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AUSLAND/1978: Austerität tötet - Deutschland reorganisiert griechisches Gesundheitssystem (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - Donnerstag, 25.7.2013
(www.german-foreign-policy.com)

Austerität tötet

Deutschland reorganisiert das griechische Gesundheitssystem



BERLIN/ATHEN - Die unter deutscher Federführung realisierte Umgestaltung des griechischen Gesundheitssystems schreitet voran. "Ein finaler Fahrplan soll in der zweiten Hälfte dieses Jahres vorliegen", teilt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Anfrage mit. Defizite macht die Bundesregierung unter anderem im Fehlen einer "effektive(n) Kostensteuerung" sowie vor allem "wettbewerbliche(r) Elemente" aus. In einem "Memorandum of Understanding" (MoU) haben sich das BMG und die Task Force für Griechenland (TFGR) mit der griechischen Regierung unter anderem auf die Einführung sogenannter Fall-Pauschalen nach deutschem Modell geeinigt, die heftig kritisiert werden, weil sie die Behandlung von Kranken nicht am Bedarf, sondern an der Wirtschaftlichkeit ausrichten. Unterdessen zeigen sich die massiven Folgen des Spardiktats für die öffentliche Gesundheit in Griechenland immer deutlicher. Eine steigende Zahl von Griechen verlieren infolge von Arbeitslosigkeit ihren Krankenversicherungsschutz und müssen anfallende Behandlungskosten selbst tragen. Die medizinische Unterversorgung hat beispielsweise die Kindersterblichkeit seit 2009 um 40 Prozent steigen lassen. Auch Krankheiten wie Malaria und Aids breiten sich immer stärker aus. Die Bundesregierung hält dessen ungeachtet an ihrem Austeritäts-Kurs fest.

"Effizienz und Effektivität"

Im März 2010 hat die Bundesrepublik die Federführung bei der Umgestaltung des griechischen Gesundheitssystems unter den Vorzeichen der EU-Spardiktate übernommen. "Das Bundesministerium für Gesundheit unterstützt die Anstrengungen der griechischen Regierung, mit substanziellen und wirksamen Veränderungen in der Organisation des Gesundheitswesens die Effizienz und Effektivität der medizinischen Versorgung langfristig zu erhöhen", erklärte Gesundheitsstaatssekretär Stefan Kapferer im Februar 2011 bei der Unterzeichnung der entsprechenden "Declaration of Intent".[1] Die konkreten Maßnahmen haben das Bundesgesundheitsministerium und die Task Force für Griechenland (TFGR) im April 2012 in einem "Memorandum of Understanding" (MoU) mit der griechischen Regierung festgelegt. Sie umfassen unter anderem die Einführung von Fall-Pauschalen, Veränderungen der Management-Strukturen in den Krankenhäusern, die Umorganisation des Krankenversicherungsträgers EOPYY und neue Preisfindungsmodelle für Arzneimittel. Die genaue Ausarbeitung der Pläne obliegt der deutschen Entwicklungshilfeagentur GIZ, die sich damit "neue Märkte in Industrieländern" erschließt.[2] Zusätzliche Expertise kaufte die Bundesregierung bei der "KSB Klinikberatung" und der "B und K Informatik und Consulting" ein.

Gewinnorientierte Therapie

Wie die deutsche Regierung befindet, fehlen dem griechischen Gesundheitssektor "eine effektive Kostensteuerung" und vor allem "wettbewerbliche Elemente".[3] Als ein zentrales Instrument, um dieses vermeintliche Defizit zu beheben, betrachtet sie die Einführung von Fall-Pauschalen nach bundesdeutschem Vorbild. Durch ein Honorierungssystem, das sich an der Art der Krankheit und nicht mehr an der Länge des Klinik-Aufenthaltes orientiert, erwartet die Regierungskoalition "erhebliche Vorteile" - obwohl die Kritik an diesem Modell schon lange wächst. So monieren Mediziner Fehlanreize, die zu unnötigen, aber lukrativen Eingriffen auf der einen, zur vorzeitigen Beendigung nur wenig gewinnbringender Therapien auf der anderen Seite ("blutige Entlassungen") führen. Zudem konnten Untersuchungen keine spürbaren Kostensenkungen durch die Umstellung auf "Diagnose-bezogene Fallgruppen" (DRGs, "Diagnosis Related Groups") feststellen. Allzu schnelle Effekte durch die DRGs stellt denn auch die Bundesregierung nicht in Aussicht: Diese setzten die Implementierung moderner, effizienzorientierter Management-Strukturen in den Krankenhäusern voraus, was allerdings Zeit koste. "Vor diesem Hintergrund sind kurzfristig messbare Erfolge nicht zu erwarten", heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag.[4]

Gesundheitsetat um ein Drittel gekürzt

Die angestrebten Veränderungen werden im Rahmen der von Berlin forcierten Spardiktate durchgeführt. Nach den Vorgaben der Troika dürfen die Gesundheitsausgaben Griechenlands nicht mehr als sechs Prozent des Bruttosozialproduktes betragen - in der Bundesrepublik lagen sie 2011 bei 11,3 Prozent. Da das griechische Bruttosozialprodukt in Folge der über das Land verhängten Austeritätspolitik seit Jahren sinkt, gehen die Aufwendungen für den Gesundheitsbereich drastisch zurück. Von 14 Milliarden Euro im Jahr 2009 reduzierten sie sich bis 2012 auf rund 9,5 Milliarden Euro.[5] Die griechische Regierung hat bis jetzt 46 der insgesamt 130 Hospitäler geschlossen und den übrigen Krankenhäusern das Budget um 40 Prozent gekürzt; dies kostete zusätzlich zu den Einbrüchen in der Gesundheitsversorgung Tausende von Arbeitsplätzen. Auch der neu geschaffene Krankenversicherungsträger EOPYY erhält weniger Geld. Er hat deshalb Schulden in Milliardenhöhe angehäuft und kann die Kosten für Medikamente und Behandlungen nicht mehr erstatten. Die Patienten müssen deshalb selbst dafür aufkommen und teilen dieses Schicksal mit den rund 30 Prozent ihrer Landsleute, die durch Arbeitslosigkeit den Versicherungsschutz verloren haben.

Humanitäre Krise

2012 bezeichnete der damalige griechische Gesundheitsminister Andreas Lykourentzos die Verhandlungen mit der Troika als eine der schwierigsten Perioden seiner bisherigen Amtszeit. "Das öffentliche Gesundheitssystem kann nicht amputiert werden", warnte er nach den Gesprächen.[6] In der Tat haben die aufoktroyierten Sparmaßnahmen verheerende Auswirkungen auf die Gesundheitssituation im Land. Steigen in Wirtschaftskrisen die Krankenstände ohnehin, so verschlechtert die Austeritätspolitik die Situation zusätzlich in großem Ausmaß. Von einer "humanitären Krise" spricht etwa der Mediziner Dr. Giorgos Vichas.[7] Die Kindersterblichkeit hat seit 2008 um 40 Prozent zugenommen. Die Zahl der HIV-infizierten Drogennutzer erhöhte sich von zehn bis fünfzehn im Jahr 2007 auf 314 allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2012 - hauptsächlich wegen drastischer Kürzungen bei den Präventionsprogrammen. Auch Malaria, Tuberkulose, das West-Nil- und das Dengue-Fieber breiten sich immer stärker aus. Ärzte-Initiativen, die zu Medikamentenspenden aufrufen und Patienten kostenlos behandeln, versuchen die größte Not zu lindern, können die Versorgungslage jedoch nicht substanziell verbessern.

Tödliche Schock-Therapie

"Die Interaktion von Austeritätspolitik mit ökonomischen Schocks und mangelhaften sozialen Schutzmechanismen scheint letztlich für eine Eskalation gesundheitlicher und sozialer Krisen in Europa zu sorgen", resümiert eine in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Studie mehrerer Wissenschaftler.[8] Zum selben Ergebnis kommen die beiden Epidemiologen David Stuckler und Sanjay Basu in ihrem Buch "The Body Economic - Why Austerity kills". Die "European Health Alliance" hat aus diesem Grund in einem Offenen Brief an die Europäische Kommission eine politische Kehrtwende gefordert. In der Bundesrepublik protestieren Verbände wie "medico international" und der "Verein demokratischer Ärzte und Ärztinnen" gegen die Spardiktate und ihre katastrophalen Folgen.

Immer weiter kürzen

Die Bundesregierung zeigt sich indessen ungerührt von solchen Vorstößen. Aktivitäten etwa zur Sicherstellung eines besseren Krankenversicherungsschutzes, die über das gemeinsam mit der "Task Force für Griechenland" (TFGR) im "Memorandum of Understanding" (MoU) festgelegte Programm hinausgehen, plant sie nicht. "Die Bundesregierung konzentriert ihre aktive Unterstützung auf die im MoU mit der griechischen Regierung und der TFGR vereinbarten Schwerpunkt-Themen", verlautet aus dem Kanzleramt.[9] Die Troika hat derweil noch härtere Einschnitte durchgesetzt. Sie rang der griechischen Regierung nach ihrer letzten "Inspektion" Anfang dieses Monats das Zugeständnis ab, konkrete Schritte zu unternehmen - nicht etwa, um die dramatischen Konsequenzen der Spardiktate für die Gesundheitssituation endlich einzudämmen, sondern um die angeblich immer noch "zu hohen Ausgaben im Gesundheitsbereich" unter "Kontrolle" zu bekommen.[10]


[1] Deutschland unterstützt Griechenland in schwierigem Reformprozess - "Declaration of Intent" unterzeichnet; www.bgm.bund.de
16.02.2011
[2] Neue Märkte in Industrieländern; www.giz.de
24.06.2013
[3], [4] Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE, Drucksache 17/10794;
www.dip21.bundestag.de
[5] Schluss, Aus, kein Amen; www.sueddeutsche.de
29.03.2013
[6] Health minister on meeting with troika, health system;
www.hri.org
17.10.2012
[7] Greece's life-saving austerity medics; www.bbc.co.uk
10.07.2013
[8] Financial crisis, austerity and health in Europe; www.thelancet.com
27.03.2013
[9] Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE,
Drucksache 17/10794; www.dip21.bundestag.de
[10] Statement by the European Commission, ECB and IMF on the review mission to Greece;
www.europa.eu

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2013