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FORSCHUNG/3101: Hirnforschung - Das Navigationssystem des Gehirns ermöglicht präzise Raumorientierung (idw)


Körber-Stiftung - 22.05.2014

Das Navigationssystem des Gehirns

May-Britt und Edvard I. Moser erhalten Körber-Preis 2014



Die norwegischen Forscher werden für ihre wegweisenden Arbeiten auf dem Gebiet der Hirnforschung ausgezeichnet. May-Britt und Edvard I. Moser entdeckten bei Experimenten mit Ratten spezielle Hirnnervenzellen (Neuronen), die den Tieren eine genaue Orientierung im Raum ermöglichen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse könnten Alzheimer-Patienten eines Tages helfen, ihren eingeschränkten Orientierungssinn zu verbessern.

Der mit 750.000 Euro dotierte Körber-Preis 2014 geht an May-Britt und Edvard I. Moser. Das norwegische Hirnforscher-Ehepaar kam in zahlreichen Experimenten mit Ratten bislang unbekannten Hirnnervenzellen auf die Spur, die den Nagern - wie ein natürliches Navigationssystem - eine präzise Raumorientierung ermöglichen. Damit wird zum ersten Mal eine echte Denkleistung direkt auf zellulärer Ebene im Gehirn nachweisbar. Der Körber-Preis zeichnet Wissenschaftler mit besonders innovativen Forschungsvorhaben aus.

May-Britt Moser, 51, und ihr Ehemann Edvard, 52, lernten sich während ihres Studiums an der Universität Oslo kennen. Die Forscherin promovierte über die anatomischen Grundlagen des Lernens in der Hirnregion Hippocampus, während Edvard Moser seine Doktorarbeit über die physiologischen Mechanismen des Gedächtnisses in diesem Teil des Gehirns schrieb. Darüber hinaus befassten sich die beiden Wissenschaftler mit Physik, Mathematik, Programmierung, Statistik, Psychologie und Neurobiologie, was die Grundlage für ihren interdisziplinären Ansatz bildete. 1996 zog das Forscherpaar nach Trondheim, wo sie zunächst an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) ihr Forschungsprojekt verfolgten. 2002 gründeten sie in Trondheim das Centre for the Biology of Memory, 2007 das Kavli Institute for Systems Neuroscience. 2013 schufen sie wiederum an der NTNU das Centre for Neural Computation.

Von Beginn an kreiste die Forschung der Mosers um die Raumorientierung von Ratten. Neurowissenschaftler wissen bereits seit 1971, dass es im Hippocampus, einem entwicklungsgeschichtlich alten Teil der Hirnrinde, spezielle "Ortszellen" gibt. Diese Neuronen senden Signale aus, wenn eine Ratte bei der Erkundung ihrer Umgebung auf charakteristische Landmarken trifft.

Ein echter Durchbruch gelang May-Britt und Edvard Moser 2005 mit der Entdeckung der so genannten "Rasterzellen" - Zellen, die immer dann aktiv sind, wenn das Tier an einem bestimmten Ort ist. Sie legen ein Koordinatennetz von Sechsecken über die räumliche Umwelt des Tieres. Mit diesen Zellen können die Nager Abstände messen: Immer wenn eine Ratte eine bestimmte Entfernung zurückgelegt hat, feuert eine Rasterzelle. "Es ist so, als würden die Tiere mit den Rasterzellen in einer neuen Umgebung die Zahl ihrer Schritte messen", erklärt Edvard Moser. Dies hilft den Ratten, einen Sinn für Abstände in ihren "kognitiven Landkarten" zu gewinnen. Darüber hinaus entdeckte das Forscherpaar "Grenzzellen", die aktiv werden, wenn sich die Tiere Wänden oder großen Hindernissen nähern. Die Grenzzellen und Rasterzellen interagieren zudem mit "Kopfrichtungszellen", die als eine Art Kompass fungieren: sie feuern, wenn der Kopf der Ratten in eine bestimmte Richtung weist. Diese drei Neuronen-Typen zusammen sind offenbar die Grund bausteine der schon länger bekannten Ortszellen im Hippocampus.

Mit diesen Entdeckungen ist es erstmals gelungen, eine wirkliche Denkleistung messbar zu machen. Bislang haben Hirnforscher nur mit Neuronen arbeiten können, die auf einfache Sinneswahrnehmungen hin oder durch direkte Stimulation aktiv wurden. Das Moser-Team hat der Hirnforschung damit gleichsam die Tür zu den "abstrakten Abteilungen" des Gehirns geöffnet. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die bei den Rattenexperimenten gefundenen Rasterzellen in ähnlicher Form auch im Menschen vorhanden sind. Langfristig erhoffen sich die beiden Forscher neue Therapiemöglichkeiten für Alzheimerpatienten, deren Raumorientierung krankheitsbedingt nur eingeschränkt funktioniert.

May-Britt und Edvard Moser wollen die Fördermittel des Körber-Preises dazu nutzen, um die in Rasterzellen ablaufenden physiologischen Vorgänge sowie ihr Zusammenwirken genauer zu erforschen. Außerdem will das Team herausfinden, wie die Aktivität der Orientierungsneuronen den Ratten dabei hilft, von einem Punkt in ihrer mentalen Landkarte zu einem anderen zu gelangen. Generell eignen sich Rasterzellen zum Studium bislang kaum erforschbarer höherer Hirnfunktionen sowie des Gedächtnisses.

Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft wird 2014 zum 30. Mal vergeben. May-Britt und Edvard Moser erhalten den Körber-Preis am 5. September im Hamburger Rathaus.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution856

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Körber-Stiftung, Andrea Bayerlein, 22.05.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014