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AUSLAND/2142: Venezuela - Gesetz gegen Diskriminierung von HIV-Infizierten in Arbeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2014

Venezuela: Gesetz gegen Diskriminierung von HIV-Infizierten in Arbeit

von Humberto Márquez



Caracas, 31. Juli (IPS) - In Venezuela ist ein Gesetz gegen die Diskriminierung von HIV-Infizierten in erster Lesung einstimmig angenommen worden. Die Entscheidung hat in diesem politisch polarisierten Land Seltenheitswert. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hoffen, dass die Vorlage noch in diesem Jahr verabschiedet wird.

Eingereicht hatte das 'Gesetz zur Förderung und zum Schutz des Gleichheitsrechts für Menschen mit HIV/Aids und deren Familienangehörigen' die venezolanische Ombudsfrau Gabriela Ramírez am 8. Juli. Sie sprach damals von der Notwendigkeit, einer besonders diskriminierten Bevölkerungsgruppe beizuspringen. Nur so ließe sich der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit gewinnen.

Jedes Jahr sterben 4.000 Venezolaner an HIV/Aids und seinen Folgen, und jedes Jahr kommen weitere 11.000 Neuinfektionen dazu. "Stigmatisierung und Diskriminierung der Opfer sind die Haupthindernisse im weltweiten Kampf gegen die Epidemie", betont Alejandra Corao vom Venezuela-Büro des UN-Aids-Programms (UNAIDS).

Seit der Entdeckung der Immunschwächekrankheit in Venezuela 1982 wurden Ramírez zufolge bis 2013 31.512 HIV/Aids-Fälle offiziell registriert. Doch Alberto Nieves von der unabhängigen 'Bürgeraktion gegen AIDS' (ACCSI) hält die UNAIDS-Schätzung von 160.000 Fällen für weitaus realistischer.


Diskriminierung wird abgestraft

Die Diskriminierung von HIV-Infizierten soll künftig mit Strafen, Disziplinarverfahren und Geldbußen geahndet werden, um Übergriffen vorzubeugen, wie sie beispielsweise eine Lehrerin im Westen von Venezuela erlebte. Die Pädagogin, die sich Anonymität ausbat, berichtete, auf Betreiben von Eltern entlassen worden zu sein, nachdem diese erfahren hätten, dass sie sich in einem Krankenhaus einem Aidstest unterzogen habe.

Das geplante Gesetz betont die Gleichstellung von HIV-Infizierten und explizit die Rechte auf Arbeit, öffentliche Ämter, Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport sowie auf Zugang zu Sozialprogrammen und Bankkrediten. Darüber hinaus sichert es den Betroffenen das Anrecht auf einen vertraulichen Umgang mit ihrem Gesundheitsstatus und das unveräußerliche Recht von Mutter- und Vaterschaft zu.

Das Gesetz zielt besonders auf junge Leute, denn 40 Prozent aller Neuinfektionen treffen die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen. Auch stehen Frauen, die gerade durch Schwangerschaft und Geburt eine besondere Behandlung benötigen, sowie behinderte Menschen und Gefangene im Mittelpunkt der Neuregelung.

Doch ist die Vorlage in ihrer jetzigen Form auch auf Kritik gestoßen, weil sie Militärs und Polizisten ausnimmt. "Niemand sollte ausgeschlossen werden", meint dazu Estevan Colina, ein Aktivist des Venezolanischen Netzwerks HIV-positiver Menschen, im IPS-Gespräch. "Wir hoffen, dass dieser Punkt noch vor der zweiten Lesung durch den Parlamentsausschuss für soziale Entwicklung verändert wird."

Dem Gesetz, dass sich auch gegen die Anti-Aids-Kampagnen im Lande richtet, wird eine ebenso große Bedeutung beigemessen, wie dem Urteil des Obersten Gerichtshofs von Juli 1998, durch das die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen gezwungen wurden, Menschen mit HIV/Aids kostenlose antiretrovirale Medikamente zur Verfügung zu stellen.

In dem etwa 30 Millionen Einwohner zählenden Venezuela kommen derzeit 43.000 HIV-Infizierte in den Genuss von Antiretroviral-Therapien. Das entspricht einer Abdeckung von 73 Prozent, wie Corao erläutert. Der globale und auch der lateinamerikanische Durchschnittswert liegen nach Angaben von UNAIDS mit 37 Prozent respektive 45 Prozent deutlich darunter.

Die venezolanischen Gesundheitsausgaben für die Betreuung von HIV/Aids-Infizierten belaufen sich auf etwa 100 Millionen Dollar pro Jahr. Die Hälfte geht in Medikamente. Doch NGOs zufolge werden die staatlichen Bemühungen durch ein Übermaß an Bürokratie und organisatorischen Problemen behindert.


Vielfältige Probleme

In einigen Regionen fehlt es an Fachkräften für die Durchführung von HIV/Aids-Programmen, und auch die Koordination und die Transportverbindungen zwischen der Hauptstadt und den Regionen des Landes sind schlecht entwickelt. Ein weiteres Problem ist, dass die Pharmaindustrie sich nicht an den öffentlichen Ausschreibungen beteiligt.

Auch deshalb kommt es immer wieder zu Protesten von Patienten über Medikamentenengpässe, die in dem Land mit 35 bis 50 Prozent angegeben werden, wie der Experte für Infektionskrankheiten, Julio Castro, gegenüber IPS erklärt.

Darüber hinaus fehlt es an Präventions- und Sensibilisierungskampagnen, wie der jüngste Anstieg der Infektionsrate vermuten lässt. Kam es 2004 zu 4.553 Neuinfektionen, waren es 2012 dem Gesundheitsministerium zufolge 11.181. Im gleichen Zeitraum stieg die Infektionsrate bei Frauen von 1.408 auf 2.236. "Es lässt sich eine Feminisierung der Epidemie beobachten", meint Corao. "2003 lag der Frauenanteil an den Infizierten bei eins zu fünf, 2007 bei eins zu drei." Zunehmend gefährdet seien nicht nur Prostituierte, sondern auch Hausfrauen, Angestellte und Arbeiterinnen.

Ein weiteres Problem ist die irrige Annahme vieler junger Lateinamerikaner im Alter zwischen 15 und 24 Jahren, dass das Problem HIV/Aids längst der Vergangenheit angehört - trotz der Tatsache, dass im letzten Jahr weltweit rund 1,5 Millionen Menschen an Aids und seinen Folgen starben. Die gute Nachricht ist, dass die Todeszahl gegenüber 2005 um 900.000 abgenommen hat, die schlechte, dass 19 Millionen der weltweit 35 Millionen HIV-Infizierten keine Ahnung haben, dass sie das Virus in sich tragen, wie aus einem neuen, am 16. Juli veröffentlichten UNAIDS-Bericht hervorgeht. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/07/ley-venezolana-contra-discriminacion-a-portadores-de-vih/
http://www.ipsnews.net/2014/07/bill-to-fight-discrimination-against-hiv-positive-venezuelans/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2014