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KRIEGSMEDIZIN/025: Hilfe oder Beihilfe? - Versorgung von Kriegsopfern in Zeiten neuer Kriege (mi)


medico international - Hintergrund - 30.06.2009

Hilfe oder Beihilfe?

Über die medizinische Versorgung von Kriegsopfern in Zeiten neuer Kriege

Von Thomas Gebauer


Ein Beitrag anlässlich der Ausstellung "Krieg und Medizin" im Deutschen Hygiene-Museum Dresden (4.4.-9.8.2009)(*)


I.

Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes ist die Welt nicht sicherer geworden. Die Gewalt, die heute aus der globalen Spaltung in einen prosperierenden "Norden" und den in Armut und Demütigung gehaltenen "Süden" rührt, nimmt auf besorgniserregende Weise zu. Bereits Anfang der 90er Jahre hat Hans Magnus Enzensberger auf diese Entwicklung hingewiesen. In seinem Essay Ausblicke auf den Bürgerkrieg warnte er vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Weltmaßstab. Die Lage, die inzwischen eingetreten ist, scheint Enzensberger Recht zu geben. 2007 zählte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung 328 politische Konflikte, darunter 6 Kriege und 25 "ernste Krisen", die mit massiver Waffengewalt einhergingen. Dort, wo es zu Kampfhandlungen gekommen ist, waren meist ethnische Spannungen, Verteilungskämpfe, das Interesse an Rohstoffen oder terroristische Gewalt die auslösenden Faktoren.

Die neuen Kriege, die heute in Ländern wie dem Kongo, in Somalia, Afghanistan oder Kolumbien herrschen, haben nichts mehr von den militärischen Auseinandersetzungen, die früher zwischen und innerhalb souveräner Staaten ausgetragen wurden. Weder geht es um territorialen Zugewinn, noch stehen Ideen revolutionärer Umwälzung im Vordergrund. Charakteristisch für die neuen Kriege ist ihre Entgrenzung, die zu einem eigentümlichen Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden führt. Vielerorts ist kriegerische Gewalt nicht mehr die Ausnahme, sondern Alltag, und selbst wenn die Waffen einmal schweigen, bedeutet das oft nur, dass der Krieg eine Pause einlegt. Militärische Fronten im herkömmlichen Sinne sind dabei kaum noch auszumachen; ebenso wenig klare Unterscheidungen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. In Afghanistan, wo seit über 30 Jahren Krieg herrscht, stehen heute 2.000 verschiedene bewaffnete Oppositionsgruppen den intervenierenden NATO-Truppen gegenüber.

Der Ausblick auf den globalen Bürgerkrieg hat auch die Länder des Nordens auf den Plan gerufen. Um Sicherung ihrer Vormacht und Privilegien bemüht, haben sie zuletzt immer wieder mit militärischen Mitteln in die Gewaltverhältnisse eingegriffen. Wie in Afghanistan sind daraus asymmetrische Kriege geworden, in denen die vermeintlich schwächere Seite mit unkonventionellen Kriegsmethoden versucht, die technologische Überlegenheit der anderen Seite wettzumachen. Auf vielfältige Weise kommt dabei insbesondere die Zivilbevölkerung zu schaden.



II.

Seit langem sind es nicht mehr alleine Soldaten, die in Kriegen umkommen. Lag der Anteil der zivilen Toten im ersten Weltkrieg noch bei 10%, stieg er im 2. Weltkrieg bereits auf 50%, im Vietnam-Krieg dann auf 70% und liegt heute im Fall der Kriege in Afghanistan und dem Irak bei etwa 80-90%. Für die Verschiebung der Kriegslast auf die Zivilbevölkerung sind mehrere Gründe auszumachen. Die unkontrollierte Verbreitung von Kleinwaffen ist von Bedeutung; auch die Informalisierung der Gewalt, die in vielen Ländern des Südens als Folge des Zusammenbruchs staatlicher Institutionen zu beobachten ist, spielt eine Rolle. Entscheidend aber sind die Strategien heutiger Kriegsparteien. Zivile Opfer sind keineswegs mehr nur unerwünschte Begleiterscheinungen, sondern werden bewusst in Kauf genommen.

Lokale Kriegsfürsten, Privatarmeen multinationaler Rohstoffunternehmen, religiöse Milizen und separatistische Gruppen: Viele der neuen Gewaltakteure fühlen sich nicht mehr an das humanitäre Völkerrecht gebunden, nicht wenige haben noch nie davon gehört. Gezielt machen sie Zivilpersonen zu Geiseln ihrer machtpolitischen Ansprüche und schrecken dabei nicht davor zurück, Gefolgschaft mit Mitteln der Einschüchterung und des Terrors zu erzwingen. Bombenanschläge auf Marktplätzen, die Verminung von Schulwegen, Brunnen und Ackerflächen, Massenvergewaltigungen, Folter und Massaker - all das sorgt für ein Klima der Angst, erzwingt Respekt im eigenen Lager und zielt auf die Demütigung der jeweils anderen Seite. Immer wieder gerät dabei die Gewalt vollends außer Kontrolle. In Sierra Leone leben heute Zigtausende von "Menschen ohne Hände": Opfer systematischer Verstümmelungen, die den Irrsinn einer Kriegsführung symbolisieren, der schließlich nur noch darauf aus war, dem Land die Zukunftschance zu rauben.

Hilfsorganisationen, die sich um die Opfer der heutigen Kriege kümmern, stehen vor großen Herausforderungen. Doch sie haben es nicht nur mit den Folgen einer mitunter atavistisch anmutenden Gewalt zu tun. Auch technologisch hochgerüstete Armeen, die sich gerne mit der Aura des zivilisatorischen Fortschritts umgeben, greifen zu Strategien, die bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier nehmen. "Shock and Awe" nannten die USA ihre Invasion im Irak 2003, die auf volle Feuerkraft setzte, um sich in der irakischen Bevölkerung Respekt zu verschaffen. Ein Vorgehen, das sich auch Israel im Gaza-Krieg 2008/2009 zu eigen machte, als es gleich in den ersten Tagen Hunderte von zivilen Opfer auf palästinensischer Seite in Kauf nahm, um den Gegner zu schockieren.

Vorrangiges Ziel ist der Schutz der eigenen Truppen, der am besten durch Kriegsführung aus der Luft gelingt. In Tschetschenien, dem Kosovo, in Afghanistan, dem Irak, im Libanon: Immer wieder sind dabei Waffen zum Einsatz gekommen, die gerade auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen haben. Tonnenschwere Fliegerbomben, deren Druckwellen Lungenrisse und Organzerquetschungen verursachen und im Umkreis von mehreren hundert Metern alles Leben zerstörten. Abgereicherte Uranium-Bomben, die zwar Panzer brechen können, aber zugleich schwerste Missbildungen hervorrufen. Aerosol- bzw. Vakuum-Bomben, deren Feuerwalzen auch in Häuser und Höhlen dringen und erstmals von Russland in Tschetschenien getestet wurden. Schließlich Streuwaffen, denen in den letzten Jahren über 100.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und die per definitionem nicht zwischen Soldaten und Zivilisten unterscheiden können. Ohne dass die Befehlsgeber noch einen direkten Kontakt zum Gefechtsfeld haben müssen, lassen sich heute ganze Landstriche unbewohnbar machen. Computerprogramme, gefüttert mit Geheimdienstinformationen und satellitengestützter Fernaufklärung, errechnen Ziele und Abschusszeitpunkte. Auf bemerkenswerte Weise korrespondiert der Terror der einen Seite mit den virtuell anmutenden Kriegshandlungen der anderen. Dabei verliert das Leben von Zivilpersonen an Bedeutung: Sie sind den einen Mittel zum Zweck und gelten den anderen als unpersönliche "Kollateralschäden".



III.

Um den im Kriegsvölkerrecht geregelten Schutz der Zivilbevölkerung steht es nicht gut. Zwar werden Politiker aller Couleur nicht müde, das Humanitäre zu betonen, doch spüren die Menschen, die den eskalierenden Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind, wenig davon. Allein im Kongo sind seit Mitte der 90er Jahre etwa 4 Mio. Menschen den Kampfhandlungen zum Opfer gefallen. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2004. Danach sind keine verlässlichen Angaben mehr zu finden. Das Grauen hat längst jede Vorstellungskraft überschritten.

Die Menschen im Kongo sterben in einem Krieg, in dem es immer schwerer fällt, ihnen ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Die eh nur schwach ausgebildete medizinische Infrastruktur des Landes ist weitgehend zusammengebrochen. Sanitätsdienste bleiben Soldaten, Privatarmeen und Milizen vorbehalten. Einheimische Ärzte, die es sich leisten konnten, sind in die Städte oder ins Ausland geflohen; Krankenhäuser wurden aufgegeben. Vielerorts sind es nur noch ausländische Hilfsorganisationen, die für Abhilfe sorgen. Dort, wo sie Zugang bekommen, aber sehen sie sich mit Erwartungen konfrontiert, die kaum zu erfüllen sind. Neben der Notversorgung von Kriegsverletzten verlangen auch die alltäglichen Gesundheitsprobleme Beachtung - ein permanenter Mangelzustand, der mit dem permanenten Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden eine unheilvolle Allianz eingeht.

Doch selbst dort, wo Hilfe möglich wäre, bleibt sie für viele zivile Opfer unerreichbar. Etwa die Hälfte der Menschen, die von Minen zerfetzt werden, stirbt, bevor sie ärztliche Hilfe erhält. Viele verbluten noch am Unfallort: Frauen bei der Suche nach Feuerholz, Kinder auf dem Weg zur Schule, Männer bei der Feldarbeit. Aber auch diejenigen, die gerettet werden, stehen vor einer unsicheren Zukunft: Es mangelt an geeigneten Prothesen und Rehabilitationsangebote, ganz zu schweigen von Maßnahmen sozialer Wiedereingliederung.

Zu den Herausforderungen, mit denen sich die Medizin in den heutigen Kriegen konfrontiert sieht, zählen auch deren mittelbaren Folgen: die Ausbreitung von Mangelernährung und Seuchen. In Somalia ist die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen sprunghaft von 1,8 auf ca. 3,25 Millionen angestiegen, als 2008 der Krieg wieder aufflammte. Selbst die Hilfsagenturen der Vereinten Nationen konnten nicht verhindern, dass in manchen Landesteilen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Elektrizität und sauberem Trinkwasser zum Erliegen gekommen ist. Der Mangel aber ist es, der Zivilpersonen in die Arme von Kriegsparteien treibt. So paradox es klingt: In den heutigen Kriegen haben aktive Kombattanten eine größere Überlebenschance als Zivilisten. Das gilt auch für Kinder; auch sie überleben oft nur, weil sie sich als Kindersoldaten den Kräften des Krieges unterordnen.

Die Kehrseite sind schwerwiegende seelische Traumatisierungen, unter denen nicht mehr nur einzelne Soldaten leiden, sondern längst ganze Gesellschaften. In Ländern wie Liberia gibt es kaum jemanden, der nicht Augenzeuge von extremer Gewalt geworden ist; allüberall Abstumpfung, Drogen und psychischer Zusammenbruch. Auch Vergewaltigungen und Folter treffen nicht nur diejenigen, die vergewaltigt oder gefoltert wurden. Folter und Vergewaltigungen werden systematisch eingesetzt, um die gegnerische Seite als ganzes zu demoralisieren. Gewiss sind Guantanamo und Abu Ghraib vor allem für die dort Inhaftierten ein Alptraum. Beide Orte haben aber zugleich alle, die sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen, getroffen. Die psychischen Schäden, die aus den heutigen Kriegen resultieren, sind weitreichend; auf heimtückische Weise sorgen sie noch Jahrzehnte nach einem möglichen Friedensschluss für soziale Lähmung und neue Gewalt.

Menschen, die in Kriegen psychisch traumatisiert wurden, leiden an Schuld- und Schamgefühlen. Wer unter der Folter zusammengebrochen ist oder mit ansehen musste, wie die eigene Familie massakriert wurde, braucht in aller Regel intensive individuelle Betreuung. Darüber hinaus bedarf es aber auch der öffentlichen Thematisierung der Gewalt. Hilfsorganisationen wie medica mondiale und medico international haben die Erfahrung gemacht, dass die Bearbeitung von Kriegstraumatisierungen dann am besten gelingt, wenn auch die politischen Ursachen des Leidens aufgearbeitet werden und die Opfer gesellschaftliche Anerkennung und Wiedergutmachungen erfahren. Das Ziel ist eine "Entindividualisierung des Leidens", um die Nöte traumatisierter Menschen gerade auch für sie selbst als politische verursachte Schrecken wieder erkennbar werden zu lassen.

Solche Konzepte gelten auch für die Behandlung von Kindersoldaten, die ohne die Wiederherstellung eines tragfähigen sozialen Umfeldes nicht gelingt. Das klingt einfach und ist unter den Bedingungen kriegszerrütteter Ländern doch so schwierig. Denn wo Kriege das Sozialgefüge zerstört haben, kann auch soziale Reintegration nicht gelingen. Ohne die Rekonstruktion des Sozialen bleiben Re-Traumatisierungen unausweichlich und ist selbst die beste Einzelfallhilfe zum Scheitern verurteilt.



IV.

Das Risiko, dem sich die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in den heutigen Kriegen aussetzen, ist groß. Immer wieder werden Ärzte, Pflegepersonal, lokale Minenräumer oder die Fahrer von Nahrungsmitteltransporten gezielt attackiert. In den ersten zehn Monaten von 2008 wurden allein aus Somalia 130 Übergriffe auf Hilfsorganisationen und deren Mitarbeiter gemeldet. Ganz offenbar hat die Idee, neutral zwischen den Fronten helfen zu können, an Überzeugungskraft verloren. Immer offener wird Hilfe in Dienst genommen - von allen Seiten.

Der Beistand, den humanitäre Organisationen heute leisten, ist zu einer wichtigen wirtschaftlichen und politischen Ressource von Kriegsparteien geworden. Die Wege, wie sie sich einen Anteil sichern können, sind vielfältig. Die Besteuerung des Imports von Hilfsgütern gehört dazu, alle Arten der Schutzgelderpressung, die Plünderung von Lagerbeständen, die Nutzung von Flüchtlingslagern als Nachschub- und Rekrutierungsbasen, die Auspressung der von außen versorgten Bevölkerungen.

Wichtiger als der materielle Zugewinn ist mitunter der politische Nutzen, der sich aus der Arbeit von Hilfsorganisationen ziehen lässt. Wenn es Warlords gelingt, für die eigene Klientel ein Minimum an sozialer Sicherung zu organisieren, verschafft ihnen das auch eine gewisse Form von Legitimität. Auch reguläre Armeen steigern die Akzeptanz von Militäreinsätzen, wenn private Helfer für die Abfederung der humanitären Konsequenzen sorgen. Unverblümt schwärmte der damalige US-Außenminister Colin Powell während des Irak-Krieges 2003, dass Hilfsorganisationen ein "Machtmultiplikator und wichtiger Teil der eigenen Truppen" seien.

Unterdessen hat die Einbettung von Hilfe in militärische Strategien eine weitere Dimension erhalten. Zur Erhöhung ihres Schutzes engagieren sich heute auch Soldaten als Aufbauhelfer. In Afghanistan beispielsweise haben sie Brunnen und Schulen gebaut, freilich nicht um den Krieg zu zivilisieren, sondern um die Wirksamkeit des Militärischen zu steigern. Mit der Verwischung der Grenze zwischen Hilfe und Militär aber werden auch die zivilen Organisationen in den Strudel der militärischen Auseinandersetzungen hineingezogen. In Afghanistan gelten Ärzte, Entwicklungshelfer und selbst die lokalen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen heute nicht mehr als unabhängig, sondern als Teil der Interventionsmächte. Nicht wenige Organisationen haben ihre Missionen inzwischen abbrechen müssen.



V.

Zu Recht haben Hilfswerke die ihnen zugedachte Rolle der "Verbandstruppe" zurückgewiesen und sich an die Skepsis erinnert, die schon Florence Nightingale bei der Gründung des Internationalen Roten Kreuzes bewegt hat: Nichtstaatliche Organisationen, so die streitbare Krankenschwester, sollten sich um die Verbesserung der allgemeinen gesundheitlichen Lage kümmern, statt staatliche Aufgaben zu übernehmen und Sanitätsdienste in Kriegszeiten zu organisieren. Deutlich wird das Dilemma, vor dem die Medizin im Krieg steht: So notwendig ärztliche Beistand für die Opfer ist, so wenig lässt sich verhindert, dass er von allen Seiten in Dienst genommen wird und schließlich Beihilfe zur Verlängerung des Krieges leistet.

Der Ausweg aus diesem Dilemma führt mitten durch das Problem hindurch. Zunächst gilt es zu verstehen, dass sich medizinische Hilfe, auch eine vermeintlich unpolitische, immer in das Kriegsgeschehen einmischt und dabei die Kräfteverhältnisse, die zwischen den Konfliktgegnern bestehen, verändert - im Guten wie im Schlechten. Angesichts der "neuen Kriege" ist Hilfe zwischen den Fronten kaum noch möglich. Medizinisches Personal, das nicht instrumentalisiert werden will, muss selbst Partei ergreifen. Derart entpuppt sich das Neutralitätsgebot des "Verhaltenskodex der Internationalen Bewegung des Roten Kreuzes" als hoch politisch. Ganz im Sinne des hippokratischen Eides gilt es uneingeschränkt gegenüber den Opfern, nicht aber in Bezug auf den politischen Kontext von Kriegen. Wirksame Hilfe interveniert auf Seiten von Hilfsbedürftigen und bezieht Stellung gegenüber denen, die für die Ursachen und die fatalen Strategien von Kriegen Verantwortung tragen.

Zu Recht pochen humanitäre Hilfsorganisationen auf Neutralität - und haben dabei allen Grund, sich politisch zu engagieren. Mit Blick auf das internationale Recht wird deutlich, dass sich beides: unabhängige Hilfe und politische Einmischung gut miteinander vereinbaren lässt. Medizin im Krieg, das heißt heute dreierlei: der unmittelbarer Beistand für Kriegsopfer, die Verteidigung und Ausweitung des humanitären Völkerrechts und das präventive Drängen auf (welt)gesellschaftliche Verhältnisse, die es zulassen, dass Konflikte auf andere als auf militärische Weise ausgetragen werden können.

So wie sich die ärztliche Versorgung von Minenopfern gut mit dem Kampf für ein Verbot von Landminen und Streuwaffen verbinden ließ, ist auch heute neben der unmittelbaren medizinischen Praxis gesellschaftliches Handeln gegen den Krieg und seine Ursachen möglich. Das Beispiel der Arbeit mit Minenopfern zeigt, dass eine solche Doppelstrategie nicht erfolglos sein muss. Auch wenn Medizinern, die sich für ein Verbot von Minen engagiert haben, zunächst vorgeworfen wurde, sie würden Hilfe mit Politik verwechseln, wird die Ächtung dieser mörderischen Waffe heute von nahezu allen als große Selbstverständlichkeit betrachtet. Die Zahl der Minenopfer konnte von jährlich 25.000 auf 5.000 gesenkt werden - Prävention im besten Sinne des Wortes.

Mit dem Verbot von Antipersonenminen 1997 und der Ächtung von Streuwaffen 2008 ist Bewegung in das internationale Recht gekommen. Erstmals wurden Abrüstungsabkommen um humanitäre Verpflichtungen erweitert und die Vertragsstaaten zu Hilfen bei der physischen, sozialen und wirtschaftlichen Rehabilitation der Opfer aufgefordert. Seitdem ist in der Debatte um die Erweiterung des humanitären Völkerrechts der Ruf nach accountability immer lauter. Im Prinzip geht es darum, den kriegsführenden Parteien die Verantwortung für die medizinische Versorgung und die Kompensation der zivilen Opfer selbst aufzuerlegen. Zivilisatorischer Fortschritt meint nicht die Gewöhnung an immer höhere Zahlen von Kriegstoten, sondern die soziale Verantwortung für eine zivile Konfliktlösung und die Verpflichtung zum Schutz der Menschen. Die Idee der accountability gilt es heute stark zu machen - als Gegentendenz zu Willkür und "Kollateralschäden", in der medizinischen Praxis und im Kampf gegen den Krieg.


(*) Informationen zu dieser Ausstellung finden Sie im Schattenblick unter:
MEDIZIN -> VERANSTALTUNGEN ->
KULTUR/152: Dresden - Ausstellung "Krieg und Medizin", 4. April bis 9. August 2009


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009