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VORSORGE/808: Interview - Impflücken bei Erwachsenen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Impflücken bei Erwachsenen

Interview mit Dr. Anne Marcic


Dr. Anne Marcic, Infektionsschutz-Referentin des Landes, im Interview mit Dirk Schnack über den Status quo in Schleswig-Holstein.


Frau Dr. Marcic, Sie engagieren sich seit vielen Jahren für das Impfen. Wie sind die Durchimpfungsraten in unserem Bundesland, wo haben wir die größten Schwachstellen?

Dr. Anne Marcic: Durchimpfungsraten gibt es nur für Kinder. Es stehen uns Daten aus der KV-Impfsurveillance für die Altersgruppen bis 24 Monate zur Verfügung. Diese sind für die MasernImpfung übrigens bereits öffentlich zugänglich unter www.vacmap.de. Eine Schwachstelle, die sich hier zeigt, ist der Impfzeitpunkt. Impfungen im Kleinkindalter erfolgen oftmals zu einem späteren Zeitpunkt als dem empfohlenen.

Außerdem haben wir Daten aus der Schuleingangsuntersuchung, bei der die Impfausweise aller einzuschulenden Kinder überprüft werden. Die Impfquoten bei Kindern sind über die Jahre kontinuierlich angestiegen und stagnieren auf einem recht hohen Niveau. Dieser Anstieg wurde u. a. erreicht durch eine höhere Verbindlichkeit bei den Kinder-Vorsorgeuntersuchungen.

Impfquoten für Erwachsene sind dagegen nicht verfügbar. Krankheitsgeschehen wie Masernausbrüche zeigen jedoch, dass diese Impflücken haben und als Infektionsquelle eine Rolle spielen. Sie können selbst schwer erkranken und fungieren als Überträger der Erkrankung. Das ist insbesondere bei jungen Eltern problematisch, die die Erkrankung an Säuglinge weitergeben, die selbst noch nicht geimpft werden können und die das höchste Risiko für eine tödlich verlaufende Enzephalitis haben.

Das ist sicherlich eine bedeutende Schwachstelle. Insofern müssen Anstrengungen unternommen werden, um die Gruppe der gesunden (jungen) Erwachsenen zu erreichen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für diese Schwachstellen?

Marcic: Erwachsene standen beim Impfschutz jahrelang nicht im Fokus. Einerseits haben Nachholimpfungen zum Schließen von mitgewachsenen Impflücken aus der Kindheit zu wenig stattgefunden, andererseits werden Auffrischungsimpfungen schlicht vergessen. Hier kommt Bewegung ins Spiel durch die STIKO-Empfehlung zur Masern-Impfung und durch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen im Sozialgesetzbuch V zu Gesundheitsuntersuchungen.

Welche Erfolge konnten in den vergangenen Jahren in Schleswig-Holstein erzielt werden?

Marcic: Auf Landesebene ist zunächst einmal das umfassende Informationsangebot zum Impfen zu nennen, das im Rahmen der Impfkampagne Schleswig-Holstein seit 2015 neu konzipiert wurde und sowohl der Fachöffentlichkeit als auch der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung steht. Dadurch allein wird noch niemand geimpft, aber es beinhaltet herstellerunabhängige objektive Basis-Informationen, die wichtig sind und die die Impfentscheidung beeinflussen. Ein Erfolg ist für mich auch, dass sich die "Impf-Akteure" aus verschiedenen Bereichen aktiv einbringen und ihre Vernetzung nutzen, um die Informationen zu verbreiten und das Impfen zum Thema machen. Exemplarisch möchte ich die ärztlichen Berufsverbände BVF (Frauenärzte), BVKJ (Pädiater) und Hausärzteverband nennen, die ebenso wie die Apothekerkammer als Multiplikatoren fungieren - und das nicht nur auf dem Papier, sondern in ihrer täglichen Arbeit.

Der öffentliche Gesundheitsdienst bietet vermehrt aufsuchende Impfangebote in Bildungseinrichtungen für junge Erwachsene an, um diese wichtige Zielgruppe zu erreichen. Diese Altersgruppe nutzt das Regelsystem oftmals nicht, weil sie einfach gesund ist. Dadurch bestehen Impflücken fort, die von den Gesundheitsämtern im Rahmen von Impfaktionstagen an Hochschulen oder berufsbildenden Schulen geschlossen werden können. Die Bemühungen zur Verbesserung des Impfschutzes von Personal in medizinischen Einrichtungen zeigen ebenfalls langsam erste Erfolge. Ein zentraler Punkt ist auch hier ein niedrigschwelliges Impfangebot, z. B. durch Unterstützung des betriebsärztlichen Dienstes vor Ort.

Welche Maßnahmen haben dazu beigetragen - was geschieht in Schleswig-Holstein über bundesweite Maßnahmen hinaus?

Marcic: Das Schließen von Impflücken bei Erwachsenen steht im Fokus. Wegen der Bedeutung als Überträger von Infektionen konzentrieren wir uns besonders auf die Verbesserung des Impfschutzes für Personal in medizinischen Einrichtungen. Auch die Förderung von Impfungen durch den öffentlichen Gesundheitsdienst ist dem Land ein Anliegen. Niedrigschwellige, aufsuchende Impfangebote tragen zu einer besseren Inanspruchnahme von Impfungen bei. Sie sind ein Alleinstellungsmerkmal des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Bei der Impfung von medizinischem Personal wird der öffentliche Gesundheitsdienst ebenfalls unterstützend in stationären Einrichtungen tätig. Krankenhäuser z. B. sind aufgefordert, Impfungen für das Personal mit dem Ziel des Patientenschutzes festzulegen und ein entsprechendes Impfangebot aufzubauen. Hierbei handelt es sich um eine Regelung im Kontext der Prävention nosokomialer Infektionen, die auch in der schleswig-holsteinischen "Krankenhaushygiene-Verordnung" (MedIpVO) abgebildet ist. Mit diesem Ansatz zur Verbesserung des Impfschutzes als Maßnahme des Hygienemanagements haben wir in Schleswig-Holstein bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Unter dem Motto "Impfen ist wie Händedesinfektion - nur machen schützt" wollen wir das Impfen zum selbstverständlichen Bestandteil der Maßnahmen der Infektionsprävention machen.

Die Impfaktionstage des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) an Hochschulen oder berufsbildenden Schulen werden zum Teil von der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung unterstützt. Das erleichtert Gesundheitsämtern, die zuvor nicht oder nicht mehr aufsuchend tätig waren, die Durchführung.

"Betriebsärzte sind eine impfende Arztgruppe, die besonders geeignet ist, gesunde Erwachsene zu erreichen."

Welche Maßnahmen vermissen Sie in Schleswig-Holstein?

Marcic: Es gibt bisher keine wirklich funktionierende Impfvereinbarung zwischen Betriebsärzten und der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 132e SGB V, auf deren Basis Betriebsärzte Standardimpfungen unkompliziert abrechnen können. Die rechtlichen Rahmenbedingungen im SGB V wurden dahingehend konkretisiert, dass die Durchführung von Standardimpfungen durch Betriebsärzte zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen kann. Die Krankenkassen haben sicherzustellen, dass Betriebsärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, Standardimpfungen vornehmen können. Die Betriebsärzte sollen die Lücke schließen, die durch Vermeidung von Arztkontakten oder Arztterminen entsteht. Betriebsärzte sind eine impfende Arztgruppe, die besonders geeignet ist, gesunde Erwachsene zu erreichen. Die Impfung kann in den Arbeitsalltag integriert werden. Diese Regelungen gilt es jetzt umzusetzen und zu nutzen, um den Impfschutz flächendeckend weiter zu verbessern. Das Land hat versucht, diesen Prozess voranzubringen, ist aber nicht am Verfahren beteiligt und hat daher praktisch keine Einflussmöglichkeiten.

Ein kleiner, aber konstanter Anteil in der Bevölkerung lehnt Impfungen grundsätzlich ab. Macht es Sinn, sich um diese Gruppe zu bemühen, oder sollte man auf die zwar skeptischen, aber gesprächsbereiten Patienten fokussieren?

Marcic: Letzteres. Echte Impfgegner sind nicht zu überzeugen. Die Ablehnung basiert auf weltanschaulichen Ansichten. Es gibt auch Impfgegner, die ihre Position mit kommerziellen Interessen verknüpfen. Sie machen tatsächlich nur einen sehr kleinen Anteil der Bevölkerung aus. Ein deutlich größerer Anteil sind die sogenannten Impfskeptiker. Diese hinterfragen kritisch z. B. die Anzahl von Impfungen und die Impfzeitpunkte. Hier lohnt es sich zu argumentieren. Als Unterstützung für die Auseinandersetzung mit Impfskeptikern stellt das Land im Internetauftritt Impfen unter www.schleswig-holstein.de/impfen in der Rubrik "Impfen A-Z", "Impfkritik, was ist dran?" Informationen zur Verfügung, u. a. auch das Infoblatt "Die Wahrheit zur MMR-Impfung". Dass die Informationsmaterialien der Impfkampagne Schleswig-Holstein herstellerunabhängig und objektiv sind, ist für die Gruppe der Skeptiker ein wichtiger Aspekt. Die zur Verfügung stehenden Informationen basieren allein auf einer fachlichen Bewertung und sind vom Land finanziert (für die Bürgerinnen und Bürger). Gerne wird von Impfskeptikern damit argumentiert, dass eine Impfentscheidung individuell sein muss und nicht einem Plan folgen sollte. Dazu ist zu sagen: Jede Impfentscheidung ist individuell, da sie zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Person getroffen wird.

Was könnten Praxisinhaber tun, um die Impfmotivation zu erhöhen?

Marcic: Den STIKO-Grundsatz, dass jeder Arztkontakt zur Überprüfung des Impfstatus genutzt werden soll, sollte so gut wie möglich in den Arbeitsalltag integriert werden. Es ist nicht immer erforderlich, die Motivation zu erhöhen, oftmals reicht es aus, die Impfungen tatsächlich anzubieten und immer daran zu denken.

Für Patienten, die überzeugt werden müssen, können die o.g. herstellerunabhängigen Informationsmaterialien der Impfkampagne SH genutzt werden. Die kostenlosen Info-Flyer gibt es für verschiedene Alters- und Zielgruppen. Ein Erinnerungssystem für anstehende Auffrischungsimpfungen ist natürlich auch hilfreich.

Sind die Ärzte ausreichend motiviert, nicht nur zu impfen, sondern Patienten auch zu überzeugen?

Marcic: Grundsätzlich sind Ärzte sicherlich motiviert, Ihre Patienten zu überzeugen. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass es diesbezüglich irgendwelche Defizite gibt. Falls Sie hier auf die Honorierung der Impfberatung anspielen, kann ich dazu wenig sagen, da das außerhalb meines Einflussbereiches liegt und ich in diese Prozesse nicht einbezogen werde.

Ein Arzt in Leer lässt nicht geimpfte Patienten nicht mehr in die eigene Praxis. Ist dieses Vorgehen aus Ihrer persönlichen Sicht gerechtfertigt? Wie weit sollten Ärzte gehen, um ihre Patienten zu schützen?

Marcic: Das ist schon eine rigorose Maßnahme, die nicht als Vorbild für alle Praxen gelten kann. Zunächst wäre interessant zu wissen, um was für eine Praxis es sich handelt. Es kommt ja immer wieder vor, dass medizinische Einrichtungen - auch Praxen - u. a. durch mangelnden Impfschutz zum Infektionsort werden. Nach einer solchen Erfahrung und bei Behandlung Infektionsgefährdeter ist es zum Schutz anderer Patienten vertretbar. In Praxen mit gefährdeten Patientengruppen (z. B. Säuglinge) sollten für diese separate Wartebereiche vorhanden sein, ggf. sind auch separate Sprechzeiten sinnvoll. Die Risikobewertung liegt in der Verantwortung des Arztes. Ärzte sollten auf jeden Fall bei sich selbst und bei ihren Mitarbeitern für einen umfassenden Impfschutz sorgen und natürlich die erforderlichen Hygienemaßnahmen beachten. Nicht zu vergessen ist, dass Hygiene und Impfschutz immer nur sich ergänzende Maßnahmen - und nicht sich ersetzende Maßnahmen - sein können.

Vielen Dank für das Gespräch



Info

- Im Jahr 2015 wurde das Informationsangebot auf Landesebene neu konzipiert und steht der Bevölkerung und der Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Die Impfakteure in Schleswig-Holstein sind vernetzt und erarbeiten gemeinsame Lösungen.

- Ein STIKO-Grundsatz lautet, dass jeder Arztkontakt zur Überprüfung des Impfstatus genutzt werden sollte. Dieser Anspruch sollte so gut wie möglich in den Arbeitsalltag integriert werden.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 10 - 11
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2019

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