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THERAPIE/147: Cochlea-Implantate - Musiktherapieforschung ... Interview mit der Psychologin Elisabeth Hutter (GuG)


Gehirn und Geist 1/2015
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Cochlea-Implantate
»Passives Musikhören bringt nichts«

Durch klangliche Stimulation sollen hörgeschädigte Menschen mit einem Cochlea-Implantat wieder lernen, Freude an Musik zu haben. Die Psychologin Elisabeth Hutter vom Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg erklärt, wie das Training wirkt.

Interview mit Elisabeth Hutter




Frau Hutter, Sie leiten das Forschungsprojekt »Musikgenuss trotz Taubheit«. Wie ist das zu verstehen?

Wir wollen Erwachsenen, die im Lauf des Lebens ertaubt sind, Musik näherbringen. Nach dem operativen Einsetzen einer elektronischen Innenohrprothese - eines Cochlea-Implantats - müssen die Betroffenen das Hören erst wieder mühsam lernen. Für sie klingt Musik oft nicht mehr angenehm. Mit Hilfe der Therapie soll sich das ändern.

Wie hört sich Musik für einen Patienten mit Cochlea-Implantat an?

Es gibt vereinzelt Personen, für die alles so klingt wie früher. Das ist aber die Ausnahme. Die Mehrzahl nimmt Stimmen verzerrt, blechern und roboterhaft wahr, oft klingen sie wie durch ein langes Rohr gesprochen. Musik empfinden die meisten zunächst sogar als unangenehm. Sie hört sich schief an oder wie ein »Brei aus Tönen«.

Woran liegt das?

Die Signale, die das Cochlea-Implantat ans Gehirn weitergibt, sind häufig lückenhaft und müssen von den Patienten sinnvoll ergänzt werden. Das ist anstrengend und erfordert hohe Konzentration. Die Patienten müssen daher lernen, die neuen unvollständigen Höreindrücke mit dem alten, im Gehirn gespeicherten Wissen zu verknüpfen. In unserem Projekt trainieren sie außerdem, Rhythmus, Tonhöhe und Klangfarbe von Instrumenten zu erkennen. Gleichzeitig möchten wir auch die Lebensqualität und das Sprachverstehen verbessern.

Warum sollte sich ein musikalisches Training auf das Verständnis von Wörtern und Sätzen auswirken?

Musik und Sprache haben viele Parallelen, etwa in Sachen Intonation, Rhythmus, Tempo und Melodie. Ob wir der Stimme eines Instruments in einem Orchester folgen oder ein Gespräch in einer überfüllten Kantine führen, beide Male müssen wir uns auf eine relevante Schallquelle konzentrieren und andere ausblenden. Daher beanspruchen Musik und Sprache teils dieselben kognitiven Prozesse im Gehirn, darunter Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis. Musik zu hören ist jedoch deutlich komplexer als einem Gespräch zu folgen, da sie sich aus vielen unterschiedlichen Klangfarben, Rhythmen und sich überlagernden Melodien zusammensetzt. Unsere Idee lautet: Wenn sich die kognitiven Prozesse durch das Training so weit erholen, dass die Patienten Lieder wieder richtig wahrnehmen können, hilft ihnen das ebenso dabei, eine Unterhaltung zu verstehen. Wir gehen von neuronalen Umbauprozessen im Gehirn aus, die sich auch auf die Sprache auswirken. Mehrere Untersuchungen haben tatsächlich schon gezeigt, dass ein musikalisches Training das Sprachverstehen verbessern kann.

Wie läuft eine solche Musiktherapie ab?

Die Patienten absolvieren jeweils zehn einstündige Sitzungen. In Übungen sollen sie etwa die Melodie bekannter Volks- oder Kinderlieder erkennen, am Klavier gespielte Tonhöhen unterscheiden oder heraushören, welche Instrumente in einem Stück vorkommen. Außerdem lernen sie, wie sie ihre Stimme modulieren können. Dabei nutzen wir ein Instrument namens Kazoo, das die eigene Stimme verzerrt und den Patienten ermöglicht, mit dieser zu spielen und unterschiedliche Laute zu produzieren.

Warum geben Sie den Patienten nicht einfach die Hausaufgabe, so viel Musik wie möglich zu hören?

Erstaunlicherweise bringt passives Musikhören offenbar nichts, wie zum Beispiel Forscher um Virginia Driscoll von der University of Iowa zeigten. Erst als man die Probanden bat, währenddessen darauf zu achten, welches Instrument sie erkennen, profitierten sie von dem fünfwöchigen Training.

Was kam bei Ihrem Projekt bislang heraus?

In einer Vorstudie an zwölf Patienten haben wir vor und nach der Therapie erhoben, wie sie Musik und Alltagsgeräusche wahrnahmen und wie zufrieden und selbstbewusst die Teilnehmer waren. Nach zehn Sitzungen hatte sich sowohl der Selbstwert der Patienten als auch die Klangqualität der Cochlea-Implantate verbessert. Das heißt, die Betroffenen nahmen Töne und Geräusche genauer wahr und empfanden sie als angenehmer. Wir prüfen nun in einer aktuellen Untersuchung, ob sich das Sprachverstehen der Patienten mit Therapie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die erst später eine Behandlung erhält, verändert.

Seit Frühjahr 2014 bieten Sie für Patienten mit Cochlea-Implantat eine Gruppe an, in der Sie gemeinsam musizieren. Wie hört sich so ein Treffen an?

Nicht so schief, wie man glauben könnte. Zunächst machen wir mit Percussion-Instrumenten Übungen zur Rhythmuswahrnehmung. Außerdem nutzen wir Instrumente wie Piano oder Gitarre, die man auch spielen kann, wenn man die Klänge noch nicht richtig wahrnimmt. Zum Beispiel haben wir am Klavier Tasten farbig markiert. Die Patienten sollen dann im ersten Takt nur Tasten mit einem roten Punkt verwenden und im zweiten solche mit einem gelben. Dafür müssen sie zunächst noch gar nicht gut hören, sondern nur mitzählen. Mit der Zeit lernen sie dann zu erkennen, ob sie bei einem Ton danebenlagen. Und das Wichtigste: Es macht allen Teilnehmern großen Spaß. Nur vor dem Singen haben viele noch Hemmungen. Aber ein Auftritt ist schon geplant.


Die Fragen stellte die Diplompsychologin und Wissenschaftsjournalistin Liesa Klotzbücher.


Elisabeth Hutter studierte Psychologie an der Universität Regensburg und der Université Aix-Marseille I in Frankreich. Seit 2014 leitet sie die Ambulanz für Patienten mit Cochlea-Implantat am Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg. Sie untersucht, wie Musik die Sprachwahrnehmung und die Lebensqualität von ehemals gehörlosen Patienten verbessert.


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KURZ ERKLÄRT

Cochlea-Implantat
Die elektronische Innenohrprothese ermöglicht es Menschen, die ihr Gehör etwa durch einen Hörsturz oder bei einem Unfall verloren haben, akustische Reize wieder wahrzunehmen. Der äußere Teil des Implantats wird hinter der Ohrmuschel befestigt; er wandelt den Schall in elektrische Signale um und leitet diese über einen Sender an einen Empfänger in der Hörschnecke (Cochlea) weiter. Dieser überträgt die Signale an Elektroden, die wiederum den Hörnerv stimulieren. Ist dieser nicht mehr intakt, bleibt das Implantat wirkungslos.


Veranstaltungstipp

Die Musikgruppe der Patienten mit Cochlea-Implantat tritt am »Tag des Hörens« (7. März 2015) in der Hals-Nasen-Ohrenklinik des Universitätsklinikums Heidelberg auf.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/50-51-gug-01-2015-pdf/1321249


© 2015 Liesa Klotzbücher, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Gehirn und Geist 1/2015, Seite 50 - 51
URL: http://www.spektrum.de/pdf/50-51-gug-01-2015-pdf/1321249
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2015


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