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UMWELT/614: Bisphenol A - Hormone aus der Chemiefabrik (Securvital)


Securvital 4/2010 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Umwelt & Gesundheit

Hormone aus der Chemiefabrik

Von Norbert Schnorbach


"Keine Panik", meinen offizielle Stellen. Doch die Chemikalie Bisphenol A, massenhaft produziert und überall zu finden, ist in schweren Verdacht geraten.


Der Stoff ist ein Teufelszeug. Wenige tausendstel Gramm können Gesundheitsschäden verursachen. Trotzdem werden mehrere Millionen Tonnen davon jedes Jahr hergestellt und verarbeitet. Die Rede ist von Bisphenol A, einem Grundstoff für die Herstellung vieler Plastik- und Kunstharzprodukte. Dazu gehören Trinkflaschen aus Polycarbonat, Getränkedosen mit Innenbeschichtung, Plastikschüsseln, Farben, Konservendosen und Lebensmittelverpackungen. Die Industrie bevorzugt den Stoff, der so vielseitig einsetzbar ist, und wehrt sich gegen Produktionseinschränkungen. Bisphenol A werde schon nicht in den menschlichen Körper gelangen bzw. gefahrlos wieder ausgeschieden. Die Realität sieht erschreckend anders aus. Die Chemikalie, die wie ein künstliches Hormon wirkt, ist bereits im Trinkwasser, in Lebensmittel und sogar im menschlichen Blut und Urin nachweisbar. Die Umweltschutzorganisation BUND wies mit eigenen Laboruntersuchungen nach, dass Bisphenol A auch in Babyprodukten enthalten ist. Die Umweltschützer fordern eine klare Entscheidung des Gesetzgebers zum Schutz der Verbraucher: "Babyfläschchen, Schnuller und Babyspielzeug dürfen kein Bisphenol A enthalten!"


Riskant oder harmlos?

In Kanada ist die brisante Chemikalie schon seit zwei Jahren als gefährliche Substanz eingestuft und für Babyflaschen und medizinische Produkte verboten. In den USA mehren sich die Stimmen von Wissenschaftlern, die vor den Gesundheitsrisiken des Stoffes warnen. In der Europäischen Union ist das Thema umstritten. Dänemark und Frankreich haben bereits strengere Regeln als die EU erlassen, Norwegen und Großbritannien erwägen das ebenfalls. In Deutschland dagegen wird noch darüber diskutiert. Das Umweltbundesamt (UBA) hat vor einigen Wochen eindringlich vor der Chemikalie gewarnt und empfiehlt, dass die Industrie vorsorglich darauf verzichten sollte. Mögliche Risiken für die menschliche Gesundheit seien nicht zu übersehen.

Anders urteilt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): "Die amtliche Lebensmittelüberwachung hat bei stichprobenartigen Untersuchungen im Inhalt haushaltsüblich erwärmter Babyfläschchen kein Bisphenol A nachweisen können. Eine Gesundheitsgefährdung für Babys, die Nahrung aus Babyfläschchen aus Polycarbonat aufnehmen, besteht daher nicht. Einen Verzicht auf Polycarbonatfläschchen hält das BfR nicht für erforderlich." Ganz sicher ist allerdings auch das BfR nicht. "Es gibt eine Reihe neuerer Untersuchungen an Versuchstieren zu möglichen gesundheitsschädigenden Wirkungen kleinster Mengen von Bisphenol A", räumt das Amt ein. Das sei jedoch kein Grund zur Panik. Der EU-Grenzwert (0,05 Milligramm Tagesaufnahme von Bisphenol A pro Kilogramm Körpergewicht) gelte nach amtlicher Einschätzung als gesundheitlich unbedenklich und werde nicht überschritten.


Sexualstörungen

Kritische Wissenschaftler urteilen strenger. Bereits kleinste Mengen Bisphenol A können für Kleinkinder gefährlich sein, sagt der Würzburger Mediziner Gilbert Schönfelder. "Es gibt Untersuchungen, die der Chemikalie bereits bei niedrigen Konzentrationen negative Effekte auf die Sexualität sowie einen Zusammenhang mit dem Auftreten von Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen nachweisen", fasst das Umweltbundesamt zusammen. Außerdem sei es wohl so, dass der hormon-ähnliche Stoff männliche Sexualhormone und Schilddrüsenhormone hemmt, das Nervensystem schädigt und die Gehirnentwicklung bei Kindern und Ungeborenen beeinträchtigen kann.

Die bisherigen EU-Grenzwerte werden in Zweifel gezogen. "Im menschlichen Blut ist der mittlere Gehalt an Bisphenol A mittlerweile höher als die Konzentration, die bei Mäusen zu einer Beeinträchtigung der Sexualentwicklung führen kann", warnt der BUND.

Als sicher gilt mittlerweile, dass sich die Chemikalie zum Beispiel durch heißes Wasser aus dem Plastik löst und in die Nahrung gelangt. Die Forderungen nach strengeren Regelungen oder einem Verbot, insbesondere bei Lebensmitteln und Babyprodukten, erhalten immer mehr Gewicht. Greenpeace bringt es auf den Punkt: "Es ist kriminell, Chemikalien in Verbraucherprodukten einzusetzen, die das Kind im Mutterleib schädigen können."


Tipps für Eltern

Bisphenol A ganz zu vermeiden scheint zurzeit unmöglich, solange die Industrie die Chemikalie massenhaft verarbeiten darf und praktisch jeder Mensch mit dem Stoff in Kontakt kommt. Eltern können aber darauf achten, keine Trinkflaschen und Babyprodukte aus Polycarbonat zu kaufen und innen beschichtete Getränke- und Konservendosen zu meiden. Weitere Informationen enthalten der neue UBA-Bericht (www.umweltbundesamt.de), die Publikationen des Bundesinstituts für Risikobewertung (www.bfr.bund.de) und die Veröffentlichungen von BUND (www.bund.net) und Greenpeace
(www.greenpeace-magazin.de)


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Quelle:
Securvital 4/2010 - Juli/August Seite 28-29
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010