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BILDUNG/616: Simulationstraining - Vorboten einer anderen Weiterbildung (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2008

Simulationstraining
Vorboten einer anderen Weiterbildung

Von Werner Loosen


Endlich hat es geklappt mit dem ersten Simulationstraining an der ärztlichen Akademie in Bad Segeberg - Ende Oktober kamen zahlreiche Ärzte und Pflegepersonal von überall her aus Schleswig-Holstein in die Akademie, um "Schwierige Situationen in der Intensivmedizin" zu meistern. Kundige Anleitung gaben unter anderem Prof. Dr. Wolfgang Heinrichs, Universität Mainz, und Prof. Dr. Norbert Weiler von der Universität Kiel. In seiner Begrüßung sagte Akademieleiter Dr. Henrik Herrmann, so wie es bei Piloten längst gängige Praxis sei, den Start ihrer Maschine zunächst im Simulator zu proben, so sei es künftig nicht mehr denkbar, Ärzte in der Weiterbildung und auch Fachärzte im Rahmen der Kompetenzerhaltung ohne vorherige Übungen an Simulationsmodellen tätig werden zu lassen. Im Herbst 2005 habe der neue Akademievorstand die Eckpunkte für seine Arbeit festgelegt. Konsens gab es darüber, dass man sich dem Thema Simulationstraining stellen und dies im Rahmen der Akademie umsetzen wolle: "Der intensivmedizinische Aspekt war uns dabei wichtig", erklärte Henrik Herrmann, "denn die Intensivmedizin ist ein Paradebeispiel für interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit."


Szenario

Das Ärzteblatt folgte zwei Ärztinnen und drei Krankenschwestern vom Westküstenklinikum Heide - "die Klinik hatte uns sozusagen dringend gebeten, daran teilzunehmen" - in das von Wolfgang Heinrichs geleitete Training. Der Patient ist 55 Jahre alt und ist nach einer Darmresektion intubiert worden. Nach der Phase der Beatmung ist er aus dem Bett gefallen und erlitt eine Oberschenkelhalsfraktur. Pumpen laufen lassen, Sie dürfen Luft pumpen, wenn die richtige Rate erreicht ist, geht das gleichsam von selbst, alles klar? Diese Art des Simulationstrainings gibt es seit 1996, Vorreiter waren die Piloten, "und wir wollten die ersten in Europa sein, die das für Ärzte(innen) und Anghörige der Intensivpflege anbieten", sagt Wolfgang Heinrichs. Die Universität Mainz hat eine mehr als zehnjährige Erfahrung, sie hat viele Jahre mit der Lufthansa zusammengearbeitet. Inzwischen sind Teile der universitären Einrichtung in die private Trägerschaft AQAI GmbH ausgegliedert worden (das Kürzel steht für Angewandte Qualitätssicherung in Anästhesie und Intensivmedizin). Und: "Dr. Karl-Werner Ratschko, damals noch hauptamtlich bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein tätig, hat sofort erkannt, wie wichtig es ist, "das Simulationstraining in die Medizin zu übertragen." Mit dieser zeitgemäßen Form von angewandter Qualitätssicherung seien die so geschulten Ärzte und Schwestern sicherer in ihrer Arbeit, es gehe in jedem einzelnen Fall um das richtige Management und die nötigen Führungseigenschaften sowie um die technischen Fertigkeiten.

Zurück zu unserem Patienten mit seinem besonderen Problem: Das betroffene Bein ist wie ein Ballon angeschwollen, Kompartmentsyndrom. Er ist jetzt extubiert, Ärztin und Schwester arbeiten zusammen und legen eine Narkoseleitung, damit der Unfallchirurg tätig werden kann. Sie sprechen mit dem Patienten "tut das weh?", die Puppe antwortet, ja, das tue sehr weh, er sei aus dem Bett gefallen. Die Puppe ist ein Erwachsenen-Mannequin. Dazu gehört eine Computereinheit mit realitätsnahen physiologischen Modellen für Gasaustausch, Herz-Kreislauf-System und die Pharmakologie von rund 90 Medikamenten. Emsige Tätigkeit rund um das Bett. Wird es jetzt besser mit den Schmerzen? Atmen Sie ruhig und langsam, die Schmerzen gehen gleich weg. Sie werden jetzt müde, so, ganz ruhig. Der Patient reagiert auf Sauerstoff - hören Sie mich noch? Alles in Ordnung. Ärztinnen und Schwestern kontrollieren jede ihrer Handlungen auf Monitoren. Alle Beteiligten werden wissen, wie selten es ist, das ein Patient aus dem Bett stürzt und sich dabei ein Bein bricht - egal, hier geht es um rasche und richtige Hilfe. Der Blutdruck ist abgefallen, Sympathomimetika werden gegeben, um den Blutruck zu stabilisieren. Wolfgang Heinrichs fragt, ob der Oberschenkel jetzt geöffnet werden könne. Eine zweite Infusion wird eingeleitet. Nein, geht noch nicht, kein stabiler Blutruck. Aber der Patient drohe sein Bein zu verlieren, also los. Ein Schnitt wird simuliert. Die Operation muss noch vorbereitet werden. Eine Magensonde wird gelegt, in Ordnung, aber nicht so tief, Aspirationsschutz, also Entlastung für den Patienten. Eine Pupille ist ziemlich weit, das deutet auf eine Blutung hin. Können wir ihn jetzt in den OP fahren? Nein, ein CT ist angesagt. Warum? Der Patient war nach dem Sturz verwirrt. Das CT zeigt ein großes epidurales Hämatom, der Neurochirurg wird benachrichtigt. Bis jetzt sind 25 Minuten Tätigkeit am Patienten vergangen.


Besprechung

In einem Nebenraum treffen sich die Teilnehmerinnen mit Wolfgang Heinrichs zum Debriefing, also zur interaktiven Falldiskussion und zur Selbsteinschätzung anhand von Videoaufnahmen. Na, wie war's? Konfus. Warum? Es gab zuviel Gewusel, keine klare Struktur, bemängeln die Frauen übereinstimmend. Immerhin hätten sie sich ganz gut in den unterschiedlichen Situationen geholfen, die Zusammenarbeit sei gut gewesen. Die Videoaufnahmen zeigen genau, was wer wann getan hat, am unteren Rand laufen die jeweiligen Messbefunde. Ja, wir haben sofort Hilfe geholt, wichtig war, dass der Patient umgehend schmerzfrei war. Gut war auch, dass sofort eine Dauersedierung lief. Dank unverzüglicher Volumentherapie sei der Patient ganz schnell aus seinem Schockzustand geholt worden. Richtig sei zudem gewesen, dass dem ganzen Team per Ansage mitgeteilt worden war, dass der Patient zu dem gegebenen Zeitpunkt gut beatmet war "in derartigen Notfallsituationen empfiehlt sich eine laute Ansage", erklärt Wolfgang Heinrichs. Gab es tatsächlich ein Gewusel? Nein, eigentlich nicht. Warum haben Sie das so empfunden? Vielleicht deshalb, weil es in unserem Klinikum eine andere Organisationsstruktur gibt. Wolfgang Heinrichs meint jedenfalls, er habe hier eine ganz tolle Teamarbeit gesehen. "Und wenn es trotzdem mal Gewusel geben sollte - klare Ansagen machen." Zudem hätten alle fünf Teilnehmerinnen ständig ihre Positionen wechseln müssen, auch dadurch sei der Eindruck von Gewusel entstanden. Die Videobilder belegen diese Aussage. Ein weiterer Hinweis des Mainzer Anästhesisten: "Wir alle wissen, dass der Patient nicht so schnell sein Bein verliert. Sie haben also richtig reagiert, als Sie dem hinzutretenden Chirurgen klar angezeigt haben, dass er zum gegebenen Zeitpunkt noch nichts am Patienten zu suchen hatte!" Wolfgang Heinrichs lobte schließlich die "tolle Leistung, wie Sie die Blutung im Gehirn mitbekommen haben - wie haben Sie das geschafft? Sie konnten nicht wissen, dass sich da eine intrakranielle Blutung als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas entwickelt hat." Der Venendruck war nicht optimal, das veranlasste eine der jungen Ärztinnen, dem Patienten in die Augen zu sehen und eine geweitete Pupille festzustellen.

Im Ergebnis gab es hier ein gutes, kundiges und zuverlässiges Arbeiten. "Was würden Sie anders machen, wenn die gleiche Situation wieder auf Sie zukäme?" Feste Aufgaben verteilen. Frage: Waren wir nicht zu viele Leute am Patienten? "Na gut, fünf Leute, das ist vielleicht ein wenig unrealistisch, bei den vielfältigen Aufgaben aber durchaus vertretbar. Immerhin hatten Sie soviel zu tun, dass niemand daran gedacht hat, ein Protokoll zu führen." Fazit: Ein solches Training ist erforderlich, es erlaubt das gezielte und sichere Training seltener und/oder wichtiger Probleme. Kein Wunder, dass die Simulation einen wachsenden Raum in der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung einnimmt.


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Weitere Szenarien, etwa eine Tracheotomie, wurden durchgespielt an insgesamt fünf Tagen im Oktober, unterbrochen von kurzen Vorträgen. So sprach Norbert Weiler vom Universitätsklinikum Kiel zum Thema Sepsis. Generell gelte bei der Sepsis der Satz: "Wir sind nicht so gut, wie wir vielleicht denken!" Zu den vier Säulen der Sepsis-Therapie zählte Norbert Weiler Prävention, kausale, supportive und adjunktive Therapie. Ganz wichtig sei die Diagnose! Und: "Wir vernachlässigen häufig die kausalen und supportive Therapien, um uns hauptsächlich um die adjunktive Behandlung zu kümmern. Wenn wir aber die Sterblichkeit senken wollen, müssen wir früher anfangen!" Schwierig ist nach den Worten des Kieler Wissenschaftlers die Diagnose, denn "meist wird von Sepsis erst gesprochen, wenn ein septischer Schock festgestellt wird." Dem könne begegnet werden, wenn Faktoren wie Fieber, Hypotonie, Herzfrequenz oder Tachypnoe beachtet würden. Auch werde die Antibiotikatherapie viel zu oft zu spät begonnen. Würden hingegen alle diese Punkte beachtet, könnte die Sepsis-Mortalität auf 20 Prozent gesenkt werden. Ein weiterer Hinweis: Die Sepsis-Mortalität hängt immer auch ab vom Ausbildungsstand und der Zahl des Personals. "Bedenken Sie zudem - es geht nicht darum, den Patienten am Leben zu erhalten, sondern darum, ihn gesund zu machen. Das gilt auch auf der Intensivstation."


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Vom Ärzteblatt befragt, was dieses Simulationstraining bei ihr bewirkt habe, sagte eine der Schwestern: "Ich fühle mich auf jeden Fall sicherer. Ich wünsche mir ein solches Training zweimal im Jahr!" Auch wenn sich alles an einer Puppe abspielte, die Geschäftigkeit der fünf Frauen, die Geräusche der Geräte vermittelten den Eindruck eines höchst realistischen Geschehens. Es ging eindrucksvoll darum, dem Patienten die richtige Hilfe zu geben, es ging um das Leben eines Patienten.

Werner Loosen, Faassweg 8, 20249 Hamburg


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2008 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2008/200812/h081204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Zur Kontrolle: Jeder Handgriff wird überwacht und aufgezeichnet zur späteren Analyse
- Beim Intubieren der Simulationspuppe: Teilnehmer des Kurses Simulationstraining vom 27.10.-31.10.08.
- Besprechung: Prof. Dr. Wolfgang Heinrichs ist bei den Simulationsübungen persönlich dabei
- Nach den Übungen erfolgt ein grundsätzliches Debriefing


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2008
61. Jahrgang, Seite 31 - 34
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -181
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2009