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ARTIKEL/810: Die medizinische Versorgung auf Föhr, Amrum und den Halligen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2010

Sonderfall Insellage
Die medizinische Versorgung auf Föhr, Amrum und den Halligen

Von Judith Eick


Besondere Standorte machen besondere Lösungen erforderlich. Im Notfall werden Patienten per Schiff oder Lore zum Arzt transportiert.


Eine Insel ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes - auch was die medizinische Versorgung anbelangt. Diese ist vor allem im Notfall abhängig von der Wetterlage. Auf Föhr ist eine ambulante und stationäre Grundversorgung gewährleistet, doch auf Amrum gibt es keine Klinik, auf den Halligen weder Arzt noch Rettungswache. Dem Patiententransport nach Föhr oder auf das Festland kommt daher eine besondere Rolle zu.

Die Nordseeinseln Föhr und Amrum und die Halligen sind nicht nur den geographischen Eigenheiten des nordfriesischen Wattenmeeres, sondern auch besonderen saisonalen Gegebenheiten ausgesetzt. Dabei ist die jeweilige medizinische Versorgungslage sehr unterschiedlich: elf Allgemeinärzte auf Föhr, auf Amrum zwei, auf den bewohnten Halligen Hooge, Langeneß, Gröde, Oland, Süderoog und Nordstrandischmoor kein einziger.

Die Inselklinik Föhr-Amrum liegt als Akutkrankenhaus der Grundversorgung auf der größeren der beiden Inseln in Wyk auf Föhr. Insgesamt sechs Rehakliniken mit den Schwerpunkten auf Atemwegs- und Hauterkrankungen, onkologischer Rehabilitation und Mutter-Kind-Kuren verteilen sich auf beide Inseln.


Kaum eine Handvoll niedergelassene Fachärzte

Da es sich um eine beliebte Ferienregion handelt, vervielfachen sich in den Sommermonaten die zusätzlichen Besucher- und in der Folge auch die Patientenzahlen: Statt der rund 2.300 Einwohner auf Amrum und der 8.800 auf Föhr bewegen sich dort von Juni bis August jeweils 15.000 bis 20.000 Menschen. Auf der Hallig Hooge werden in der Hochsaison bis zu 100.000 Tagesgäste gezählt. Anders als auf Helgoland, wo Fachärzte vom Festland regelmäßige Sprechstunden für die Insulaner eingerichtet haben, müssen sich die Bewohner Föhrs und Amrums in den meisten Fällen selber auf den Weg zum Festland - nach Husum, Niebüll oder Flensburg - machen, wenn sie einen Facharzt aufsuchen möchten. Lediglich Gynäkologie, HNO, Innere Medizin, Hämatologie/internistische Onkologie (Föhr) und Pneumologie, sowie Kinder- und Jugendmedizin (Amrum) sind vor Ort. "Dafür haben die Hausärzte der Inseln in der Regel ein weiteres Verständnis der Bezeichnung "Allgemeinarzt" als das heute sonst üblich ist", sagt Bernhard Breymann, seit 20 Jahren Hausarzt in Norddorf auf Amrum. Er bedauert es nicht, dass kaum Fachärzte auf der Insel sind. Für diese würde das Patientenaufkommen nicht ausreichen. Gynäkologische und urologische Vorsorgeuntersuchungen führt er ebenso durch wie die Behandlung von HNO-Beschwerden oder die therapeutische Versorgung von Diabetikern. Die Inselärzte sind überdies neben der KV-Notfallbehandlung in das Rettungswesen eingebunden.

Im Notfall oder bei einem geplanten stationären Aufenthalt steht die Inselklinik in Wyk auf Föhr bereit. Sie wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der vermehrt auftretenden Angst vor Infektionskrankheiten fernab des gefährdeteren Festlands gegründet. Heute deckt die 31-Betten-Klinik das komplette Spektrum der gängigen internistischen und chirurgischen Diagnostik und Therapie ab. Zudem ist sie für die Erstversorgung von Notfällen aller Art sowohl personell als auch medizintechnisch ausgerüstet. Müssen Patienten jedoch absehbar länger als 24 Stunden intensivmedizinisch betreut oder beatmet werden, wird die zeitnahe Verlegung in die größeren Kliniken des Festlands geplant. Daher besteht für die Versorgung intensivmedizinischer Patienten eine enge Kooperation mit den Kliniken in Husum und Niebüll. Alle drei Häuser - plus die Klinik Tönning - gehören zum Klinikverbund Nordfriesland. Die Inselklinik Föhr-Amrum steht mit ihrer Ausstattung in den Bereichen der Ergometrie, Bronchoskopie, Gastro- und Koloskopie, der Ultraschalldiagnostik, dem medizinischen Labor und der radiologischen Abteilung mit Röntgen und CT auch den niedergelassenen Kollegen sowie den Ärzten der Fachklinik Satteldüne auf Amrum respektive der Rehakliniken zur Verfügung.

Dass die Inselklinik selbst die heftigen Stürme im Gesundheitswesen überstanden hat, hängt nicht nur mit dem für ihre geringe Größe breiten Therapiespektrum zusammen. Auch ein Förderverein trägt zur finanziellen Stabilität bei. Mit heute knapp 1.100 Mitgliedern unterstützt er seine Klinik seit 20 Jahren und hat bislang mehr als zwei Millionen Euro aufgebracht. Unter anderem das CT, der Farb-Doppler-Sonograph sowie moderne Betten, Rollstühle, tragbare Überwachungsgeräte, das Langzeit-EKG und eine Digitalisierungsanlage für CT- und Röntgendaten konnten dank seiner Hilfe finanziert werden. Zu den jährlichen Mitgliedsbeiträgen von rund 55.000 Euro kommen Spenden in Höhe von 20.000 bis 30.000 Euro. Auch Kurgäste und Urlauber werden aus Dankbarkeit Mitglied im Förderverein. Aufgrund ihrer peripheren Lage steht der Klinik überdies ein Sicherstellungszuschuss zu, den auf Schleswig-Holsteins Inseln neben Föhr nur noch die Klinik auf Helgoland erhält.

Eine Klinik steht den Bewohnern des nordfriesischen Wattenmeeres also zur Verfügung. Aber diese oder die größeren Kliniken des Festlands müssen im Notfall erst einmal erreicht werden.


Wetter und Zeit: Die zwei entscheidenden Faktoren

An diesem Punkt spielt das Wetter eine entscheidende Rolle. Der Rettungshelikopter Christoph Europa 5 fliegt nur bei guten Sichtverhältnissen und grundsätzlich nur von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Da es naturgemäß über dem Wasser und den Inseln häufig diesig und Christoph Europa 5 gut ausgelastet ist, wird alternativ der Helikopter Christoph 42 aus Rendsburg oder der in Kiel stationierte Hubschrauber der Bundeswehr angefordert. Diese fliegen auch nachts, Letzterer hat aber keinen Notarzt an Bord.

Wenn der Patiententransport durch die Luft nicht möglich ist, bleibt noch der Weg über das Wasser. Das Schiff steht am Ende der Transportkette, nach Rettungswagen und Hubschrauber. Die Entscheidung darüber, welches Transportmittel angefordert wird, trifft die Leitstelle in Harrislee bei Flensburg. Rund 70 Einsätze wurden von dem auf Amrum stationierten SAR-Schiff "Vormann Leiss" im vergangenen Jahr gefahren - zum Teil unter widrigsten Bedingungen auf See. "Unsere primäre Aufgabe sind eigentlich Seenotfälle", sagt Sven Witzke, 2. Vormann. Die Patiententransporte sind eine Art Nebentätigkeit der unabhängigen DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger), die diese gerne übernimmt. "Wir leben hier im Outback", ergänzt sein Kollege Hark Seesemann. "Entscheidend ist der Erfolg einer Rettungsaktion und nicht das Wie und Warum innerhalb des Systems. Wir liegen hier im Hafen Steenodde wie ein Rettungswagen oder die Feuerwehr auf der Wache."

Claudia Derichs kennt das 23-Meter-Schiff Vormann Leiss und seine insgesamt neunköpfige Besatzung gut. Sie ist Notärztin auf Amrum und hat im vergangenen Jahr rund 100 Einsätze mitgemacht, darunter auch die Flüge mit dem SAR-Hubschrauber. "Das größte Problem ist häufig die Zeit. Einen Patienten mit dem Schiff nachts und bei Sturm nach Dagebüll und von dort nach Niebüll oder Husum zu bringen, das kann schon mal zwei Stunden dauern." Hinzu kommen die Schwierigkeiten beim Anlanden unter schwerem Wetter am Molenkopf in Dagebüll. Hier ist die schmale und je nach Wasserstand zum Teil extrem steile Eisenstiege eine Herausforderung. Vor allem für schwergewichtige Patienten wird seit neuestem der Kran der Feuerwehr Niebüll hinzugeholt. Amtshilfe untereinander ist in der gesamten Rettungskette von den Inseln und Halligen bis zum Festland selbstverständlich. Bei einem Notfall auf der Hallig Gröde sind die Eiswette von Nordstrand und die Vormann Leiss vorsichtshalber gleich beide losgefahren, denn keines der beiden Schiffe war sich aufgrund des Seegangs sicher, überhaupt anlanden zu können. In einer gemeinschaftlichen Aktion haben es die beiden Crews schließlich geschafft, dem Herz-Kreislauf-Notfall ärztliche Hilfe zu bringen.


Das Projekt Hallig-Retter

Sind die Inseln schon etwas Besonderes, so sind die Halligen der Extremfall. Hier gibt es weder Arzt noch Rettungswache und schon gar keine Klinik. Aus der Not heraus wurde das Projekt Hallig-Retter gegründet. Es gehört zu einem Anfang 2008 gestarteten Projekt des KreisRettungsdienstes Nordfriesland und wird vom Gesundheitsministerium des Landes Schleswig-Holstein finanziell unterstützt. Rund 50.000 Euro aus Mitteln des "Schleswig-Holstein-Fonds" sind für die Verbesserung der medizinischen Versorgung auf den Inseln und Halligen vorgesehen. Das Geld fließt hauptsächlich in die Anschaffung von Ausrüstung und telemedizinischen Modulen. Das darauf aufsetzende Projekt Hallig-Retter funktioniert nach dem Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe": Die Bewohner der Halligen werden durch Schulungen und die entsprechende medizintechnische Ausrüstung gezielt auf das Einschreiten im Notfall vorbereitet. "Auf den Halligen ist das primäre Ziel eine lebensrettende Überbrückung des therapiefreien Intervalls während eines akuten medizinischen Notfalls. Was wir hier machen, geht weit über einen Erste-Hilfe-Kursus hinaus", erläutert Christian Wehr, Leiter des Brand-, Katastrophenschutz und Rettungswesens im Kreis Nordfriesland, sein Anliegen. Denn das therapiefreie Intervall kann unter den gegebenen Umständen auch mehrere Stunden lang sein.

Auf allen Halligen fanden im Vorfeld des Projektes gut besuchte Bürgergespräche statt. In der Folge wurden im vergangenen ersten Jahr bereits 63 der insgesamt knapp 300 Halligbewohner zu "Hallig-Rettern" geschult. Christian Wehr bestreitet das logistisch und personell aufwendige Projekt gemeinsam mit den Rettungsassistenten des Kreises Nordfriesland. Auch die zwei Gemeindepfleger der Halligen Langeneß und Hooge sind in das Fortbildungskonzept des Rettungsdienstes integriert. Ohne die breite und freiwillige Unterstützung dieses Teams wäre die ganze Aktion nicht denkbar, betont Wehr.

Auf den Halligen sind inzwischen auch anfängliche Skeptiker mit von der Partie: Ein kompletter Wiederholungskurs hat bereits Ende 2009 stattgefunden, und zwar auf Wunsch der Einwohner von Hooge und Langeneß, der beiden größten Halligen. Und das Interesse wächst. Für 2010 sind weitere Schulungen und Auffrischungskurse geplant, die zukünftig alle 12-18 Monate stattfinden werden. Es hat sich bereits während der ersten Projektphase Anfang 2009 gezeigt, wie erfolgreich und notwendig die Maßnahmen sind: 15 reale medizinische Notfälle traten in besagtem Zeitraum auf. Von der Versorgung eines Knochenbruchs bis hin zu Wiederbelebungsmaßnahmen war alles dabei. Auch das gerade angeschaffte AED-Gerät (laienbedienbarer, automatischer Defibrillator) kam zum Einsatz und die Kursteilnehmer konnten in den ungeplanten akuten Stresssituationen gleich doppelt viel lernen und halfen mit. "Eine wesentliche Verbesserung innerhalb der notfallmedizinischen Erstversorgung", bestätigen auch die Besatzungen der hinzugezogenen Rettungshubschrauber und Seenot-Rettungskreuzer. Die notfallmedizinische Hallig-Ausrüstung umfasst:

  • Notfallrucksäcke mit zahlreichen medizinischen Ausrüstungsgegenständen (u. a. Beatmungsbeutel und Sauerstoff),
  • Infusionen,
  • Absaugpumpen,
  • AED-Geräte,
  • Schienungsmaterialien,
  • Vakuummatratzen und
  • Schaufeltragen.

Da sich unter den Urlaubern und Besuchern der Halligen im Glücksfall auch Ärzte oder medizinisches Personal befinden, ergänzte die Projektleitung die medizinischen Notfallausrüstungen um zusätzliche Medikamente. Darüber hinaus wurde gemeinsam mit dem Klinikum Nordfriesland eine Telefon-Hotline eingerichtet: Die Hallig-Retter können nun zu jeder Tages- und Nachtzeit Fachärzte erreichen, die per Ferndiagnose die Maßnahmen vor Ort dirigieren.

Ein weiteres Ziel des Projektes ist die Verbesserung und Erweiterung der Patiententransporte. Hierzu wurde eine Alternative zu Helikopter und Schiff für die Halligen Langeneß, Oland und Nordstrandischmoor geschaffen. Diese sind neben den Seeverbindungen auch über einen Lorendamm erreichbar. Kann im Notfall der Hubschrauber nicht eingesetzt werden und ist die Wartezeit auf einen Seenotkreuzer sehr lang, besteht nun die Möglichkeit, Patienten mittels einer umgebauten Lore mit "Schleifkorbtrage" (eine Art Rettungswanne) von den genannten Halligen zur Deichkante zu fahren. Dort wird der Patient an einen bereitstehenden Notarztwagen übergeben.

Auch auf den Inseln sind im Zuge des Projektes die Transportmittel für Patienten neu ausgestattet und deren Verzahnung untereinander verbessert worden. Die Rettungswagen der Inseln Föhr, Amrum (und Pellworm) wurden mit neuen EKG-Geräten, Defibrillatoren und Telemedizin-Modulen aufgerüstet. Die Übertragung von EKG-Bildern an eine Klinik und deren Befundung durch einen Kardiologen sind nun bereits vom Rettungswagen aus möglich. In die telemedizinische Zusammenarbeit ist bislang das Klinikum Husum eingebunden. Auf den Inseln Amrum und Föhr wurden mit den ortsansässigen Busunternehmen und der Wyker Dampfschiff Reederei Vereinbarungen zum Transport von Leichtverletzten bei größeren Schadensfällen getroffen. Eine größere Anzahl Verletzter kann so unter medizinischer Betreuung mit den Bussen von der Unfallstelle auf die spätestens innerhalb von 45 Minuten bereitliegende Fähre und anschließend auf das Festland gebracht werden.

Der "Hallig-Retter" ist als nachhaltiges Projekt angelegt und wird von den dortigen Bewohnern getragen. Sie helfen, auch die kleinsten Eilande im nordfriesischen Wattenmeer bewohnbar zu halten.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201001/h100104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2010
63. Jahrgang, Seite 12 - 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2010

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