Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1977: Irak - Medizinische Hilfe unter Bomben, Deutsche arbeitet seit 20 Jahren in Kurdenregionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2013

Irak: Medizinische Hilfe unter Bomben - Deutsche arbeitet seit 20 Jahren in Kurdenregionen

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Media (r.) und ihre Assistentin Daryan in der irakischen Kurdenregion
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Kandil-Berge, Irak, 29. Juli (IPS) - "Ich habe gesehen, wie ein türkischer Panzer, der in Deutschland gebaut wurde, ein kurdisches Dorf zerstört hat", erzählt Media, eine Krankenschwester aus Hamburg, die seit 1992 Kurden in Konfliktgebieten medizinische Hilfe leistet. In den Kandil-Bergen im kurdischen Norden des Iraks ist sie überall nur unter ihrem Vornamen bekannt.

Ihre Heimat und ihren Nachnamen ließ Media 1992 hinter sich, als sie zunächst in der türkischen Kurdenregion Midyat 800 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Ankara im Einsatz war. Seitdem ist sie nicht wieder nach Europa zurückgekehrt. Inzwischen leitet sie ein kleines Krankenhaus im Grenzgebiet zwischen dem Iran, dem Irak und der Türkei.

Weiter unten in dem Tal, das in den Wintern durch heftige Schneefälle oft von der Außenwelt abgeschnitten ist, gibt es mehrere medizinische Einrichtungen, die von den kurdischen Behörden im Irak betrieben werden. Die Bewohner der Kandil-Berge können sich die teure private Gesundheitsversorgung aber nicht leisten und stehen der ausufernden Korruption machtlos gegenüber.

Media kann sie hingegen kostenlos behandeln, weil sie finanzielle Zuwendungen von europäischen, türkischen und irakisch-kurdischen Gebern erhält. "Wir erhalten keinerlei institutionelle Unterstützung, aber wir werden weiterarbeiten können, solange uns die Türken nicht wieder bombardieren", sagt sie.

2008 konnte sie sich mit viel Glück retten, als ein türkisches Flugzeug ein Hospital in der kleinen Stadt Lewzha angriff, wo sie Krankenpfleger fortbildete. In ihrem eigenen Krankenhaus betreut die 49-Jährige jeden Tag etwa 30 Patienten. Während des islamischen Fastenmonats Ramadan sind es allerdings weniger.


Rückzugsgebiet der PKK

Wegen ihrer strategischen Lage ist die schroffe Landschaft zu dem wichtigsten Rückzugsgebiet der Kurdischen Arbeiterpartei PKK geworden, einer Rebellenbewegung die gegen die türkische Regierung für die Rechte und konstitutionelle Anerkennung der Kurden kämpft.

Von den 30 bis 40 Millionen Kurden lebt etwa die Hälfte in der Türkei. Die übrigen verteilen sich auf den Irak, den Iran und Syrien. In der Türkei hat ein seit drei Jahrzehnten andauernder Krieg gegen die Kurden bereits Zehntausende Tote gefordert. Mehr als 4.000 kurdische Dörfer wurden zerstört.

Zwischen der PKK und der Regierung in Ankara scheint sich inzwischen aber ein Frieden anzubahnen. Die Gespräche begannen, nachdem der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan im März einen einseitigen Waffenstillstand verkündete - den neunten seit 1993. Er ordnete außerdem die Rückkehr seiner Kämpfer zu den Stützpunkten in den Kandil-Bergen an.

Die Kurden kämpfen "in der denkbar schlechtesten Lage" um ihre Rechte, ohne jedoch die Hoffnung zu verlieren, sagt Media. Sie behandelt Rebellen ebenso wie Dorfbewohner, die zwischen die Fronten geraten.

Zeichnungen und Gemälde an den Wänden der Krankenstation bezeugen, wie notwendig ihre Hilfe ist. Ein Bild zeigt die Bäuerin Aisha Ali, die beschossen wurde, als sie ein weißes Tuch schwenkte, um zu signalisieren, dass sie unbewaffnet war. Auf anderen ist die zwölfjährige Beijal zu sehen, die durch eine Landmine getötet wurde, oder Sozan, die bei dem türkischen Angriff in Lewzha ein Bein verlor.

"Dies ist ein grausamer Krieg, vor dem die internationale Gemeinschaft ihre Augen verschließt, während lukrative Waffenabkommen mit der Türkei unterzeichnet werden", sagt Media. Sie sei nicht "allzu optimistisch", was den Friedensprozess zwischen Türken und Kurden angehe", gesteht sie. "Ein Teil von ihnen bewegt sich immer auf einen Dialog zu, während der andere jeden Versuch boykottiert, den langerwarteten Frieden zu schließen."

Seit der Verkündung des Waffenstillstands im März hat es immerhin noch keine weiteren Angriffe gegeben. Media hat nur unbemannte Drohnen gesehen, die den Rückzug der kurdischen Rebellen aus der Türkei überwachten.

Eine 37-jährige Zahnärztin namens Daryan assistiert Media seit fünf Jahren. Als Kind floh sie aus der türkischen Stadt Mardin etwa 300 Kilometer südöstlich von Ankara. Media überzeugte sie davon, Ärztin zu werden. Dank der Unterstützung mehrerer Organisationen konnte sie sich in der irakischen Kurdenregion zur Zahnärztin fortbilden.

Die Kurdin bestätigt, wie wichtig das kleine Krankenhaus für die Region ist. "Sechs Beschäftigte sind eigentlich in dem Hospital in Lewzha tätig, doch es ist immer noch geschlossen. Deshalb wenden sich die Bewohner der Dörfer an uns, um sich behandeln zu lassen."


Kranke aus weit entfernten Städten

Viele Patienten kommen sogar aus dem 50 Kilometer entfernten Rania oder aus der Stadt Sulaymaniyah, die 260 Kilometer nordöstlich von Bagdad liegt. Sie klagen über "Unregelmäßigkeiten" im irakisch-kurdischen Gesundheitswesen. Laut Daryan ist Korruption in der Region weit verbreitet, und das medizinische Fachpersonal versucht sich auf Kosten der Kranken zu bereichern.

Medias Arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist über bloße Gesundheitsversorgung weit hinausgegangen. "Solche Initiativen helfen uns dabei, die Wärme und Solidarität der Außenwelt zu spüren, die uns Mut machen", sagt der PKK-Kämpfer und ehemaliger Lehrer Hiwa Zagros. "Wir fühlen uns darin bestärkt, den Weg zur Anerkennung unserer Rechte weiterzugehen." (Ende/IPS/ck/2013)


Link:
http://www.ipsnews.net/2013/07/kurds-find-a-german-healing-touch/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2013