werden in einer sehr frühen Phase der Individualentwicklung mit verschiedenen Methoden übertragen. Grundsätzlich tragen alle Zellen des transgenen Tieres die Genveränderung, sie wird auch über die Keimbahn vererbt. Die Expression der genetischen Veränderung kann allerdings auf bestimmte Gewebe (etwa Hirnzellen, Blutzellen) beschränkt werden. Transgene Tiere sind Tiere, in die Gene aus anderen Arten eingebracht wurden.

III.1 - Die Verbringung von menschlichen Genen in den Erbgang von Säugetieren (ausgenommen Primaten) ist ethisch statthaft, wenn die Hochrangigkeit des Forschungsziels, im Hinblick auf ihren zu erwartenden Nutzen für den Menschen, gegeben ist und die generell an den Tierschutz zu stellenden ethischen Anforderungen erfüllt sind.

III.2 - Aufgrund unseres vorläufigen und begrenzten Wissens über mögliche Auswirkungen auf Aussehen, Verhalten und Befähigungen sollte die Einfügung menschlichen Erbmaterials (Gene, Chromosomen) in den Erbgang von Primaten nur nach einem interdisziplinären Begutachtungsverfahren unter Einbeziehung des Nationalen Ausschusses möglich sein. Entsprechende Versuche sollten nur durchgeführt werden, wenn sie hochrangig, im Hinblick auf ihren zu erwartenden medizinischen Nutzen, und alternativlos sind. Welche Anforderungen an die Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit bezogen auf Tierversuche generell zu stellen sind, ist umstritten.

III.3 - Die Schaffung von transgenen Mensch-Tier-Mischwesen mit Menschenaffen ist zu untersagen.


IV. Besondere Empfehlungen zur Herstellung von Mensch-Tier-Hirnchimären

IV.1 - Die Generierung von Hirnchimären durch die Übertragung von menschlichen Zellen auf Säugetiere ist, soweit nicht Primaten betroffen sind, ethisch statthaft, wenn erstens die Hochrangigkeit des Forschungsziels gegeben ist, insbesondere im Hinblick auf ihren zu erwartenden medizinischen Nutzen für den Menschen, wenn zweitens die generell an den Tierschutz zu stellenden ethischen Anforderungen erfüllt sind und drittens die Chimärisierung nicht vor der Ausbildung der Organanlagen stattfindet. Um eine dem Tier angemessene Haltung sicherzustellen, ist eine begleitende Kontrolle des Ausmaßes der Integration der Zellen und des Verhaltens der Tiere nach der Geburt sinnvoll.

IV.2 - Angesichts der möglichen Eingriffstiefe der Implantation hirnspezifischer menschlicher Zellen in das Gehirn von Primaten und der zentralen Bedeutung von Hirn und Nervensystem für die artspezifischen Befähigungen sowie angesichts unseres vorläufigen und begrenzten Wissens über mögliche Auswirkungen auf Physiognomie und kognitive Fähigkeiten sollte die Einfügung hirnspezifischer menschlicher Zellen in das Gehirn von Primaten nur nach einem interdisziplinären Begutachtungsverfahren gemäß der Empfehlung III.2 unter Einbeziehung des Nationalen Ausschusses möglich sein.

IV.3 - Die Einfügung hirnspezifischer menschlicher Zellen speziell in das Gehirn von Menschenaffen ist entsprechend der Empfehlung III.3 zu untersagen.

In einem Sondervotum legt das Ratsmitglied Regine Kollek dar, weshalb sie sich der Stellungnahme in der vorliegenden Fassung nicht anschließt. Sie erklärt darin auch, dass sie die Herstellung von Mensch-Tier-Zybriden für ethisch vertretbar hält, weil es gute Gründe für die Annahme gibt, dass es sich bei solchen Entitäten nicht um entwicklungsfähige menschliche Embryonen handelt.


INFO

Begrifflichkeiten
Der Begriff Mensch-Tier-Mischwesen, kurz Mischwesen, wird hier als Oberbegriff für lebende Organismen, auch in sehr frühen Entwicklungsstadien, verwendet, die menschliche und tierische Bestandteile (Gene, Chromosomen, Zellkerne, Zellen, Gewebe, Organe) enthalten. Im Einzelnen fallen darunter Chimären, bei denen die Zellen unterschiedliches Erbmaterial tragen, da sie jeweils von verschiedenen Arten stammen; Hybride, also Mischwesen, bei denen die Gene verschiedener Arten in jeder einzelnen Zelle vermischt sind; transgene Tiere, bei denen einzelne Gene von einer Art in einen Zellkern der anderen Art eingeschleust werden (Spezialform eines Hybrids); Zybride, die durch die Einfügung des Kerns einer menschlichen Zelle in eine entkernte tierische Eizelle entstehen.


QUELLE
Die Stellungnahme "Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung" kann unter
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-mensch-tier-mischwesen-in-der-Forschung.pdf
nachgelesen werden.

Die Mensch-Tier-Mischwesen waren bereits Gegenstand eines Beitrags im Infobrief 01/2010 unter
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/infobrief-2010-01.pdf.


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Quelle:
Infobrief Nr. 9 - Dezember 2011 - 03/11, Seite 1 - 3
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2012