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AUSLAND/1941: Syrien - Mehr unabhängige Hilfe über Grenzen und Frontlinien hinweg ist dringend nötig (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - 8. März 2013

Mehr unabhängige Hilfe über Grenzen und Frontlinien hinweg dringend nötig

Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht Bericht zur Lage in Syrien



Anlässlich des zweiten Jahrestages des Syrienkonfliktes am kommenden Freitag fordert Ärzte ohne Grenzen mehr unabhängige humanitäre Hilfe für die Syrer über Grenzen und Frontlinien hinweg. Die Organisation ist selbst mit drei Kliniken und mobilen medizinischen Teams im Land aktiv und hilft syrischen Flüchtlingen im Libanon, in Jordanien, im Irak und in der Türkei. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht beschreibt Ärzte ohne Grenzen die Unzulänglichkeit der derzeitigen internationalen Hilfe.

Frank Dörner, Geschäftsführer Ärzte ohne Grenzen Deutschland:

"Die momentane Situation der Menschen in Syrien ist katastrophal. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen. Mehr als die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser wurden nach offiziellen Angaben beschädigt, gut ein Drittel ist nicht mehr funktionsfähig. Medizinische Einrichtungen werden gezielt angegriffen, Krankenhäuser werden zerstört, medizinisches Personal wird verfolgt. Rund 2,5 Millionen Syrer leben als Vertriebene im eigenen Land. Eine Million sind in die Nachbarländer Irak, Jordanien, Libanon und Türkei geflohen. Die derzeitig geleistete unabhängige internationale Hilfe für die syrische Bevölkerung ist völlig unzureichend. Die syrische Regierung schränkt die Hilfsmöglichkeiten ein und ein Großteil der Hilfe in den von Oppositionsgruppen gehaltenen Regionen kommt von der syrischen Diaspora, Ländern, die mit der Opposition sympathisieren oder politischen und religiösen Netzwerken und unterliegen damit deren politischen Agenden.

Alle Konfliktparteien müssen ein Übereinkommen aushandeln, das im ganzen Land humanitäre Hilfe ermöglicht, auch von Nachbarländern aus oder über die Fronten hinweg. In der Zwischenzeit müssen die Vereinten Nationen, die einzelnen Staaten und die Geldgeber einen Rahmen schaffen, in dem Nichtregierungsorganisationen bestmöglich Hilfe leisten können. Dass keine politische Lösung für den Konflikt gefunden wird, kann keine Entschuldigung für ein Versagen der humanitären Reaktion sein."

Michael Winter, Chirurg, der einige Wochen mit Ärzte ohne Grenzen in Syrien im Einsatz war:

"Ich habe drei Wochen lang als Notarzt in einem improvisierten Operationssaal im Norden Syriens gearbeitet. Immer wieder kamen Zivilisten, die durch Raketen oder Luftangriffe verletzt wurden. Manche unserer Patienten hätten nicht überlebt, wenn sie für eine Behandlung über die Grenze in die Türkei hätten gebracht werden müssen. Kurz nach meiner Abreise wurde das letzte funktionierende Krankenhaus in der Region ein paar Dörfer weiter durch einen Luftangriff komplett zerstört.

Wir haben die gesamte Ausrüstung für die Klinik in Taschen zu Fuß über die Grenze mit der Türkei getragen und ein Privathaus im Oppositionsgebiet in eine improvisierte Klinik umgewandelt. Geschlafen haben wir haben auf der Terrasse. Viele Verletzte kamen aus Aleppo, aber auch aus den Dörfern der Umgebung. Wir hatten auch viele Patienten, die mit Alltagsproblemen zu uns kamen, weil die reguläre Gesundheitsversorgung zusammengebrochen war: Ein Junge, der vom Dach gefallen war zum Beispiel oder eine alte Frau mit Gastritis. So war ich auch Hausarzt für das Dorf."

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Pressestelle: Telefon: 030/22 33 77 00
E-Mail: office@berlin.msf.org
Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2013