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AUSLAND/1890: Libyen - Krankenhäuser in Kufra unterversorgt, Lage auch nach Feuerpause schwierig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Oktober 2012

Libyen: Krankenhäuser in Kufra unterversorgt - Lage auch nach der Feuerpause schwierig

von Rebecca Murray


Das zerstörte Wohngebiet der Tabu in Gadarfai, einem Viertel der südlibyschen Stadt Kufra - Bild: © Rebecca Murray/IPS

Das zerstörte Wohngebiet der Tabu in Gadarfai, einem Viertel der südlibyschen Stadt Kufra
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Kufra, Libyen, 23. Oktober (IPS) - Der Körper der sechsjährigen Safia ist übersät mit Narben von einer Rakete, die im Februar das Wohnhaus ihrer Familie durchschlug. Die Eltern und Geschwister waren auf der Stelle tot. Das Mädchen besucht gerade die Ärzte, die ihm das Leben gerettet haben, und wagt ein scheues Lächeln.

Das Behelfskrankenhaus befindet sich in Gadarfai, einem zusammengewürfelten Haufen provisorischer Hütten, Müllberge und verbrannter Erde. In dem Viertel der Wüstenoasenstadt Kufra leben ethnische Tabu. Reste eines zerstörten Geschützes und ein klaffendes Loch, das ein Mörser auf dem Klinikgelände hinterlassen hat, erinnern an die brutalen Kämpfe zwischen den Tabu und der Mehrheit der arabischen Zwai in diesem Jahr um die Kontrolle der grenzüberschreitenden Schmuggelrouten.

Gleich nach Ausbruch der Gewalt im Februar war das medizinische Personal der Klinik bedroht worden. "Ich arbeite hier seit zehn Jahren als Krankenschwester", berichtet Khadija Hamed Yousef. "Das Zwai-Sicherheitspersonal und die Fahrer der Krankenwagen tauchten hier mit Kalaschnikows auf und erklärten uns, dass sie uns töten würden, sollten wir unsere Arbeit nicht einstellen."


Kliniken unterversorgt

Seit der Feuerpause im Juli sind die Tabu-Kliniken in Gadarfai und Shura, einem weiteren Viertel der Tabu in Kufra, noch immer überfüllt. Die Versorgung der Patienten ist schwierig. Es fehlt an medizinischem Equipment und Medikamenten. Das Gesundheitsministerium hat zwar zwei nordkoreanische Ärzte geschickt, doch die können die Kranken nicht verstehen, weil sie ausschließlich koreanisch sprechen.

Zwai-Frauen begleiten verängstigte Tabu-Frauen ins Krankenhaus ins Zentrum von Kufra, damit sie dort ihre Babys sicher zur Welt bringen können. Schwer verletzte oder kranke Tabu verlassen die Stadt, um sich woanders ärztliche Hilfe zu suchen.

Die kleine Oasenstadt Kufra liegt hunderte von Kilometer südlich des Mittelmeeres in der Sahara an der Grenze zu Ägypten, Sudan und Tschad. Sie ist sowohl Heimat der Zwai, die von dem ehemaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi bevorzugt behandelt wurden, als auch der schwarzafrikanischen Tabu, die als 'Ausländer' diskriminiert und ihrer Bürgerrechte beraubt wurden, obwohl sie seit Generationen auf libyschem Territorium leben.

Die Rollen der beiden Ethnien während der Revolution waren entsprechend klar verteilt. Während die Zwai für die Aufrechterhaltung des Status quo waren, schlossen sich die Tabu, die Beziehungen zu Sebha im Westen und zum Tschad, Niger und Sudan unterhalten, den Aufständischen an.

Nach dem Sieg der Revolution kam es an einem Checkpoint im November zum Ausbruch ethnischer Gewalt. Aufgrund der schwachen Reaktion der Regierung in Tripolis und der internationalen Gemeinschaft gelang es nicht, im Februar ein Blutbad zu verhindern. Im April und Juni folgten weitere Kämpfe. Mehr als 200 Menschen - mehrheitlich Tabu - kamen ums Leben und hunderte wurden bis zu der sich anschließenden Feuerpause verletzt.

Während sich die Tabu frei in der Wüste bewegen, kontrollieren die Zwai die Lokalverwaltung von Kufra, das Stadtzentrum und den Flughafen. Während der blutigen Zusammenstöße hatten die Zwai die Ein- und Ausgänge der Stadt verriegelt. Die Entscheidung des Verteidigungsministeriums, die undisziplinierten Milizionäre des Libyschen Schilds aus dem Nordosten als Friedenssoldaten in die Region zu entsenden, stellte sich als gravierender Fehler heraus. Diese stellten sich auf die Seite der Zwai und richteten ihre Waffen gegen die 'Ausländer' der belagerten Stadtteile Gadarfai und Shura.

Die 26-jährige Halim Abdullah Mohammed gehörte zu den Hilfskräften an der Klinik von Gadarfai, die während der Zusammenstöße im Februar rund um die Uhr im Einsatz waren, um die vielen Patienten - die Hälfte Frauen und Kinder - zu versorgen. Wie sie einräumt, konnte vielen Menschen nicht geholfen werden. Da sei dieses zwölfjährige Mädchen gewesen, dem ein Mörser einen Teil des Kopfes weggerissen habe. Und auch für den 29-Jährigen, der von einer Kugel in den Kopf getroffen worden war, habe man nichts tun können.

"Wir verbanden und vernähten die blutenden Wunden und arbeiteten mit Lokalanästhesie", berichtet sie und schildert die damals prekären Verhältnisse: So kam es immer wieder zu Stromausfällen, es fehlte an sauberem Wasser, funktionierenden Kühlsystemen und Medikamenten. Bluttransfusionen wurden direkt vor Ort vorgenommen, und in der Nacht musste beim Schein der Taschenlampen operiert werden. Aus Angst, erschossen zu werden, wagte es das Klinikpersonal nicht, die toten Patienten außerhalb des Klinikgeländes zu beerdigen. Die Leichen wurden im Wachraum gestapelt und verwesten in der Hitze.

Auf der anderen Seite der Stadt, im Viertel Shura, trauert Rajab Hamid Suri um seinen 16-jährigen Sohn Mohammed, dem Opfer eines Mörseranschlags. Der Junge sei in der behelfsmäßigen Klinik nebenan ganz langsam an seinen Verletzungen verblutet, erzählt der Vater. "Er konnte sprechen. Wir hatten so sehr gehofft, dass er durchkommen würde."


Vorwürfe gegen Roten Halbmond

Wie das Tabu-Klinikpersonal berichtet, kam keine Hilfe in die belagerten Stadtteile durch. Man habe schwer verletzte Patienten zur Behandlung durch die Wüste ins Hunderte Kilometer entfernte Murzuq transportiert. Unterstützung von der lokalen Rot-Halbmond-Gesellschaft sei ausgeblieben, und die Arbeit des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) habe sich darauf beschränkt, Verletzte zu evakuieren.

Im April hatte 'Amnesty International' Zugang zu den Kampfgebieten gefordert. "Wir verlangten ferner die medizinische Gleichbehandlung der Ethnien und den Schutz der eingelieferten Menschen", so die libysche Wissenschaftlerin Diana Eltahawy. "Was den Roten Halbmond angeht, ist an den Vorwürfen der Tabu etwas dran", meint sie, erinnert aber daran, dass ein Mitarbeiter versucht habe, Hilfsgüter an die Tabu zu liefern. "Doch er wurde angegriffen, und keiner ging dazwischen."

"Es war gefährlich, Tabu aus den Kliniken zu den Flughäfen zu transportieren", bestätigt Laurent Perrelet vom IKRK: Er beschreibt die hoffnungslose Lage in den provisorischen Kliniken selbst. "Es gab für die vielen Verletzten nicht genug Platz, um sie aufzunehmen. Sie mussten außerhalb des Gebäudes - wohl auf dem Krankenhausgelände - verarztet werden." Perrelet ist der Meinung, dass die Ausbildung von Tabu und Zwai zu Freiwilligen des Roten Halbmondes nun Priorität haben müsse. Darüber hinaus gelte es zu klären, wie sich die Zusammenarbeit zwischen Rotem Kreuz und Rotem Halbmond verbessern ließe.

Die 28-jährige Krankenschwester Halima Salah hat noch immer alle Hände voll zu tun. Sie absolviert ihre Schicht im Krankenhaus von Shura, versorgt ihren Sohn, der an einer Gehirnlähmung leidet, und engagiert sich für eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für einen Dialog zwischen Tabu und Zwai stark macht. "Ich rede auch heute noch mit meinen beiden Zwai-Freunden", sagt sie. "Während der Zusammenstöße ging das nicht, zu viele Familien waren involviert. Doch inzwischen fragen wir uns gegenseitig: 'Warum schickt ihr uns anstatt der Mörser nicht lieber Tomaten?'" (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/injured-struggle-in-the-sahara/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012