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AUSLAND/2136: Pazifik - Mehr Mitbestimmung von Frauen in Familienplanungsfragen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2014

Pazifik: Rasantes Bevölkerungswachstum - Mehr Mitbestimmung von Frauen in Familienplanungsfragen gefordert

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

In den pazifischen Inselstaaten haben Frauen in Familienplanungsfragen häufig weniger zu sagen als Männer
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Port Vila, 21. Juli (IPS) - In vielen melanesischen Staaten im Südwestpazifik könnte sich die Bevölkerung in nächster Zeit innerhalb einer Generation verdoppeln. Dieser Trend droht nach Ansicht von Experten die nationalen und regionalen Bemühungen zunichte machen, die Indikatoren der menschlichen Entwicklung zu verbessern und den Inselstaaten wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.

Das gilt auch für den Inselstaat Vanuatu. "Sollten Fragen der reproduktiven Gesundheit auch in den nächsten zehn bis 15 Jahren ignoriert werden, wird dies katastrophale Folgen für unser Land haben", warnt Arnold Bani von der Vanuatu-Familiengesundheitsvereinigung.

Auf dem Archipel aus 82 Inseln westlich der Fidschi-Inseln leben rund 247.200 Menschen. Die Bevölkerung wächst jährlich um 2,4 Prozent. Der globale Durchschnittswert liegt hingegen bei nur 1,1 Prozent. Im sieben Millionen Einwohner zählenden Papua-Neuguinea legt die Bevölkerung um jährlich 2,1 Prozent zu. Um einen ebenso hohen Prozentsatz steigt sie auf den Salomonen mit derzeit 550.000 Menschen.

Bevölkerungsexperten sind sich einig, dass dem Problem nur mit einer erhöhten Mitsprache von Frauen in Familienplanungsfragen beizukommen ist. Auch müsse insbesondere die junge Generation in Fragen der reproduktiven Gesundheit umdenken.


Soziale Absicherung durch Kinderreichtum

Aufgrund des sozialen Drucks, möglichst große Familien zu gründen, werden sich Maßnahmen, das Bevölkerungswachstum zu verringern, nur schwerlich durchsetzen lassen, fürchtet Helen aus Port Vila, die ihren richtigen Namen nicht nennen will. Die Größe der Familie sei entscheidend, um die Grund- und Versorgungsbedürfnisse der Menschen zu decken, erläutert sie. "Würden allein die Frauen in Fragen der reproduktiven Gesundheit entscheiden, gäbe es Krach in den Familien."

Es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe für den Kinderreichtum, wie Alec Ekeroma, Vorsitzender der Pazifischen Gesellschaft für reproduktive Gesundheit im neuseeländischen Auckland, erklärt. "Ein Mehr an Kindern bedeutet, mehr Hände, die in der Landwirtschaft helfen. Und gerade dort, wo soziale Auffangnetze fehlen, ist die Versorgung der älteren Menschen durch ihre Kinder gewährleistet."

Doch Helen zufolge ist die Versorgung der Großfamilie in einem Land, in dem das monatliche Grundeinkommen nicht über 300 Dollar hinausgeht, ein ständiger Kampf ums Überleben.

Allerdings ist die Gesamtfruchtbarkeitsrate (TFR) in Vanuatu seit den 1960er Jahren von sieben auf vier zurückgegangen. In Papua-Neuguinea liegt sie inzwischen bei 3,8 und auf den Salomonen 4,1. Damit ist sie noch weit von den 2,1 entfernt, die die Bevölkerung stabil halten würde.

Experten in der Region sind der Meinung, dass die Verwendung von Verhütungsmitteln erheblich erhöht werden muss. In Port Vila, der Hauptstadt von Vanuatu, beträgt die Prävalenz gerade einmal 38 Prozent. In Papua-Neuguinea sind es 35 Prozent und in Kiribati 22 Prozent. Damit sind die Länder noch weit von dem Durchschnittswert von 56 Prozent in der weniger entwickelten Welt entfernt.

Ein Bericht, der im letzten Jahr im Online-Magazin 'Reproductive Health' erschienen ist, empfiehlt Vanuatu, seine Verhütungsmittelverfügbarkeit im Sinne einer nachhaltigen Bevölkerungspolitik bis 2025 auf 65 Prozent zu steigern sowie die Hochrisikogeburten und Teenagerschwangerschaften um 54 respektive 46 Prozent zu senken. Die unerwünschten Schwangerschaften sollten um 68 Prozent von derzeit 76 auf zwölf pro 1.000 Frauen gedrückt werden.

Kontrazeptiva und kleinere Familien könnten zudem das Leben schwangerer Frauen und Mütter retten. Die Müttersterblichkeit liegt in Vanuatu bei 110 pro 100.000 Lebendgeburten, in Tonga sind es 120, in Kiribati 130 und in Papua-Neuguinea sogar 733 pro 100.000 Lebendgeburten.


Schwierige Rahmenbedingungen

Allerdings stellt der Zugang zu Familienplanungsmethoden und Gesundheitszentren die Inselstaaten, in denen die Bevölkerung weit verstreut lebt und Infrastrukturen, Transportmöglichkeiten ausgebildete Gesundheitskräfte in den Provinzen dünn gesät sind, vor enorme Herausforderungen.

Geringe Bildungsindikatoren und der Einfluss traditioneller Heiler in den Dörfern sind ebenfalls Faktoren, die nach Ansicht von Rufina Latu von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Vanuatu berücksichtigt werden müssen. Selbst dort, wo Kontrazeptiva erhältlich sind, wird eine wirkungsvolle Bevölkerungspolitik durch Faktoren wie religiösem Widerstand oder Analphabetismus verhindert. Eine Untersuchung der Asiatisch-Pazifischen Vereinigung für Grundschul- und Erwachsenenbildung (ASPBAE) schätzt, dass in der wichtigsten Provinz Vanuatus, in Shefa, gerade einmal 27 Prozent der Menschen lesen und schreiben können.

Leias Cullwick vom Nationalen Frauenrat von Vanuatu, hält den Mangel an Geschlechtergerechtigkeit und den Regelfall, dass Männer über die Größe ihrer Familie entscheiden, für die größten Bevölkerungsprobleme in der Region. Auch die Angst vor der weit verbreiteten Gefahr sexueller Gewalt beeinflusse das Verhalten von Frauen.

"Zahlen des Gesundheitssektors zeigen, dass viele Frauen lang wirkende Depotpräparate wie Dreimonatsspritzen bevorzugen, von denen ihre Männer nichts wissen", sagt Latu und fügt hinzu, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass Männer den Mythos aufrechterhielten, dass Frauen, die verhüten, Liebesbeziehungen zu anderen Männern unterhalten wollten.

Auch die vielen Teenagerschwangerschaften sind ein Problem. In Vanuatu sind 66 von 1.000 Frauen, die gebären, zwischen 15 und 19 Jahre alt. In den pazifischen Inselstaaten wird etwa ein Viertel der Mädchen dieser Altersgruppe erstmals schwanger.

Dem Gesundheitsministerium von Vanuatu zufolge sind einige nationale Maßnahmen geplant, die jungen Menschen den Zugang zu Familienplanungsmethoden erleichtern sollen. Es wies darauf hin, dass einem Drittel der jungen Städter das Grundwissen über reproduktive Gesundheit fehle. Viele sträubten sich, die Angebote reproduktiver Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen.


Hohe Sterblichkeitsrate bei Teenagermüttern

Angesichts der negativen Folgen früher Schwangerschaften für junge Frauen wie Bildungsdefizite, Armut und Müttersterblichkeit, wäre es aber besonders wichtig, junge Leute für Bevölkerungsfragen zu interessieren. Das Risiko, an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt zu sterben, ist bei den unter 15-Jährigen in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen doppelt so hoch als das von älteren Frauen, wie Untersuchungen des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) belegen.

Bemühungen, ein größeres Verständnis für Bevölkerungsfragen zu schaffen, sollten sich Bani zufolge an alle Mitglieder der Gemeinschaften gleichermaßen richten. Gerade gut informierte Chiefs und Dorfführer könnten eine wichtige Rolle spielen, um die soziale Akzeptanz für Methoden der reproduktiven Gesundheit zu vergrößern.

Latu vertritt die Meinung, dass Aufklärungsunterricht und Fragen der reproduktiven Gesundheit schon in der frühen Kindheit thematisiert und deshalb zum festen Bestandteil des Lehrplans an den Schulen werden sollten. Auch könnte die Einbindung von Männern und Beziehungspartnern wichtig sein, um die Rolle der Frau in der Region zu stärken.

Cullwick schlägt vor, Krankenpfleger zu schulen und sie dann als Lobbyisten für Gleichberechtigung und Familienplanung unter die Männer zu schicken. In Anbetracht der hohen Analphabetenrate mache es keinen Sinn, Informationsblätter zu drucken und zu verteilen. "Wir brauchen Männer, die mit anderen reden und ihnen im Dialog verständlich machen, was Frauen durchmachen müssen", sagt sie. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/putting-population-management-in-pacific-womens-hands/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2014