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AUSLAND/2223: Medizinische Hilfe - Von Kiel zur OP nach Indien (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2015

Medizinische Hilfe
Von Kiel zur OP nach Indien

Von Horst Kreussler


Prof. Thomas Kreusch hat seit 1972 Kontakt nach Indien. Seitdem hilft er regelmäßig vor Ort und bildet indische Kollegen weiter.


Olympische Spiele 1972 in Kiel: Die Segelwettbewerbe begeistern die ganze Stadt. Zwei Medizinstudenten, ein Zahnmedizinstudent, ein Bauingenieur und ein Lehramtsstudent starten in dieser Zeit mit einem vollgepackten Bully auf eine lange Reise. Über den Balkan, Kleinasien und Pakistan fahren sie bis nach Indien. Ziel ist das damalige Königreich Sikkim. Mit an Bord war Thomas Kreusch, der heutige Chefarzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) im Kopfzentrum der Asklepios Klinik Nord (Heidberg) an der Grenze zu Norderstedt. Seitdem haben ihn Indien und seine ungezählten hilfsbedürftigen Menschen nicht mehr losgelassen.

Vor Kurzem berichtete Kreusch im Augustinum Aumühle über seinen 21. operativen Arbeitsurlaub im Padhar Hospital, einem evangelischen Missionskrankenhaus im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Das kleine, aber für eine weite Region sehr wichtige Padhar Hospital wurde 1958 von dem englischen Missionar Dr. C.F. Moss gegründet, der auch Arzt und Musiker war - die Parallele zu Albert Schweizer liegt nahe. Durch Spenden wurde das Krankenhaus ständig weiter ausgebaut. Kooperationen mit der Kieler Universitätszahnklinik laufen seit vielen Jahren. Der von Kreusch und Freunden gegründete Verein "Friends of Padhar Germany e. V." (www.friends-of-padhar.de) konnte unter anderem eine Röntgenanlage, einen Aufwachraum, Inkubatoren, eine Notaufnahmestation und zuletzt eine Krankenpflegeschule einrichten, deren erster Bauabschnitt 2014 in Betrieb genommen wurde. Namhafte Spenden aus dem Wohnstift Augustinum und aus der Kirchengemeinde Aumühle waren dabei, so wie auch in der Vergangenheit vielseitige Unterstützung geleistet wurde, u. a. vom Kieler Ärzte- und vom Zahnärzteverein, von Rotary-Vereinen, einer Luftverkehrsgesellschaft und von vielen einzelnen Spendern.

Regelmäßig im Oktober reist Kreusch mit seiner Frau Evelyn und einem Team von zwei weiteren MKG-Chirurgen und einem oder zwei Anästhesisten nach Indien. Immer sind auch Mitstreiter aus Schleswig-Holstein dabei, z. B. Dr. Martin Sprengel (Flensburg), Dr. Alexander Runge (Kiel), Prof. Jörg Wiltfang (UKSH, Kiel) und junge Ärzte. "Am OP-Tisch steht möglichst immer ein einheimischer und ein deutscher Chirurg", sagte er. Die indischen Kollegen sowie bisher 42 Medizinstudenten und das Assistenzpersonal zeichneten sich durch hohe Motivation und einen tageszeitunabhängigen Arbeitseifer aus, wie er in Deutschland selten sei.

Seit 1994 bis heute hat Kreusch mit seinen Teams dort über 1.500 Operationen an Kindern und jungen Erwachsenen mit LKG-Spalten (Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten) vorgenommen, mit der Tendenz zu schwierigeren Operationen bei komplizierteren Gesichtsfehlbildungen. Denn: "Wir wollen vor allem indische Kollegen weiterbilden, damit sie eigenständig operieren können, auch wenn wir nicht da sind." Hintergrund sei, dass es viel zu wenige MKG-Chirurgen in den weiten ländlichen Gebieten Indiens gebe, im Unterschied zu den gut versorgten Großstädten wie Mumbai (Bombay), Delhi, Kalkutta und Madras. In Indien werden, so der Referent, etwa 34.000 Patienten mit Spalt-Fehlbildungen pro Jahr geboren - im Vergleich zur Inzidenz in Deutschland mit etwa 1.600 pro Jahr und allein in Hamburg rund 40. Die hohe Zahl unversorgter Spaltpatienten in Indien beruhe auf verschiedenen Gründen: Aus Aberglauben werde die "Schuld" für ein lebenslanges Schicksal in der Familie gesucht oder die Operationsmöglichkeit sei unbekannt oder es fehle das Geld dafür - "und wenn alles da ist, gibt es keinen Chirurgen".

Warum die zugrundeliegende Fehlbildung (etwa das Nichtzusammenwachsen der Trennwand zwischen Mund- und Nasenraum um die 7. Schwangerschaftswoche) zunehmende Tendenz zeige, sei noch nicht klar. Umso wichtiger sei die uneigennützige Hilfe: "Wir hoffen, dass alle, die mit uns gereist sind, die Idee mit nach Hause nehmen, wieviel Freude es macht, anderen zu helfen, und dass alle merken, wie gut es uns hier in Europa geht", heißt es in einem Bericht auf der Homepage der Uni Kiel über die Hilfsaktion.


Randspalte

1.500 Operationen an Patienten mit LKG-Spalten haben Prof. Thomas Kreusch und seine Mitstreiter vor Ort seit 1994 geleistet.

34.000 Patienten mit Spalt-Fehlbildungen werden jedes Jahr in Indien geboren. In Deutschland sind es 1.600.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201503/h15034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Herzlicher Empfang der deutschen Gäste im Padhar Hospital im Oktober 2014.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 3/2015, März 2015, Seite 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2015

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