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KRIEGSMEDIZIN/028: Medizinische Folgen von Uranmunition (IPPNW)


IPPNW factsheet - Juni 2010
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Medizinische Folgen von Uranmunition


Depleted Uranium (DU) ist die englische Bezeichnung für abgereichertes Uran - ein Abfallprodukt, das bei der Herstellung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke und von waffenfähigem Uran für Atombomben entsteht. Es wird von der Rüstungsindustrie zur Herstellung von panzer- und bunkerbrechender Munition verwendet.


Uran-Geschosse entfalten aufgrund ihrer extrem hohen Dichte eine größere Durchschlagskraft als konventionelle Munition. Außerdem entzündet sich das nach einem Treffer zu Staub gewordene und extrem erhitzte Metall im Inneren des Panzers oder Gebäudes selbst, das getroffene Ziel verbrennt. Dabei entsteht ein Uranoxid-Aerosol in der Größe eines Nano-Partikels, das sich mit dem Wind weiträumig verteilt und mit Staub immer wieder aufgewirbelt wird.

Über die Atemluft, das Wasser und langfristig auch über die Nahrungskette gelangt DU in den menschlichen Körper. Es wird "inkorporiert" und in fast alle Organe eingebaut. Über die Placenta erreicht Depleted Uranium auch das ungeborene Kind und kann es schwer schädigen. Mögliche Langzeitschäden sind genetische Defekte bei Säuglingen, Kinderleukämien, Krebserkrankungen und Nierenschädigungen.


Einsatz im Krieg

Die USA, Großbritannien, Russland, die Türkei, Pakistan, Saudi-Arabien, Thailand, Israel und Frankreich besitzen Uran-Waffen. Obwohl der Einsatz von Depleted Uranium nicht im Einklang mit dem "Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten" und den Zusatz-Protokollen von 1977 steht, die den Einsatz giftiger Stoffe im Krieg untersagen, gibt es bisher keine Konvention zum Verbot von Uranwaffen. Depleted Uranium wurde zuerst von den USA und Großbritannien im Golfkrieg 1991 eingesetzt, später in Bosnien und Serbien 1995, im Kosovo 1999 sowie im Irak-Krieg 2003. Durchgesickerte Dokumente weisen auf einen möglichen Einsatz auch in Afghanistan hin, was jedoch bisher von den USA und Großbritannien dementiert wird.

Die IPPNW Deutschland ist Teil der Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen ICBUW (International Coalition to Ban Uranium Weapons) und setzt sich für eine Uranwaffen-Konvention ein, einen internationalen Vertrag, der die Produktion, Besitz und Anwendung von Uranwaffen verbietet.


Natururan und DU

Die Uranvorkommen auf der Erde sind von unterschiedlicher Qualität. In Kanada gibt es Lagerstätten mit 19 % Uran, in afrikanischen Ländern wird Erz mit weniger als 1 % des Schwermetalls abgebaut. Unabhängig vom Urangehalt des Erzes enthält das gewonnene Natururan immer die gleiche Zusammensetzung seiner Isotope: 0,005 % U 234, 0,72 % U 235 und 99,275 % U 238. Alle Isotope besitzen in ihrem Atomkern die gleiche Protonen- oder Ordnungszahl, nämlich 92. Sie unterscheiden sich durch die Anzahl der Neutronen: 142 bei U 234, 143 bei U 235 und 146 bei U 238.

Alle drei natürlich vorkommenden Uranisotope sind Alpha-Strahler, d. h., sie senden Alphateilchen (Heliumkerne) aus. Alphateilchen haben, etwa im Vergleich zu Gammastrahlen, eine relativ geringe Reichweite, aber ihre schädigende Wirkung ist viel größer: In den Zellschichten, die sie erreichen, hinterlassen sie eine Spur der Verwüstung. Die physikalischen Halbwertszeiten sind unvorstellbar lang: 246.000 Jahre bei U 234, 703,8 Millionen Jahre bei U 235 und 4,468 Milliarden Jahre bei U 238.

Zur Herstellung von Brennelementen und atomwaffentauglichem Uran eignet sich nur das durch Neutronenbeschuss spaltbare U 235. Um es verwenden zu können, muss es angereichert werden, und zwar von 0,72 % auf mindestens 3 (-5) % für Kernbrennstoff und auf mindestens 60 (-90) % für Atombomben.


DU in Deutschland

Die Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau wird von der Firma Urenco betrieben. Eigner sind die deutschen Energiekonzerne E.ON und RWE sowie die britische und die niederländische Regierung. Das anfallende abgereicherte Uran wird nach Russland, Frankreich, England und Schweden exportiert.


Warum ist DU gesundheitsschädlich?

Beim Einsatz von DU als Munition entstehen Uranpartikel und Uranoxide, die als Schwebeteilchen und Stäube die Umgebungsluft belasten. Dieser toxische Feinstaub wird mit dem Wind weit verbreitet und immer wieder aufgewirbelt. Durch Inhalation, Wasser, Nahrungsaufnahme oder durch die Haut kann das Depleted Uranium als Aerosol oder als Uranoxid in den Körper gelangen. Als Uranoxid ist es mit Partikelgrößen im Mikro- und Nanobereich lungengängig und kann für mehrere Jahre im Lungengewebe verbleiben. Die biologische Halbwertszeit des Uranoxids in der Lunge beträgt ein Jahr, die des Aerosols zwei Jahre. Es kann bis zu acht Jahre dauern, bis das inkorporierte DU wieder ausgeschieden ist.

Depleted Uranium entfaltet sowohl chemotoxische als auch radiotoxische Wirkungen. Die Chemotoxizität führt vorwiegend zu Funktionsstörungen von Nieren und Leber. Langfristig droht eine Niereninsuffizienz. Die Radiotoxizität wirkt sich u. a. an den Chromosomen und Genen aus, es ruft z.B. Chromosomen-Brüche und andere Chromosomenveränderungen hervor. Für radioaktive Strahlung gibt es keinen Grenzwert, jedes Teilchen kann Zellschädigungen auslösen. Nicht nur von DU-Alphateilchen direkt getroffene Zellen werden geschädigt, sondern auch das genetische Material in den Nachbarzellen ("Bystander-Effekt).

Durch medizinisch-experimentelle Studien an kleinen Säugetieren und Zellkulturen wurden schädigende Effekte auf den Fötus und den Schwangerschaftsverlauf nachgewiesen sowie eine krebsauslösende Wirkung. Alle diese neueren Studienergebnisse machen deutlich, dass das Modell der International Commission on Radiological Protection revidiert werden muss, denn es berücksichtigt vorwiegend die Wirkung externer Strahlung und vernachlässigt die kontinuierliche interne Strahlung durch inkorporierte Nuklide.(2)

Die ICBUW hat der WHO im November letzten Jahres die Kurzfassungen von 68 aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten geschickt, in denen Wirkungen des Depleted Uranium auf Zellkulturen, Tiere, Menschen und Umwelt untersucht wurden(1). Diese Forschungsarbeiten lassen auf verhängnisvolle Folgen der Uranmunition für die menschliche Gesundheit schließen, sowohl aufgrund der Strahlung als auch der Chemotoxizität und schließlich auch durch synergetische Effekte. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass inkorporiertes DU eine Vielzahl von Gesundheitsschäden verursacht, einschließlich Karzinomen. Die schädlichen Gesundheitseffekte wie Krebserkrankungen, chronische Nierenschädigungen und genetische Defekte treten in der Regel mit einer Latenzzeit von wenigen Jahren (Säuglinge, Kinder) bis einigen Jahrzehnten (Erwachsene) auf. Betroffen sind Soldaten sowie die jeweilige Wohnbevölkerung des Kriegsgebietes.


Ergebnisse von Forschungsberichten aus dem Irak

Bisher sind keine systematisch-epidemiologischen Studien zu den möglichen gesundheitlichen Folgen an den betroffenen Bevölkerungsgruppen der Kriegsgebiete durchgeführt worden. Die größte Bevölkerungsgruppe, die vom Uran-Feinstaub Kontaminierungen aus Uranwaffen betroffen ist, lebt in der Region Basrah. Der IPPNW Deutschland gelang es infolge ihrer langjährigen Kontakte zu irakischen Ärzten eine Universitätspartnerschaft zwischen der Universität Basrah und der Universität Greifswald ins Leben zu rufen. Schon nach dem ersten Golfkrieg hatten irakische Ärzte über den Anstieg der kindlichen Missbildungen und der Kinderleukämien berichtet, die jedoch von den Sanktionsmächten USA und Großbritannien als unwissenschaftlich und Propaganda abqualifiziert wurden. Die medizinischen Untersuchungsergebnisse an den irakischen Soldaten wurden international ignoriert.

Im Rahmen der Universitätspartnerschaft arbeiten irakische, deutsche und japanische Ärzte nun seit 2004 daran, ein Krebsregister für die Region Basrah zu erstellen. Dies ist inzwischen gelungen, der erste Bericht der Studiengruppe liegt vor. Der Bericht weist auf einen deutlichen Anstieg von Lungen- und Brustkrebs hin, Erkrankungen des Lymphsystems und Leukämie treten ebenfalls gehäuft auf. Auch die Arbeit einer 2005 unter Mitwirkung der IPPNW initiierten Studiengruppe an der Universität Basra lieferte Ergebnisse, die einen einheitlichen Anstieg der Leukämie-Neuerkrankungen zwischen 1995 und 2008 feststellten. Weitere Studien zeigen eine erschreckende Zunahme kindlicher Missbildungen von 3.04 Fällen auf 1.000 Geburten (1990) auf 17.6 Fälle auf 1.000 Geburten (2000).


Uranwaffen ächten

Der Einsatz von Depleted Uranium muss geächtet werden, um die Zivilbevölkerung und auch die Soldaten vor langfristigen schwerwiegenden Gesundheitsschäden zu schützen. Die IPPNW setzt sich für eine Uranwaffen-Konvention ein, einen internationalen Vertrag, der Produktion, Besitz und Anwendung von Uranwaffen verbietet.


Anmerkungen

(1) Schmitz-Feuerhake, Inge:
Einschätzung der Strahlenschäden durch ICRP muss revidiert werden
Artikel 8: Zeit-Fragen Nr. 1 vom 3.1.2006

(2) ICBUW-Liste aktueller Forschungsarbeiten zu abgereichertem Uran:
www.ippnw.de/frieden/uranmunition


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Quelle:
Factsheet der IPPNW - Juni 2010
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
IPPNW-Geschäftsstelle, Körtestr. 10, 10967 Berlin
Telefon: 030 / 69 80 74-0, Fax: 030 / 69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011