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NACHSORGE/064: Trend bestätigt ... Kürzer im Krankenhaus - kränker zur Reha (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2012

Rehabilitation
Trend bestätigt: Kürzer im Krankenhaus - kränker zur Reha

Von Uwe Groenewold



Mit DRG-Einführung ist die Zahl der Patienten, die bei Aufnahme in die Reha einen schlechten Gesundheitszustand aufweisen, gestiegen.

Dies hat eine Studie aus Münster ergeben. Der verkürzte Krankenhausaufenthalt und das gestiegene Durchschnittsalter der Patienten sind für diese Entwicklung verantwortlich, haben Reha-Ärzte gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt betont - und Lösungsmöglichkeiten entwickelt.

In der Curschmann Klinik Timmendorfer Strand werden vor allem Anschlussheilbehandlungen nach Herzinfarkt oder herzchirurgischen Eingriffen angeboten. "Die Patienten, die zu uns kommen, sind zum Teil deutlich kränker als noch vor einigen Jahren", erklärt die leitende Ärztin Dr. Katrin Pistorius. "Da gibt es zum Beispiel den 75-jährigen bypassoperierten Patienten, der noch nicht an den Anwendungen teilnehmen kann, da er nach dem Aufenthalt in der Akutklinik noch zu schwach ist. Patienten wie er benötigen mittlerweile schon eine Woche, um beim regulären Reha-Programm mitzumachen."

Ähnlich sieht dies Prof. Matthias Köhler, Ärztlicher Direktor der Reha-Klinik Damp: "Im Durchschnitt sind die Patienten, die zu uns kommen, deutlich kränker als früher. Da gibt es natürlich eine große Bandbreite, aber die Tendenz ist eindeutig." Dass die Patienten immer früher aus den Akutkliniken verlegt werden, ist ein wesentlicher Grund, so Köhler. "Gleichzeitig ist es so, dass aufgrund der demografischen Entwicklung - wir werden nun mal immer älter - und des westlichen Lebensstils mit wenig Bewegung, sitzender Tätigkeit und wachsender Verbreitung des metabolischen Syndroms die Menschen multimorbider werden."

In die gleiche Kerbe schlägt auch Dr. Ingo Meßer, Chefarzt Orthopädie der Asklepios Klinik Am Kurpark Bad Schwartau: "Unsere Patienten im Indikationsbereich Hüft- und Knieendoprothetik weisen ein steigendes Alter auf. Dieses bedingt eine höhere Anzahl von behandlungsbedürftigen Komorbiditäten." Der verkürzte Aufenthalt in der Akutklinik ist nicht von der Hand zu weisen, spielt in dieser Hinsicht aber eher eine untergeordnete Rolle, so Meßer.

Die sogenannte REDIA-Studie (Kasten unten) bewertet dies etwas anders und macht vor allem den verkürzten Aufenthalt im Akutkrankenhaus für mangelnde Reha-Fähigkeit und steigende Komplikationsraten verantwortlich. Seit 2004 liegen Patienten in Deutschland kürzer im Krankenhaus als zuvor. Ursache ist das diagnoseorientierte Fallpauschalensystem, das damals verbindlich zur Abrechnung von Krankenhausleistungen eingeführt wurde. Nach diesem System werden Leistungen nicht abhängig vom jeweiligen Zeitaufwand vergütet, sondern pauschal pro Behandlungsfall. Seit Einführung dieses Systems stieg die Zahl der Patienten, die bei der Aufnahme in die Reha einen deutlich verschlechterten Gesundheitszustand aufweisen.

"Die Krankenhäuser haben auf die Einführung des Fallpauschalen-Entgeltsystems erwartungsgemäß reagiert: mit der Durchführung minimal-invasiver Operationen, bei denen der chirurgische Eingriff in den Körper möglichst gering gehalten wird, sowie mit dem Einsatz zeitsparender medizinischer Produkte und der Verkürzung der Akutverweildauer", erklärte Studienleiter Wilfried von Eiff von der Universität Münster. So sei beispielsweise der stationäre Aufenthalt nach Hüftoperationen von durchschnittlich 17,3 Tagen im Jahr 2003 auf 12,5 Tage im Jahr 2010 gesunken: "Alles mit dem Ziel, die Kosten je Patient zu senken." Als Konsequenz sei die Zahl der Patienten gestiegen, die bei Aufnahme in die Reha vermehrt unter Komplikationen leiden sowie einen deutlich verschlechterten Gesundheits- und Mobilitätszustand aufweisen.

Seit 2003 stieg der Anteil von Hüftpatienten, die wegen Schmerzen und geklammerter Wundnähte in der ersten Woche nicht an der Physiotherapie teilnehmen konnten, von 5,6 Prozent auf 39,4 Prozent, so von Eiff. Deutlich nahm auch der Medikationsaufwand in der Rehabilitation zu: Die Verabreichung von das Herz entlastenden Nitraten stieg von 1,2 Prozent (2003) auf 33,3 Prozent (2010), und die Gabe von Schmerzpräparaten zog von vier Prozent auf 32 Prozent an. Die Einnahme von Blutverdünnern entwickelte sich laut Studie gar von 3,1 Prozent (2003) auf 57,4 Prozent (2010) bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Prof. von Eiff führt diese Entwicklung auf mehrere Ursachen zurück: "Zeitsparende Operationstechniken ermöglichen eine kurze Liegezeit im Krankenhaus, machen aber aufwendige Wundversorgung und Schmerztherapien in der Rehabilitation nötig. Außerdem stieg das Durchschnittsalter der Patienten im Untersuchungszeitraum um vier Jahre an, und die Zahl von Begleiterkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck nahm zu."

Was tun? Die Klinik Am Kurpark Bad Schwartau hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergriffen, wie Meßer erläutert: "Zunächst einmal haben wir ärztliche Kollegen mit geriatrischer Zusatzqualifikation eingestellt. Unsere Therapieschemata wurden modifiziert und tragen sowohl der früheren Verlegung aus den Akutkliniken als auch den älteren Patienten Rechnung. Außerdem kooperieren wir intensiv mit unseren zuweisenden Kliniken und können das Risiko zu früh oder rehaunfähig zu uns verlegter Patienten erheblich reduzieren." Hierzu dienen folgende Maßnahmen: die Erstellung gemeinsamer, bereits im Akuthaus beginnender Therapiekonzepte, Reha-Visiten im Akuthaus, telefonische Fallkonferenzen mit den Operateuren und ein telefonischer Vorab-Kontakt auf Pflegedienstebene. Durch diesen frühen Beginn einer fachkundigen Rehabilitation, so Meßer, wird das Entlassungsergebnis am Ende der Reha positiv beeinflusst.

Für herzchirurgische Patienten sieht Dr. Katrin Pistorius vor allem in der Verlängerung des Reha-Aufenthaltes die Lösung. Die Zahl der über 80-jährigen Patienten, die am Herzen operiert werden, steige stark an. Diese nach der Akutklinik noch ganz oder teilweise bettlägerigen Patienten zunächst nach Hause zu schicken, bis sie sich erholt haben und rehatauglich sind, hält Dr. Pistorius für keine gute Idee. "Von einer solchen Vorgehensweise profitieren die Patienten nicht."

Das hat auch die Münstersche Studie ergeben, die dem Verlegungsmanagement zwischen der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus und der Aufnahme in die Reha-Klinik ein schlechtes Zeugnis ausstellte. "Diese häusliche Übergangszeit ist mit therapeutisch und ökonomisch relevanten Risiken verbunden", sagte von Eiff. So werde häufig die Thromboseprophylaxe unterbrochen und die Wundversorgung erfolge nicht fachgerecht. Im Jahr 2003 waren beispielsweise 1,8 Prozent der Herz-Kreislauf-Patienten von Komplikationen während der Übergangszeit betroffen, 2010 zehn Mal so viele.

Eine Verlängerung des Reha-Aufenthaltes - vor allem für ältere Menschen - hält auch Köhler für sinnvoll. In erster Linie sei dabei nicht nur an Patienten im erwerbsfähigen Alter gedacht, die wieder an den Arbeitsplatz herangeführt werden könnten. "Die große Herausforderung ist doch, die steigende Zahl älterer Patienten vor der Pflege zu bewahren und sie wieder so fit zu bekommen, dass sie ihren Alltag in den eigenen vier Wänden meistern können", sagt Köhler. Gut ausgestattete Reha-Kliniken mit umfassender Physiotherapie und einer großen Zahl an Ärzten verschiedener Fachrichtungen seien prädestiniert, diese Patientengruppe gut zu versorgen.

"Das Problem", so Köhler, "ist nur, dass wir bei dieser Entwicklung - größerer Pflegeaufwand, mehr Diagnostik, mehr Einzeltherapie - mit unseren Tagessätzen nicht mehr auskommen werden." Das unterstrich auch der Schwartauer Chefarzt Meßer: "Dem höheren personellen Aufwand während der Rehabilitation stehen leider nicht im gleichen Maße steigende Tagessätze gegenüber."


Die REDIA-Studie

Die REDIA-Studie (REDIA steht für REhabilitation und DIAgnosis Related Groups) ist eine prospektive Langzeitstudie über Auswirkungen der Einführung des DRG-Systems auf medizinische Leistungsanforderungen und Kosten in der Rehabilitation. Im Fokus der Untersuchung standen der psychische und körperliche Zustand der Patienten sowie Arbeitsaufwand und Kosten der Behandlung, Entwicklung der Vergütung von Reha-Leistungen und Anreizwirkungen politischer Eingriffe in das Gesundheitssystem. Insgesamt wurden Daten von 2.290 Patienten in 27 stationären und ambulanten Reha-Einrichtungen erfasst. Darunter waren 956 Kardiologie-Patienten in akuter Anschlussrehabilitation nach Bypass-Operationen und Herzinfarkten sowie 1.334 Orthopädie-Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk erhalten hatten beziehungsweise eine Bandscheiben-Operation hinter sich hatten. Die Auswahl erfolgte zufällig, sodass sowohl Patienten der Rentenversicherung als auch der gesetzlichen Krankenversicherung repräsentiert sind.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201204/h12044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2012
65. Jahrgang, Seite 40 - 41
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2012