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VORSORGE/621: Masern - Versorgungsatlas-Studie schließt Wissenslücken über Impflücken (idw)


Versorgungsatlas - 17.07.2013

Masern: Versorgungsatlas-Studie schließt Wissenslücken über Impflücken



(Berlin) In Deutschland werden nur 37 Prozent aller Kleinkinder entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zeitgerecht und zweifach vor ihrem zweiten Geburtstag gegen Masern geimpft. Das belegt eine bundesweite Studie der Wissenschaftlerinnen vom Versorgungsatlas, die erstmals erhebliche Impflücken in vielen Regionen dokumentiert. Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Bremen sind die Schlusslichter auf der Ebene der Bundesländer. Auffallend sind insbesondere die gravierenden regionalen Unterschiede auf Kreisebene. Die Studie wird am 18. Juli 2013 auf dem Portal
www.versorgungsatlas.de veröffentlicht.

Wäre Zweibrücken überall, könnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Deutschland zufrieden sein: In der kreisfreien Stadt im Südwesten von Rheinland-Pfalz erhalten 94,8 Prozent der Kleinkinder vor ihrem zweiten Geburtstag die erste Masern-Impfung und über drei Viertel der Kinder die nicht minder wichtige Zweitimpfung. Die 33.000-Einwohner-Stadt erreicht damit zumindest bei der ersten Impfung knapp jene Ziel-Quote der WHO (95 Prozent), die nötig ist, um die Masern bis zum Jahr 2015 europaweit auszurotten. Nur zwei weitere Landkreise in Deutschland können bei der Erstimpfung mit Quoten knapp unter 95 Prozent aufwarten: Müritz in Mecklenburg Vorpommern und Remscheid in Nordrhein-Westfalen. Bei der Zweitimpfung fehlen solche Traum-Quoten jedoch in ganz Deutschland.

Schlusslicht Bayern

Am anderen Ende der Quoten-Skalen drängeln sich hingegen vergleichsweise viele Städte und Landkreise: Bundesweite Schlusslichter sind die Landkreise Rosenheim, Garmisch-Partenkirchen und Bad Tölz in Bayern. Dort erhalten nur 61,3 bis 65,6 Prozent der Kinder die erste und nur maximal 39,5 Prozent die zweite Impfung. Da die Quoten der meisten bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen, ist der Freistaat Schlusslicht auf Länderebene. Daran können auch respektable Werte in etlichen Landkreisen nichts ändern, beispielsweise die überdurchschnittlichen Quoten der kreisfreien Stadt Hof, in der immerhin 93,9 Prozent der Kleinkinder die erste und noch 67,7 Prozent die Zweitimpfung vor Vollendung des zweiten Lebensjahres erhalten.

Gefährliche Impflücken

Nicht zuletzt die aktuellen Masern-Ausbrüche in Deutschland zeigen, dass die Impfquoten hierzulande immer noch zu niedrig sind und der Impfschutz in vielen Regionen sehr löchrig ist. Zwar konnte in den letzten Jahren im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen ein kontinuierlicher Anstieg der Impfquoten beobachtet werden - auch in jenen Bundesländern, die bei der Versorgungsatlas-Studie schlecht abschneiden. Doch es fehlten bislang Daten über die Impfquoten der besonders gefährdeten Kleinkinder, die den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zufolge vor Vollendung des zweiten Lebensjahres zweimal geimpft werden sollten.

Fatale Folgen

"Impflücken bei Kleinkindern können beispielsweise in Kindertagesstätten fatale Folgen haben, wenn die Infektion bei einem lokalen Masernausbruch eingeschleppt wird", sagt Dr. Sandra Mangiapane, die Leiterin Versorgungsatlas. Die Untersuchung der Wissenschaftlerinnen vom Versorgungsatlas schließt nun die Wissenslücken über Impflücken. "Unsere Studie zeigt erstmals, in welchen Regionen Deutschlands der Impfschutz gegen Masern entweder nicht ernst genug genommen wird, oder verunsicherte Eltern aufgrund fehlender oder falscher Informationen über Nutzen und Risiken der Impfung sich gegen die Immunisierung entscheiden oder diese hinausschieben", erklärt die Studienautorin Maike Schulz.

Verunsicherte Mütter

Die Versorgungsatlas-Studie bestätigt darüber hinaus andere Untersuchungen, denen zufolge die Impfmüdigkeit oder gar Impfskepsis bei Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status besonders ausgeprägt ist. Insbesondere spielt die formale Bildung der Mütter eine Rolle: Die Impfwahrscheinlichkeit sinkt bundesweit mit steigender Quote hoch qualifizierter Mütter. "Diese Faktoren können die Unterschiede jedoch nur teilweise erklären", sagt Dr. Mangiapane. "Auch der Einfluss regional unterschiedlich stark vertretener impfkritischer Ärzte, Heilpraktiker und Homöopathen wirkt sich vermutlich aus."

Die Folgen fehlender Informationen - bis zu 23.000 ungeschützte Kinder

Fehlende Informationen über die Bedeutung der zweiten Impfung scheinen für deren niedrige Quoten mitverantwortlich zu sein, vermuten die Wissenschaftlerinnen. "Diese Impfung ist keine "Auffrischungsimpfung", sondern sorgt dafür, dass jene drei bis fünf Prozent der Kinder, bei denen die erste Impfung nicht anschlägt, nach dieser zweiten Impfung dann doch noch eine Immunität aufbauen kann", erklärt Maike Schulz. "Bezogen auf die Studienpopulation bedeutet dies, dass zwischen 14.000 und 23.000 Kinder, die eine Erstimpfung bekommen haben, bis zur Zweitimpfung nicht geschützt sind, obwohl die Eltern das denken."

Die Studie

Die Wissenschaftlerinnen haben bei ihrer Studie die pseudonymisierten Abrechnungsdaten aus Arztpraxen von insgesamt 550.125 Kindern ausgewertet, die im Jahr 2008 geboren wurden und in den Jahren 2008 oder 2009 eine Früherkennungsuntersuchung U4 hatten. Das sind 81 Prozent des Geburtsjahrgangs 2008. Die erforderlichen Abrechnungsdaten werden von den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellt. Die Auswertung der Daten erfolgte sowohl entsprechend der STIKO-Empfehlungen als auch nach den durchschnittlichen landesweiten Quoten der beiden Impfungen vor Vollendung des zweiten Lebensjahres.

Die Quoten

Zwischen den Quoten auf der Grundlage der STIKO-Empfehlungen und den allgemeinen Quoten gibt es Unterschiede. Bei den allgemeinen Quoten der Kreise und Länder wurde überprüft, ob ein Kleinkind bis zum vollendeten 24. Lebensmonat beide Impfungen erhalten hatte. Bei der Analyse der Daten nach den STIKO-Empfehlungen, bestimmten die Wissenschaftlerinnen den Anteil der Kinder, die beide Impfungen in den von der STIKO empfohlenen Zeitfenstern vor Vollendung des 2. Lebensjahres erhalten hatten: Die 1. Impfung soll frühestens ab dem 9. Lebensmonat bzw. im Fenster zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat erfolgen, die 2. Impfung zwischen dem 15. und 23. Monat.

Spezialfall Sachsen

In Sachsen weichen die Empfehlungen der sächsischen Impfkommission (SIKO) von den Empfehlungen der STIKO ab. Die Erstimpfung wird ab dem 13. Lebensmonat empfohlen - ohne ein Zeitfenster, bis zu dem die Impfung erfolgt sein sollte. Die zweite Impfung wird erst ab dem 6. Lebensjahr empfohlen. Darum konnte Sachsen bei den Auswertungen der zweiten Impfung nicht berücksichtigt und fließt auch nicht in den entsprechenden Bundesdurchschnitt ein.

Masern und Impfung

Vor Einführung der Impfung in den 1970er Jahren waren die Masern eine weit verbreitete Kinderkrankheit, die jedoch keineswegs harmlos ist. Es sterben bis zu drei von 1000 Kindern. Insbesondere Kinder unter 5 Jahren und Erwachsene über 20 Jahren sind bei einer Infektion von Komplikationen betroffen. Gefürchtet ist vor allem die Gehirnentzündung (ein Fall auf 1.000 - 5.000 Erkrankte) mit einer Sterblichkeit von 20 - 30% und einer Heilungsquote mit Folgeschäden von über 30%. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine tükische tödliche Spätfolge einer Maserninfektion, die bei etwa einem von 10.000 Fällen auftritt. Sie betrifft in den meisten Fällen Kinder oder Jugendliche, die vor ihrem zweiten Lebensjahr die Masern durchgemacht haben.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.versorgungsatlas.de


Der Versorgungsatlas
www.versorgungsatlas.de ist eine Einrichtung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI). Er wurde institutionalisiert als öffentlich zugängliche Informationsquelle mit Studien zur medizinischen Versorgung in Deutschland. Schwerpunkt der Studien sind regionale Unterschiede in der Versorgung sowie deren unterschiedliche Strukturen und Abläufe. Die Analysen sollen Anhaltspunkte liefern, wie die Versorgung verbessert werden kann. In Diskussionsforen kann jeder Beitrag öffentlich diskutiert werden. Die Analysen der Wissenschaftler des Versorgungsatlasses basieren auf den bundesweiten Abrechnungsdaten der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Die Internet-Plattform steht aber auch anderen Forschergruppen zur Verfügung, die ihre Untersuchungen nach einem Peer-Review auf
www.versorgungsatlas.de veröffentlichen können.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1785

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Versorgungsatlas, Barbara Ritzert, 17.07.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2013