Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

TRANSPLANTATION/479: Nieren-Lebendspende auch für Hochrisiko-Patienten (idw)


Universitätsklinikum Heidelberg - 02.10.2012

Nieren-Lebendspende auch für Hochrisiko-Patienten

Neues Therapiekonzept: Heidelberger Mediziner filtern Antikörper aus dem Blut und verhindern Abstoßung durch starke Gewebe-Unverträglichkeit



Die Lebendspende einer Niere muss nicht an einer Gewebe-Unverträglichkeit des Empfängers scheitern: Ärzte und Immunologen des Universitätsklinikums Heidelberg haben ein Behandlungskonzept entwickelt, das Hochrisiko-Patienten auf die Transplantation vorbereitet und eine schnelle Abstoßung des Spenderorgans zuverlässig verhindert. Bisher war es in Deutschland in der Regel ein Ausschlusskriterium für die Lebendspende, wenn das Immunsystem des Empfängers schon vor der Transplantation auf die Gewebemerkmale des Spenders mit Antikörpern reagierte. Die Studie wurde im Fachmagazin "Transplant International" veröffentlicht.

Die Lebendspende einer Niere kann Menschen mit endgültigem Nierenversagen eine lange und leidvolle Wartezeit auf das Organ eines hirntoten Spenders ersparen: Derzeit liegt die durchschnittliche Wartezeit bei sechs bis sieben Jahren, in denen der Patient mehrmals wöchentlich zur Dialyse muss und körperlich abbaut. Doch bei rund einem Drittel der potentiellen Lebendspender passt das Organ nicht zum Empfänger: Blutgruppe oder sogenannte Gewebeverträglichkeitsmerkmale (HLA-Merkmale) stimmen nicht überein. Transplantationen über diese Barrieren hinweg sind heute dennoch möglich. Mit Hilfe komplexer Therapien wird das Immunsystem des Patienten daran gehindert, das neue Organ als Eindringling zu erkennen und zu bekämpfen.

Noch schwieriger wird es, wenn das Immunsystem des Patienten bereits vor der Transplantation sensibel auf die HLA-Merkmale des Spenders reagiert. Das kann der Fall sein, wenn das Immunsystem schon Kontakt zu fremdem Gewebe hatte, z.B. bei Schwangerschaften, Bluttransfusionen oder vorangegangenen Transplantationen. Abwehrreaktionen lassen sich dann kaum verhindern, da die entsprechenden Immunzellen und Antikörper nicht erst gebildet werden müssen, sondern schon im Blut vorhanden sind. "Für diese Hochrisiko-Patienten kam bisher eine Transplantation nach Lebendspende nur sehr selten in Frage. Das Organ muss bei ihnen schon sehr genau passen und selbst dann ist das Risiko, dass die Niere schnell abgestoßen wird, sehr hoch", erklärt Erstautor Privatdozent Dr. Christian Morath, Oberarzt am Nierenzentrum der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg (Ärztlicher Leiter: Professor Dr. Martin Zeier).

Gleiche Chancen auf erfolgreiche Transplantation wie Patienten ohne sensibilisiertes Immunsystem

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Nephrologen und Transplantationsimmunologen erarbeitete ein spezielles Therapiekonzept, um das Immunsystem der Hochrisiko-Patienten zu desensibilisieren. Im Rahmen einer Studie kam das neue Konzept seit 2007 bei zehn Patienten mit sehr hohem Abstoßungsrisiko zum Einsatz. Die Mediziner führten bei ihnen drei Wochen vor dem geplanten Transplantationstermin beginnend sogenannte Immunadsorptionen durch. Bei diesem Verfahren wird das Blut ähnlich der Dialyse außerhalb des Körpers über einen Filter geleitet, der Antikörper abfängt. Zusätzlich erhielten die Patienten ein Medikament (Rituximab), das die Bildung neuer Antikörper vermindert. Hierdurch konnte bei den Patienten die Menge der Antikörper gegen die HLA-Merkmale des Organspenders um 98 Prozent gesenkt werden. "Damit hatten sie zunächst einmal die gleiche Ausgangssituation wie Patienten ohne HLA-sensibilisiertes Immunsystem", sagt Professor Dr. Caner Süsal, Leiter des Antikörperlabors in der Abteilung für Transplantationsimmunologie (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Gerhard Opelz).

Bei allen zehn Patienten verlief die Transplantation erfolgreich, die neuen Nieren nahmen ihre Arbeit auf. Neun Nieren sind bis heute voll funktionsfähig, eine Patientin verlor ihr Transplantat im dritten Jahr nach der Transplantation aufgrund einer Autoimmunerkrankung. Bei sieben Patienten bildeten sich erstaunlicherweise auch nach Abschluss der Immunadsorptionen keine Antikörper gegen die HLA-Merkmale des Spenderorgans mehr. "Sie haben besonders gute Chancen, dass ihr Transplantat noch lange funktionieren wird", sagt Professor Süsal. Trotzdem erhalten alle Patienten, wie nach Transplantationen üblich, ihr Leben lang Medikamente, um eine Immunabwehr zu unterdrücken (Immunsuppression).

Das Heidelberger Zentrum verfügt über große Expertise bei Barriere-Transplantationen

"Trotz dieser hervorragenden Ergebnisse versuchen wir auch weiterhin Barriere-Transplantationen zu vermeiden, denn bei einigen Patienten bleibt das Abstoßungsrisiko erhöht und sie brauchen stärkere Medikamente", sagt Dr. Morath. "Mit unserem Behandlungskonzept ist die barriereübergreifende Transplantation aber erstmals eine echte Option für Hochrisiko-Patienten, die gerade erst dialysepflichtig werden und einen potentiellen Spender haben. Bei einer schnellen Organübertragung sind ihre Überlebenschancen deutlich besser als nach Jahren an der Dialyse."

Heidelberg ist das führende Zentrum für Nierenlebendspende in Deutschland und verfügt über große Expertise im Bereich der Barriere-Transplantationen. 2006 wurden hier erstmals in Deutschland Nieren hirntoter Spender trotz unpassender Gewebemerkmale übertragen, seit 2007 auch nach Lebendspenden und bei Hochrisiko-Patienten. Eine Heidelberger Studie aus dem Jahr 2010 ergab, dass Transplantationen bei diesen Patienten in Heidelberg genauso erfolgreich verliefen wie bei Patienten mit geringerem Abstoßungsrisiko: Nach einem Jahr funktionierten noch rund 95 Prozent der Transplantate. Insgesamt transplantierte das interdisziplinäre Team 125 Nieren über Blutgruppe- und Gewebe-Antikörper-Barrieren hinweg, 69 davon nach Lebendspenden. Von 65 Organübertragungen nach Lebendspende im Jahr 2011 waren 20 Barriere-Transplantationen.
TB


Weitere Informationen im Internet:
www.nierenzentrum-heidelberg.com
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Transplantationszentrum.103682.0.html
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Transplantations-Immunologie.1250.0.html?&FS=%2F%28null%29

Literatur:
Morath C, Beimler J, Opelz G, Scherer S, Schmidt J, Macher-Goeppinger S, Klein K, Sommerer C, Schwenger V, Zeier M, Süsal C.
Living donor kidney transplantation in crossmatch-positive patients enabled by peritransplant immunoadsorption and anti-CD20 therapy.
Transpl Int 2012 May;25(5):506-17.

Kommentiert in:
Hilbrands LB.
Current perspectives to overcome a positive crossmatch in living donor renal transplantation.
Transpl Int 2012 May;25(5):503-5


Ansprechpartner:

Priv.-Doz. Dr. Christian Morath
Medizinische Universitätsklinik Heidelberg
Nierenzentrum
E-Mail: christian.morath@med.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. Caner Süsal
Antikörperlabor
Abteilung Transplantationsimmunologie
Universitätsklinikum Heidelberg
E-Mail: caner.suesal@med.uni-heidelberg.de

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 11.000 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 Departments, Kliniken und Fachabteilungen mit ca. 2.000 Betten werden jährlich rund 550.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.600 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland.
www.klinikum.uni-heidelberg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution665

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung 119 / 2012
Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 02.10.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2012