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TRANSPLANTATION/443: Lebensfragmente (3) - Xenotransplantation um jeden Preis? (research*eu)


research*eu - Nr. 62, Februar 2010
Magazin des Europäischen Forschungsraums

TRANSPLANTATION - Lebensfragmente (3)
Xenotransplantation um jeden Preis?

Von Mikhaïl Stein


Darf man Tierorgane verpflanzen, um den chronischen Mangel an menschlichen Organen zu beheben? Die Biotechnologie hat zu spektakulären Fortschritten bei der Verpflanzung von Schweineherzen und -nieren beim Affen geführt. Aber noch ist es zu früh, um Versuche beim Menschen zu wagen. Die Zeit sollte genutzt werden, um ethische Fragen zu klären.


Vor zehn Jahren hatte die Medizin erhebliche Bedenken gegenüber Xenotransplantationen, also der Transplantation von Organen, die von einer anderen Spezies stammen. Nur wenige glaubten damals, dass diese Technik eine Zukunft haben könnte. Allzu unüberwindbar erschienen die Schranken, und man befürchtete, dass es zur Übertragung von Krankheitserregern vom Tier auf den Menschen kommen könnte. Dank der Fortschritte der Biotechnologie konnten inzwischen jedoch spektakuläre Erfolge in diesem Bereich erzielt werden. "Der Weg zu klinischen Versuchen mit Xenotransplantationen", so titelt die Fachzeitschrift Transplant in Immunology in ihrer Juniausgabe, wird frei. Aber dieser Weg wird lang sein und übersät von Hindernissen.


Schweine und Menschen

Einen Vorteil hätten Xenotransplantationen sicherlich: Auf diese Weise ließe sich der Organmangel beheben, auch wenn nichts dafür spricht, dass Xenotransplantationen ein Allheilmittel sind. Es kann sicherlich noch sehr viel mehr getan werden, um Organspenden populärer zu machen und die Effizienz der klassischen Transplantationen von Mensch zu Mensch zu verbessern. Xenotransplantationen haben allerdings auch Vorteile, die nicht auf den ersten Blick sichtbar werden: medizinische Vorteile, denn auf diese Weise lassen sich Transplantationen planen, und es wären Organe von besserer Qualität verfügbar als die, die heute Unfall- oder Suizidopfern, die lange Zeit im Koma gelegen haben, entnommen werden. Sie hätten aber auch ethische Vorteile, denn sie würden den Organempfängern die psychologische Belastung ersparen, zu wissen, dass sie ihr Leben dem Tod eines anderen Menschen verdanken.

Selbst unter Tierschützern, die sich für die Rechte von Tieren einsetzen, gibt es nur wenige, die dagegen protestieren, dass Schweineorgane eingesetzt werden, um menschliches Leid zu lindern. Schweine sind in der Tat die Tiere, auf die sich die gesamte Forschung im Bereich Xenotransplantation konzentriert. Warum ausgerechnet Schweine? In erster Linie, weil Schweineorgane eine ähnliche Größe haben wie die von Menschen. Herzchirurgen verwenden bereits Schweineherzklappen als Ersatz für menschliche Herzklappen (bei diesen Operationen handelt es sich nicht um Xenotransplantationen, da das Herzklappengewebe als indifferentes Gewebe und nicht als lebendes Gewebe angesehen wird). An zweiter Stelle, weil Schweine nach kurzer Trächtigkeitsdauer werfen (115 Tage) und weil Schweine weit verbreitet sind. Und schließlich, weil sie sich problemlos unter Hygienebedingungen züchten lassen, die das Risiko einer Übertragung von tierischen Krankheitserregern auf ein Minimum reduzieren. Kurz vor dem Werfen wird die Sau in eine sterile Box gebracht. Die Ferkel werden durch Kaiserschnitt auf die Welt gebracht und in eine Art Brutkasten verlegt, wo sie mit sterilisierter Milch aufgezogen werden. Nach der Entwöhnung werden sie in einem angrenzenden Schweinestall aufgezogen.


Mehr als sechs Monate Überlebensdauer

Die Organe werden also nur Schweinen entnommen, die unter solch strengen Hygienebedingungen aufgezogen worden sind. Solche Organe wurden in den letzten Jahren bereits bei zahlreichen Transplantationsexperimenten bei großen Affen eingesetzt. Die spektakulärsten Resultate wurden dabei mit der Transplantation von Langerhansschen Inseln (die Pankreaszellen, die Insulin herstellen) bei Affen mit Diabetes erzielt. Um die Abstoßung der Inselzellen zu verhindern, werden die Transplantate von einem speziellen Material umhüllt. Diese Transplantationen haben es den Affen mit Diabetes ermöglicht, ihren Glukosegehalt im Blut über sechs Monate zu regulieren, sogar ohne dass sie mit Immunosuppressiva behandelt werden mussten "Diese Ergebnisse sind von höchster Bedeutung, denn sie sind der erste Nachweis für ein Überleben eines Transplantats bei einem Primaten", kommentiert Emanuele Cozzi von der Abteilung Medizin und Chirurgie der Universität Padua (IT), Koordinator des europäischen Projekts Xenome, dem ehrgeizigsten europäischen Projekt im Bereich Xenotransplantation. Spektakuläre Fortschritte wurden ebenfalls bei der Herz- (2 bis 6 Monate) und Nierentransplantation (3 Monate) bei Affen erzielt, das heißt, in Bereichen, in denen die Überlebensrate vor zehn Jahren kaum höher war als ein paar Wochen. Dagegen liegt die Überlebensrate bei Lungen- und Lebertransplantationen noch immer nur bei wenigen Tagen. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt.


Wertvolle Transgenese

Hauptproblem bei Xenotransplantationen ist in der Tat die hyperakute Abstoßung, bei der das transplantierte Organ innerhalb weniger Minuten zerstört wird: Blutgerinnsel unterbrechen die Blutzufuhr zu dem transplantierten Organ, und der Empfänger stirbt innerhalb von Minuten, spätestens nach einigen Stunden. Dank der Gentechnologie konnten die Forscher dieses Hindernis, das noch vor zehn Jahren als unüberwindbar galt, zumindest teilweise aus dem Weg räumen. Die Analyse der Abstoßungsmechanismen hat gezeigt, dass diese durch eine Unverträglichkeit zwischen den Proteinen, die an der chemischen Reaktion des Abwehrsystems beteiligt sind (Komplementkaskade), und der Blutgerinnung ausgelöst wird. Das bloße Vorhandensein porziner Formen dieses Proteins im Organismus des Primaten löst diese Reaktionen aus und führt nahezu unmittelbar zur Abstoßung des Organs. Die Lösung bestand darin, das Schwein genetisch so zu verändern, dass diese Gene seines Genoms eliminiert oder durch Gene ersetzt wurden, die "humanisierte" Formen von Eiweiß produzieren. Das ist der Ansatz, den das europäische Projekt Xenome verfolgt, um die Gefahr der hyperakuten Abstoßung in den Wochen nach der Transplantation zu verhindern. Xenome hat sich also zum Ziel gesetzt, ein "supertransgenes" Schwein zu züchten, dessen Genom so verändert wurde, dass die Organe des Tieres entzündungshemmende, gerinnungshemmende und immunreaktionsunterdrückende Eigenschaften haben, die die Annahme durch den Empfänger erleichtern.

Neben diesen zusätzlichen Genen wird das zukünftige supertransgene Schwein auch einige DNA-Sequenzen weniger haben: die PERV-Sequenzen (porzine endogene Retroviren), ein Schweinevirus, der zumindest in vitro menschliche Zellen infizieren kann. Dieses Retrovirus wurde 1997 entdeckt, auf dem Höhepunkt der BSE-Krise, als zu Recht befürchtet wurde, dass tierische Krankheitserreger die Barriere zwischen den Arten überspringen könnten. Seine Entdeckung hätte fast der Xenotransplantationsforschung ein Ende gesetzt. Es ist in der Tat im Genom fast aller Schweinerassen vorhanden, und nicht einmal strengste Hygienebedingungen haben es bisher ausrotten können. Mit dem Rückgang des Virus scheint die Bedrohung heute weniger beunruhigend zu sein, als man zunächst geglaubt hatte. Bisher konnte noch keine PERV-Sequenz beim Menschen nachgewiesen werden, obwohl mit allem Nachdruck danach gesucht wurde. Es lässt sich jedoch nicht vollständig ausschließen, dass das Virus unter bestimmten Bedingungen wieder auftaucht. In einer Zeit, in der man eine Grippepandemie befürchten muss, die von dem A/H1N1-Virus ausgelöst wurde (ein porziner Influenzavirus), können die Vorsichtsmaßnahmen gar nicht streng genug sein: Die Sequenzen, die für die Reproduktion des PERV notwendig sind, werden daher in dem supertransgenen Schwein, an dem das Xenome-Projekt arbeitet, eliminiert.


Ethik kontra Technik

Wird die klinische Testphase beginnen können, wenn wir erst einmal dieses Tier haben, den "europäischen Beitrag zur Xenotransplantationsforschung", wie die Mitglieder des Projekts gerne sagen? Emanuele Cozzi bleibt zurückhaltend. "Die Forschungsarbeiten der letzten Jahre haben sich vor allem auf die Effizienz der Xenotransplantationen konzentriert. Bevor wir zu klinischen Tests übergehen können, müssen jedoch erst noch andere fundamentale Fragen geklärt werden: physiologische Probleme, Sicherheitsprobleme, aber auch ethische Fragen und die gesetzliche Regulierung der Xenotransplantation." Vorausgesetzt, das Problem der Immunabwehr ist gelöst, so spricht eigentlich nichts dagegen, dass Schweineorgane in Zukunft menschliche Organe ersetzen können. Allerdings gibt es nach wie vor Probleme. Die Cholesterinwerte im Blut der Schweine sind zum Beispiel niedriger als beim Menschen. Die hohen Cholesterinwerte beim Menschen könnten bei der Transplantation eines Schweineherzens zu einem Arterienverschluss führen. Darüber hinaus werden Organe wie Leber, Nieren, Lunge und Bauchspeicheldrüse von Hormonen gesteuert. Bis heute weiß man nicht, ob tierische Organe überhaupt von menschlichen Hormonen reguliert werden können.

Doch selbst wenn alle diese physiologischen Probleme gelöst wären, blieben noch die ethischen Bedenken, die vor einem allgemeinen Einsatz der Xenotransplantation geklärt werden müssen. Nach welchen Kriterien soll man zum Beispiel entscheiden, ob ein Patient, der ein Spenderorgan braucht, ein menschliches Organ oder das Organ eines Schweins erhalten soll? "Solange diese Fragen nicht zufriedenstellend geklärt sind, glaube ich", so Emanuele Cozzi, "und ich bin nicht der einzige, der so denkt, dass die Zeit noch nicht reif ist für klinische Versuche."


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die wichtigsten Forschungen zur Xenotransplantation werden an Schweinen durchgeführt. Die Beobachtung der Funktionsweise eines Schweineherzens mithilfe diffusionsgewichteter MRT könnte sich für den Menschen als nützlich erweisen. Durch Messung der mikroskopischen Bewegungen der Wassermoleküle in den Muskelfasern lässt sich die Organisation der Faser (bunte Linien) rekonstruieren. Ihre Ausrichtung ist ein guter Indikator für die Integrität und Funktionalität des Herzens. Im Bild lässt sich auch die Rotation der Fasern im Raum zwischen dem Perikardium (äußerer Teil des Myokardiums) und dem Endokardium (innerer Teil) darstellen.


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Quelle:
research*eu - Nr. 62, Februar 2010, Seite 12 - 13
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2010