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FORSCHUNG/2186: Lachgas und Stickoxid aus dem Mund - Bakterielle Nitratatmung im menschlichen Zahnbelag (idw)


Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie - 27.04.2010

Lachgas und Stickoxid aus dem Mund
Bakterielle Nitratatmung im menschlichen Zahnbelag


Zusammen mit amerikanischen und belgischen Kollegen fand ein Team vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie heraus, dass Bakterien im menschlichen Zahnbelag mit Nitrat anstelle von Sauerstoff atmen können und dabei auch Lachgas und Stickoxid freisetzen.

Bei diesem Denitrifikation genannten Prozess dient ein Salz, das Nitrat, bestimmten Bakterien als Oxidationsmittel bei der Atmung, und übernimmt damit die gleiche Funktion wie der Sauerstoff beim Menschen. Denitrifikation ist für Meere, Seen und Flüsse bereits sehr gut untersucht und konnte nun erstmals für den menschlichen Zahnbelag nachgewiesen werden.

Ausschlaggebend ist nitratreiche Nahrung, wie Blattsalate oder Rote-Beete-Saft, die im Speichel zu extrem hohen Konzentrationen an Nitrat führt, welches dann von den nitratatmenden Bakterien im Zahnbelag umgesetzt wird. Dabei entstehen gasförmige Stoffwechselprodukte wie Stickoxid, Lachgas und Stickstoff. Dass Zahnbelag zu Karies und Zahnfleischentzündungen führen kann, ist nichts Neues. Die aktuelle Veröffentlichung lässt nun weiterhin vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und den bakteriellen Stickstoffumsetzungen im Zahnbelag gibt. Stickoxid ist ein bekanntes Signal-Molekül im menschlichen Körper, welches vielleicht auch für die Kommunikation zwischen den Prozessen im Zahnbelag und im Zahnfleisch verantwortlich ist. "Die Mengen an Stickoxid sind physiologisch relevant. Es ist bekannt, dass Stickoxid die Blutgefäße erweitert, so den Blutdruck senkt und zudem als Signalstoff im Nerven- und Immunsystem dient", sagt Dr. Frank Schreiber, der Ansprechpartner der Studie. "Ob das bei der Denitrifikation produzierte Lachgas die Stimmung erhellen kann, ist allerdings eher fraglich", ergänzt Dr. Peter Stief, der ebenfalls an dieser Studie mitgearbeitet hat. Tatsächlich ist die Menge des gebildeten Lachgases zu gering, um bekannte physiologische Funktionen, wie z.B. Betäubung hervorzurufen. So benutzten Zahnärzte in früheren Zeiten deutlich höhere Mengen, um ihre Patienten zu narkotisieren, als im Zahnbelag gebildet wird.

Mediziner wissen schon lange, dass der menschliche Körper von einer Vielzahl von Mikroorganismen besiedelt ist. Intensive Studien über deren tatsächliche Stoffwechselaktivität innerhalb ihres natürlichen Lebensraumes sind jedoch selten. Vielmehr haben Mediziner traditionell versucht, bestimmte Krankheitserreger zu isolieren, um sie dann unter künstlichen Laborbedingungen zu erforschen. Im Gegensatz dazu sieht die Strategie der Meeresforscher vom Bremer Max-Planck-Institut vor, Messmethoden zu entwickeln, mit denen sie direkt im Meeresboden bakterielle Stoffwechselprozesse verfolgen können. Aufmerksam geworden auf diese Techniken ist der US-Mikrobiologe Prof. Paul Stoodley aus Pittsburgh, der sich seit Jahren mit medizinisch relevanten Bakterien beschäftigt. Fasziniert von den Bremer Methoden hat Stoodley den Meersforschern eine interdisziplinäre Kooperation angeboten, um zu untersuchen, ob im menschlichen Zahnbelag ähnliche Prozesse wie im Meeresboden ablaufen. Die Bremer Wissenschaftler verwendeten hierzu eine Kombination aus Mikrosensormessungen, Analysen mit stabilen Stickstoffisotopen und molekularen Methoden zur Erfassung der für die Denitrifikation verantwortlichen Gene.

Frank Schreiber, der für diese Studie "ganz im Sinne der Forschung" auch schon mal auf das Zähneputzen verzichtet hat, ist überzeugt: "Die Untersuchung der im Menschen vorkommenden Bakteriengemeinschaften in ihrer natürlichen Zusammensetzung stellt eine wichtige Ergänzung zur Untersuchung von einzelnen Bakterien dar. Die Aktivität einer Bakteriengemeinschaft ist oft weitaus vielfältiger, als man es mit dem Wissen über die Aktivität einzelner in ihr enthaltener Bakterienarten vorhersagen würde". Die moderne Wissenschaft begreift den menschlichen Körper immer mehr auch als natürlichen Lebensraum für Mikroorganismen, der in verschiedensten Körperteilen besondere ökologische Nischen für Bakterien bereithält. So laufen derzeit mehrere internationale Großprojekte zur Entzifferung des bakteriellen Metagenoms (Human Microbiome) der menschlichen Mundhöhle, der Vagina, der Haut und des Darms, nicht nur um Erkrankungen besser behandeln und deren Ursachen verstehen zu können, sondern auch um das natürliche, gesundheitsfördernde Zusammenleben von Mensch und Mikrobe besser zu verstehen.


Weitere Informationen finden Sie unter
- http://www.mpi-bremen.de
   Homepage des Max-Planck-Instituts
- http://www.mpi-bremen.de/Lachgas_und_Stickoxid_aus_dem_Mund.html
   Pressemitteilung
- http://www.biomedcentral.com/1741-7007/8/24
   Originalartikel

Originalartikel:
F. Schreiber, P. Stief, A. Gieseke, I. M. Heisterkamp, W. Verstraete
D. de Beer, and P. Stoodley. 2010.
Denitrification in human dental plaque.
BMC Biology
http://www.biomedcentral.com/1741-7007/8/24

Beteiligte Institute:
- Microsensor Research Group
   Max Planck Institute for Marine Microbiology
   Celsiusstrasse 1, 28359 Bremen, Germany
- Laboratory of Microbial Ecology and Technology (LabMET)
   Ghent University, Ghent, Belgium
- Center for Genomic Sciences
   Allegheny General Hospital/
   Allegheny-Singer Research Institute
   Pittsburgh, PA, USA
- National Centre for Advanced Tribology at Southampton (nCATS)
   School of Engineering Sciences
   University of Southampton, Southampton, UK

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

http://idw-online.de/pages/de/image114404
Schema für die Umwandlung von im Speichel enthaltenem Nitrat (NO3-) in Stickoxid (NO) und Lachgas (N2O) durch Denitrifikation im Zahnbelag. Die gasförmigen Produkte Stickoxid und Lachgas werden dabei in die Atemluft freigesetzt. Die durch Denitrifikation gebildeten Mengen an Stickoxid sind so hoch, dass sie potentiell auf die im Gaumen befindlichen Immun-, Nerven- und Blutgefäßzellen wirken können.

http://idw-online.de/pages/de/image114405
Einblick in die Methode, mit der Stickoxid im Zahnbelag des Menschen gemessen wurde. Von oben nähert sich die Spitze eines elektrochemischen Stickoxid-Mikrosensors der intakten Zahnbelagsprobe, die unmittelbar vorher aus dem Mund entnommen wurde. Die nur 0.05 mm dünne Spitze des Sensors ist mit einer gasdurchlässigen Membran ausgestattet, durch die das gasförmige Stickoxid in den Sensor eindringen und somit gemessen werden kann.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution536


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Dr. Manfred Schloesser, 27.04.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010