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ETHIK/853: Zwangsernährung von inhaftierten Personen - Ärzteschaft und Pflegende wehren sich (SAMW)


Zentrale Ethikkommission (ZEK) der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)
Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte
Forum der Gesundheitsdienste des Schweizerischen Justizvollzugs
Medienmitteilung - Bern, 29. September 2010

Zwangsernährung von inhaftierten Personen

Ärzteschaft und Pflegende wehren sich gegen Instrumentalisierung der Medizin


Das Schweizerische Bundesgericht hält in einer Medienmitteilung zum Fall Bernard Rappaz fest, die Strafvollzugsbehörde müsse nötigenfalls eine Zwangsernährung anordnen. Weil eine Zwangsernährung den freien Willen von urteilsfähigen Patienten untergräbt, erinnern zahlreiche im Gesundheitswesen tätige Berufsverbände mit Nachdruck an die ethischen Grundsätze der Medizin, welche auch von der Rechtssprechung zu berücksichtigen sind.


Mit Urteil vom 26. August 2010 hat das Bundesgericht die Beschwerde von Bernard Rappaz abgewiesen und damit eine Unterbrechung seines Strafvollzugs verweigert. Ende Oktober 2010 will das Bundesgericht die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlichen. Darin wird eine mögliche Zwangsernährung von Bernard Rappaz ein zentrales Thema sein. Bereits die Medienmitteilung zur öffentlichen Urteilsberatung vom 26. August 2010 stellt fest, dass nach Ansicht des Bundesgerichts die Vollzugsbehörden bei Häftlingen im Hungerstreik eine Zwangsernährung anzuordnen hätten, sofern bleibende gesundheitliche Schäden oder der Tod nicht anders abzuwenden wären. Diese Haltung des Bundesgerichts widerspricht dem international anerkannten Grundsatz der medizinischen Ethik, wonach der Wille von urteilsfähigen Patienten in jedem Fall zu respektieren ist. Und - dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch, wenn es sich um inhaftierte, urteilsfähige und informierte Personen handelt.

Die Autonomie des Patienten ist einer der zentralen Grundpfeiler in der medizinischen Behandlung. Verlangt das Bundesgericht von Ärzten und weiteren in der Medizin tätigen Fachpersonen, dass sie den Willen des urteilsfähigen Patienten jenem der Behörde unterordnen, setzt sich das Gericht nicht nur über den freien Willen und die Selbstbestimmung der Bürger hinweg, sondern verunmöglicht auch eine Ausübung der ärztlichen und pflegerischen Tätigkeit gemäss internationalen Grundsätzen.

Deshalb erinnern die FMH, die SAMW, der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, die Zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften ZEK, die Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte und das Forum der Gesundheitsdienste des Schweizerischen Justizvollzugs das Schweizerische Bundesgericht daran, künftig seine Verantwortung wahrzunehmen und keine Entscheidung zu treffen bzw. keine Urteilsbegründung zu verfassen, die den ethischen Grundsätzen der Medizin widerspricht, sei dies im Gefängnis oder anderswo.


Eingehende Informationen finden Sie in der Schweizerischen Ärztezeitung 39/2010:

«Hungerstreik im Gefängnis», eine Deklaration der wichtigsten involvierten Institutionen wie der FMH, der SAMW, der Zentralen Ethikkommission und der Gefängnisärzte
http://www.saez.ch/pdf d/2010/2010-39/2010-39-852.PDF

«Die Medizin, die Ärzte und die Richter ...», Editorial von Jacques de Haller, Präsident der FMH
http://www.saez.ch/pdf d/2010/2010-39/2010-39-880.PDF

«Ein Hungerstreik ist eine Protesthandlung», 22 Autoren zeichnen für dieses Grundsatzpapier verantwortlich
http://www.saez.ch/pdf d/2010/2010-39/2010-39-854.PDF

Brief des IKRK zum Thema Hungerstreik und Zwangsernährung
http://www.saez.ch/pdf d/2010/2010-39/2010-39-861.PDF

«Richtlinien und Deklarationen zum Thema Hungerstreik und Zwangsernährung»
http://www.saez.ch/pdf d/2010/2010-39/2010-39-851.PDF

Auskunft:
FMH - Jacqueline Wettstein, Leitung Kommunikation, E-Mail: jacqueline.wettstein@fmh.ch
SAMW - Michelle Salathé, lic. iur., stellvertretende Generalsekretärin E-Mail: m.salathe@samw.ch


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Quelle:
SAMW - Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
Petersplatz 13, 4051 Basel, Schweiz
Telefon: 0041-(0)61/269 90 30, Fax: 0041-(0)61/269 90 39
E-Mail: research@samw.ch
Internet: www.samw.ch
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Elfenstrasse 18, Postfach 170, 3000 Bern 15, Schweiz
Telefon: 0041-(0)31/359 11 11, Fax: 0041/(0)31/359 11 12
E-Mail: info@fmh.ch
Internet: www.fmh.ch


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2010