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FORSCHUNG/2077: Bio-Architektur gegen Krebs und Alterung (ipse)


ipse Communication GmbH - Mittwoch, 4. November 2009

Bio-Architektur gegen Krebs und Alterung


In der Zellforschung wird ein neues Kapitel aufgeschlagen: Jenseits genetischer und biochemischer Prozesse betrachten Forscher die physikalischen Eigenschaften von Zellen und den Einfluss physikalischer Gegebenheiten wie Kompression, Streckung und Umgebungsbeschaffenheit auf den Gesundheitszustand von Zellen. Die Ergebnisse ermöglichen völlig neue Ansätze für die Krebsbekämpfung und Anti-Aging-Therapien.


Das Verhalten von Zellen beruht nicht nur auf biochemischen Prozessen und genetischen Informationen, sondern hängt auch von physikalischen Einflüssen wie Kompression, Streckung oder auch der Beschaffenheit ihrer Umgebung ab. Diese Faktoren sind so stark, dass sie bestimmend dafür sein können, welche Entwicklung eine Stammzelle nimmt: zur Gehirn-, zur Knochenzelle l oder auch zur Krebszelle. Solche Effekte nehmen Forscher als Basis für ganz neue medizinische Ansätze gegen Krebs und Hautalterung.

Als junger Student sah Donald Ingber in den 70er Jahren in einer Vorlesung von Buckminster Fuller, wie dieser eine kleine Skulptur aus Gummibändern und Stäben flach drückte, und als er sie losließ, sprang sie sofort wieder in ihre ursprüngliche Form. Das Bauprinzip der Skulptur nannte Fuller "Tensegrity" l auf Spannung beruhende Integrität.

Das allein wäre noch kein Schlüsselerlebnis gewesen, das den weiteren Weg des heutigen Professors für Gefäßbiologie an der Havard Medical School in Boston prägen sollte. Aber wenig später machte Ingber beim Züchten von Krebszellen eine frappierend ähnliche Entdeckung: Als er ein Enzym auf die flach "liegende" Zellkultur gab, um sie von der Schale abzulösen, sprangen die aus ihrer molekularen Verankerung befreiten Zellen in ähnlicher Weise in ihre Form wie die Skulptur, die er zuvor in der Vorlesung gesehen hatte.

Ingber erkannte in dem Aufrichten der Zellen das gleiche Prinzip, wie in dem Verhalten des Skulpturmodells und geht seither von einer Zellarchitektur aus, die sich physikalisch ebenfalls nach Tensegrity-Regeln verhält. Nach jahrelanger Pionierarbeit hat er inzwischen mit seinem Team von der Harvard-Universität nachgewiesen, dass die mechanische Spannung der Zelle für deren Funktionsabläufe von wesentlicher Bedeutung ist.

Darüber hinaus hängt laut Ingber die gesamte Entwicklung der Zelle stark von mechanischen Einflüssen ab: Wird eine Stammzelle auf eine bestimmte Art und Weise gestreckt, entwickelt sie sich zu einer Hirnzelle; wird sie auf andere Art gezerrt, so entwickelt sich sich eher zu einer Knochenzelle. Die Forscher konnten sogar Krebszellen durch mechanische Einflüsse dazu bewegen, sich wie eine gesunde Zelle zu verhalten.

Die Forschungsergebnisse bieten einen neuen Blick auf die physikalischen Eigenschaften des Körpers und können wichtige medizinische Verfahren wie Krebstherapie, Zelltherapie und Gewebezucht revolutionieren. Ingber: "Zweifellos sind die Erkenntnisse aus dieser Forschung in den letzten fünf Jahren geradezu explodiert."

Für Ingbers Erkenntnisse interessieren sich inzwischen auch Global Player wie Chanel: "Wir versuchen bei unseren Forschungsarbeiten, den Interaktionen und nicht nur einzelnen Elementen wie Genen oder Proteinen auf den Grund zu gehen", erläutert Marie Seigneur, wissenschaftliche Entwicklungsleiterin bei Chanel, auf einer Pressekonferenz in Paris. "In diesem Zusammenhang haben wir uns die Frage gestellt, welche Einflüsse Tensegrity auf die alternde Haut haben könnte." Mit zunehmendem Alter verändern sich Form und Aktivität der Haut, besonders auf der Ebene der Bindegewebszellen (Fibroblasten), die für die Produktion des hauteigenen Kollagen wichtig sind. Mit zunehmendem Alter verlieren die Fibroblasten an Spannung und können sich nicht weiter vermehren.

"Die Haut verhält sich dann so als ob sie verletzt sei", erklärt Seigneur. "Stellen wir die Fibroblasten in kollagenreicher Umgebung unter Spannung, so werden sie aktiv." Sie formten Matrix aus, vermehrten sich und produzierten hautfreundliche Cytokine. Seien sie nicht unter Spannung, dann wirkten sie entzündlich: Sie zerstörten die Matrix, produzierten Elemente, die die Fasern trennen, teilten sich nicht mehr und sendeten entzündliche Botenstoffe aus, genau wie dies bei Hautverletzungen der Fall sei.

Die Matrix kann die Zellen dann nicht mehr verankern, wodurch die Zellen ihre Funktion nicht mehr in der üblichen Art und Weise ausüben können. Die Haut ist nicht mehr wie zuvor fixiert. Auch Lederhaut und Epidermis verlieren ihren engen Kontakt, verringern ihren Austausch und sind weniger aktiv. Der Verlust der Spannungsintegrität ist demnach eng mit der Hautalterung verbunden.

Tensegrity auf Ebene der Zellen und Moleküle

Auf der molekularen Ebene hat die Chanel-Forschung Elemente der Zelle identifiziert, die die flexible Spannung erzeugen. Tensin1 ist das Molekül des Bindegewebes, das für die Aufrechterhaltung der Spannkräfte -- und damit für korrekte Funktionsabläufe innerhalb der Zelle -- notwendig ist. Tensin1 nimmt mit steigendem Alter ab und verringert so die Spannkraft der Haut - die Haut altert. Zwei weitere Moleküle, die der Aufrechterhaltung der Hautspannung dienen, sind lysyl oxydase-like 2 (LOXL2) und Kollagen VII (collVII). LOXL2 trägt zur Strukturierung und Regenerierung der Hautfasern Elastin und Kollagen in der extrazellulären Matrix bei. Kollagen VII fixiert das Kollagennetzwerk der Lederhaut an die Basalmembran der Epidermis und stellt so die Verbindung zwischen Lederhaut und Epidermis wieder her.

Auf der Grundlage dieser Arbeiten entwickelt Chanel Research eine einzigartige polyaktive Verbindung, die in der Lage ist, gleichzeitig auf alle Zielfaktoren einzuwirken und dabei die Tensin1-, LOXL2- und Kollagen VII-Expression anregt.

"Tensegrity"

Tensegrity = tensional integrity. Das Konzept der auf einem Gleichgewicht von Spannungs- und Druckkräften beruhenden Beständigkeit von Strukturen wird dem Architekten R. Buckminster Fuller und dem Künstler Kenneth Snelson zugeschrieben. Sie entdeckten, dass sich aus Stäben und Seilen ein stabiles, in sich geschlossenes System bilden lässt. Dabei berühren sich die Druckelemente (Stäbe) nicht und sind nur durch Zugelemente (Seile) miteinander verbunden. Dies verleiht ihnen Stabilität, Elastizität und ein hohes Maß an Symmetrie.

Ingbers Konzept der Tensegrity als Bauprinzip der Zelle

Bereits seit einiger Zeit wird das Konzept auf die Architektur des Lebens angewendet (Ainsworth C., Nature 2008; 456: 696-699). Federführend ist der Harvard-Professor Donald Ingber, Boston, NH, USA. Der Biologe hatte in einem Architekturseminar gesehen, wie der Dozent eine Tensegrity-Struktur flach drückte und wie diese sofort in ihre ursprüngliche Form zurücksprang, als der Druck nachließ. Er bemerkte die Analogie zur Formveränderung von Tumorzellen, die zunächst in Kultur als "Zellrasen" gezüchtet werden, wo sie eine abgeflachte Form aufweisen. Werden sie abgelöst, runden sie sich sofort ab. Mit der Formveränderung gehen funktionelle Veränderungen einher. Andere genetische Programme werden aktiv. Während Zellen und Lebewesen im Zustand der "tensional integrity" die charakteristischen Eigenschaften Stärke, Flexibilität und Widerstandskraft aufweisen, gehen diese verloren, wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät. Und genau das scheint bei der Hautalterung zu passieren.


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Quelle:
ipse Communication GmbH
Pressemitteilung vom 4. November 2009
Daniel Postulka
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009