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AUSLAND/2007: Haiti - Die Cholera holt sich täglich neue Opfer, 8.300 Tote in drei Jahren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2013

Haiti: Die Cholera holt sich täglich neue Opfer - 8.300 Tote in drei Jahren

von Thalif Deen und Patrick Saint-Pre


Bild: © Ansel Herz/IPS

Ein Demonstrant mit einem Anti-UN-Plakat bei einer Kundgebung 2010 vor einem MINUSTAH-Stützpunkt in Port-au-Prince
Bild: © Ansel Herz/IPS

New York, Port-au-Prince, 4. November (IPS) - Rund 2.400 Kilometer von der Stadt New York entfernt, wo Opfer der Cholera-Epidemie in Haiti die Vereinten Nationen vor einem US-Bundesgericht verklagt haben, ist ein Ende der grassierenden Krankheit nicht in Sicht.

In nur einer Woche - vom 19. bis 26. Oktober - kam es nach Angaben der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation landesweit zu 1.512 Neuansteckungen und 31 Todesfällen. Seit dem verheerenden Erdbeben vor drei Jahren sind hunderttausende Menschen an der Bakterieninfektion erkrankt.

Viola Augustine arbeitet im Cholera-Behandlungszentrum der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Delmas 33, einem Viertel des Arrondissements Port-au-Prince. Die Klinik sei völlig ausgelastet und könne keine Patienten mehr aufnehmen, sagte sie. "Wir haben seit der Öffnung des Zentrums mehr als 20.000 Fälle behandelt. Doch nun müssen wir bedingt durch die regenzeitbedingte Zunahme der Infektionen Neuzugänge an andere Kliniken überweisen."

Der Ausbruch der Cholera in Haiti hat seit Oktober 2010 mehr als 8.300 Menschen das Leben gekostet. 680.000 Haitianer wurden angesteckt. Der Ausbruch der bis dahin in dem Inselstaat als ausgerottet geltenden Krankheit wird nepalesischen Blauhelmen angelastet, die Teil der 9.500 Blauhelme starken UN-Stabilisierungsmission in Haiti (MINUSTAH) sind.

Die Vereinten Nationen weisen Forderungen nach einer Entschädigung mit dem Verweis auf ihre diplomatische Immunität bisher kategorisch zurück. Anfang Oktober hatte dann eine Menschenrechtsorganisation im Auftrag der Cholera-Opfer eine Entschädigungsklage eingereicht, um die Weltorganisation dazu zu zwingen, zumindest einen Teil ihrer Verantwortung für den Cholera-Ausbruch zu übernehmen.

Die 45-jährige Felicia Paul lebt in Saint-Marc, etwa 100 Kilometer nordwestlich der haitianischen Hauptstadt. Sie hatte sich die Cholera 2010 eingefangen und überlebte nur dank einer umfassenden elektrolytischen Behandlung. "Zwölf Tage war ich krank, und auch heute noch geht es mir schlecht. Ich kann nicht gut sehen und bin schnell erschöpft", berichtete sie. "Meine Töchter haben mich gepflegt und sich dabei selbst angesteckt. Die MINUSTAH hat uns die Cholera eingebrockt, indem ihre Blauhelme unseren Fluss mit Fäkalien verseucht haben. Sie sollte uns deshalb entschädigen."


Hochrangige UN-Vertreter für Entschädigungen

Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hatte sich bei einem Festakt anlässlich einer Preisverleihung am 8. Oktober in Genf hinter die Entschädigungsforderungen der Choleraopfer gestellt. "Ich setze mich innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen dafür ein, dass die Betroffenen entschädigt werden", erklärte sie.

Ihre Äußerungen müssten im Zusammenhang mit Pillays Funktion gesehen werden, sich für die Rechte von Opfern einzusetzen, meinte der beigeordnete UN-Sprecher Farhan Haq in einer Stellungnahme gegenüber IPS. "Mehr können wir angesichts des laufenden Gerichtsverfahrens nicht sagen."

Auch ein ehemaliger Vertreter Nepals bei den Vereinten Nationen befürwortet Entschädigungszahlungen von Seiten der UN. "Als Nepalese, der auf Haiti lebte und den Inselstaat liebt, fühle ich eine besondere Empathie für die haitianischen Choleropfer", sagte der ehemalige UN-Vizegeneralsekretär Kul Gautam und fügte hinzu: "In gewisser Wiese sind auch die nepalesischen Friedenssoldaten Opfer von Armut und Unterversorgung, unter denen Nepal und Haiti gleichermaßen zu leiden haben."

Beide Länder gehören zu der Gruppe der 49 ärmsten Länder der Welt, den sogenannten LDCs. Dass sich die Cholera auf Haiti zu einer Epidemie auswachsen konnte, ist auf den gravierenden Mangel an sauberem Wasser und eine dramatische sanitäre Unterversorgung zurückzuführen.

"Es wäre erfreulich, wenn eine kreative Lösung gefunden werden könnte, die den haitianischen Opfern den Zugang zu einer bescheidenen Entschädigung ermöglichen würde, ohne dass die Vereinten Nationen ihre diplomatische Immunität aufgeben müssten", meinte Gautam, ein ehemaliger Exekutivdirektor des Weltkinderhilfswerks UNICEF. Dies sei machbar, wenn einige Staaten und Stiftungen aus einer humanitären Verantwortung heraus einspringen würden.

Mario Joseph ist Leiter der Internationalen Anwaltskanzlei BAI, die zusammen mit dem Haitianischen Institut für Gerechtigkeit und Demokratie die Klage gegen die Vereinten Nationen eingereicht hat. "Wir haben, wie in jedem normalen Verfahren üblich, die ersten Schritte unternommen, um die UN dazu zu bringen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Doch pocht sie auf ihre diplomatische Immunität."

Joseph wies darauf hin, dass von den UN beauftragte Experten die Möglichkeit bestätigt hatten, dass die Cholera von einer nepalesischen Blauhelmeinheit in Haiti eingeschleppt wurde. "Die Nachlässigkeit der Vereinten Nationen ist bewiesen, jetzt muss sie ihren Teil der Verantwortung übernehmen."

Eine Organisation wie die Vereinten Nationen sollte sich nicht dem Vorwurf der Doppelmoral aussetzen, meinte Joseph weiter. Haiti sei zudem ein UN-Gründungsstaat. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte die Weltorganisation für die Folgen der Choleraepidemie in dem karibischen Inselstaat geradestehen.

UN-Sprecher Martin Nesirky zufolge setzt sich die UN unermüdlich für die Bewältigung der Cholera-Krise auf Haiti ein. "Die Vereinten Nationen arbeiten mit der Regierung und der Bevölkerung eng zusammen, um den Betroffenen sofort zu helfen und die Infrastruktur und Basisversorgung zu verbessern", sagte er im letzten Monat auf einer Pressekonferenz.


Kritik an Haltung der UN

"Es ist traurig, dass ein armes Land in einem Teil der Welt möglicherweise für die Ausbreitung der Cholera in einem anderen ebenso armen Land in einem anderen Teil der Welt verantwortlich ist", meinte der nepalesische Journalist und Gründer des Nachrichtenmagazins 'Himal SouthAsian', Kanat Dixit. Seiner Meinung nach sollten die Vereinten Nationen ihrer kollektiven Verantwortung nachkommen und dem haitianischen Volk bei der Bekämpfung der Cholera helfen sowie die Opferfamilien unterstützen, anstatt zu versuchen, sich mit juristischen Mitteln aus der Verantwortung zu stehlen.

Die gleiche Meinung vertritt die Krankenschwester Augustine. "Im Fall einer Seuche wie der Cholera sollten die Vereinten Nationen die Opfer dieser schrecklichen Krankheit entschädigen", sagte sie. "Über die Cholera zu reden und an ihr zu leiden, sind zweierlei Dinge", fügte sie hinzu. "Mit der Cholera zu leben, ist fürchterlich entmutigend." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/in-haiti-cholera-claims-new-victims-daily/

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IPS-Tagesdienst vom 4. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2013