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AUSLAND/2291: Mexiko - Besserer rechtlicher Schutz für indigene Pflanzenheilkunde gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2015

Mexiko: Besserer rechtlicher Schutz für indigene Pflanzenheilkunde gefordert

von Emilio Godoy


Bild: © Emilio Godoy/IPS

Der Heiler Clemente Calixto erklärt auf einem Seminar die Wirkung einer Medizinpflanze
Bild: © Emilio Godoy/IPS

MEXIKO-STADT (IPS) - "Dieses Kraut hilft gegen 150 Krankheiten, wie Diabetes, hohen Blutdruck und Gastritis", erklärt Clemente Calixto, der rät, aus den grünen Blättern jeden Tag einen Aufguss zuzubereiten. Der Heiler, der sich auf das traditionelle Wissen der indigenen mexikanischen Ethnie Mazateco beruft, hält bei seinem Vortrag einen buschigen Zweig der Medizinpflanze 'Fumaria officinalis' (Gemeiner Erdrauch) in die Höhe. Als Tee kann das Kraut Bauchkrämpfe lindern.

Im Digitalen Verzeichnis der traditionellen Medizin, das die Nationale Autonome Universität von Mexiko (UNAM) angelegt hat, sind mehr als 3.000 verschiedene Heilpflanzen aufgeführt. "Einige davon wachsen wild, andere pflanzen wir in Innenhöfen und auf Terrassen an", erklärt Calixto, der aus der Stadt Jalapa de Díaz im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca stammt. "Daraus machen wir Seifen, Salben, Hustensirup und Mittel gegen Wurmbefall." Er schwört außerdem auf 'Cnidoscolus chayamansa' (Baumspinat) oder 'Costus spicatus' (Ährentragender Spirlaflag-Ingwer), der bei Nierenbeschwerden helfen soll.


Großteil der Mexikaner vertraut auf Pflanzenmedizin

In Mexiko gibt es Tausende Kräuterärzte, die Medizinpflanzen verarbeiten und die Produkte frisch oder getrocknet verkaufen. Calixto ist einer von 30 Heilern in Oaxaca, die offiziell von den Gesundheitsbehörden anerkannt worden sind. Der gesetzliche Schutz für die Rezepturen ist allerdings unzureichend. Dabei verwenden etwa 80 Prozent der 120 Millionen Mexikaner traditionelle Heilpflanzen und tierische Produkte, um Krankheiten zu behandeln.

Arturo Argueta, der an einem interdisziplinären UNAM-Forschungszentrum lehrt, fordert ein Bundesgesetz sowie Institutionen, die Biopiraterie auf nationaler und regionaler Ebene verhindern. Seit Jahrhunderten überliefertes Wissen müsse endlich anerkannt werden, erklärt er.

1994 hatte Argueta gemeinsam mit Kollegen den ersten Atlas mexikanischer Heilpflanzen veröffentlicht. Sie fanden heraus, dass die Kräuter vor allem im Süden des Landes zu günstigen Preisen verkauft und quer durch alle sozialen Schichten verwendet werden. Etwa 50 Pflanzen hätten mittlerweile weite Verbreitung gefunden.


Gefährdete Arten

Mehrere dieser Pflanzenarten gelten in Mexiko mittlerweile als gefährdet und stehen daher unter Naturschutz. Die mexikanische Verfassung erkennt traditionelle Heilkunde als ein kulturelles Recht indigener Völker an. Die 2002 eingerichtete Abteilung für traditionelle Medizin im Gesundheitsministerium führt eine Liste mit den Namen von 125 Kräuterarten, die im öffentlichen Gesundheitswesen verschrieben werden können.

Lorenza Euan, die der Ethnie der Maya angehört, stellt im südostmexikanischen Staat Quintana Roo gemeinsam mit vier anderen Frauen Seifen, Salben, Mückenschutz, antibakterielle Gele, Hustensirup und Shampoo her. "Wir haben diese Kenntnisse von unseren Vorfahren geerbt. Von den Pflanzen verwenden wir Stengel und Wurzeln", sagt sie, während sie eine Salbe gegen Muskelschmerzen zeigt, die Extrakte von 18 verschiedenen Pflanzenspezies enthält. "Wir pflücken Pflanzen, waschen und zerstampfen sie und bereiten dann einen Sud zu." In ihrem Kräutergarten pflanzt die Frauen-Kooperative etwa 25 Arten an, darunter Arnica, Aloe Vera und Basilikum.


WHO verlangt Schutz von überliefertem Ureinwohnerwissen

Der Weltgesundheitsorganisation WHO gehen die geltenden Gesetze und Bestimmungen nicht weit genug. Sie fordert einen besseren Schutz für die traditionell überlieferte Heilkunde, die Integration alternativer Behandlungsmethoden in das nationale Gesundheitssystem, Zertifikate für Naturheiler und Unterstützung für die Forschung in diesem Bereich. Laut der WHO-Strategie für traditionelle Medizin 2014 - 2023 ist es angesichts der zunehmenden Beliebtheit der Pflanzenheilkunde wichtig, die Urheberrechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu schützen, der Gesellschaft Zugang zu diesen Heilmethoden zu gewähren sowie die Forschung voranzubringen.

Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) schützt die traditionelle Heilkunde vor der unerlaubten Nutzung durch Dritte. Der Zwischenstaatliche WIPO-Auschuss für geistiges Eigentum und genetische Ressourcen, traditionelles Wissen und Volkskunde hat jedoch bislang keine Übereinkunft über ein internationales Rechtsinstrument erzielt, dass einen effizienten Schutz überlieferter Kultur tatsächlich gewährleisten könnte.

In Mexiko gilt seit 2008 ein Gesetz, das den Umgang mit traditionellen Heilmethoden regelt. Das Gesundheitsministerium hat bereits Richtlinien zur Aufwertung traditioneller Heilmethoden entworfen. Der Verlust der Artenvielfalt durch veränderte Landnutzung, Entwaldung und Raubbau an natürlichen Ressourcen wird als Gefahr anerkannt.


Kritik an Giftliste der Regierung

Die Verwendung mehrerer Spezies als Tees oder Bestandteile von Pflanzenölen wurde von der Regierung allerdings aufgrund ihres toxischen Gehalts verboten. Pflanzendoktoren kritisieren dieses Vorgehen. Auf der Liste, die zuletzt 1999 aktualisiert wurde, finden sich die Namen von 76 Arten, von denen einige regelmäßig von Naturheilern verwendet werden. Dazu zählen etwa Kalmus (Acorus calamus), Hanf, Schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna), Wurmsamen, Weinraute und Salbei.

Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto ließ im September 2014 eine neue Verbotsliste erstellen, die ungefähr 200 Arten umfasst und noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Argueta kritisiert, dass die Behörden Verbote einführten, ohne die Öffentlichkeit ausreichend über die Hintergründe zu informieren. Er plädiert dafür, traditionelle Medizin als immaterielles Weltkulturerbe durch die UN-Wissenschaftsorganisation UNESCO schützen zu lassen. (Ende/IPS/ck/30.10.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/10/medicinal-plants-popular-and-unprotected-in-mexico/

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IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2015

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