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ARTIKEL/1427: Flüchtlinge - Ärzte meistern Sprachhürden (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2016

FLÜCHTLINGE
Kauderwelsch in der Praxis - Ärzte meistern Sprachhürden

Von Anne Lütke Schelhowe


Die Behandlung von Patienten, die unsere Sprache nicht sprechen, ist eine Herausforderung. Niedergelassene Ärzte aus Schleswig-Holstein berichten aus der Praxis.


Arabisch, Farsi oder Somali sind keine gängigen Sprachen, die in Schleswig-Holstein an jeder Ecke gesprochen werden. Mit den Flüchtlingen finden diese Sprachen ihren Weg in Erstaufnahmeeinrichtungen, Kliniken und inzwischen auch in die Praxen. Für Ärzte und Praxismitarbeiter bedeutet das: Sie haben es mit Patienten zu tun, die sie nicht verstehen und die sich selbst auch nicht verständlich machen können. Auch wenn einige der Flüchtlinge schon mehrere Monate im Land sind, reichen gerade bei den Älteren die Deutschkenntnisse noch nicht für einen Arztbesuch aus. Gestikulieren ist nicht nur umständlich und zeitraubend, es lässt auch selten treffsichere Diagnosen und detaillierte Therapien zu. Eine angemessene medizinische Betreuung ist unter solchen Bedingungen aber nicht mehr zu gewährleisten, insbesondere wenn es nicht um Banalitäten wie Erkältungen, sondern um ernsthafte und chronische Erkrankungen geht.

Deshalb fordern viele Ärzte einen professionellen Dolmetscher für die Flüchtlinge unter ihren Patienten, u. a. kürzlich auf dem Pädiatriekongress in Hamburg. Die dafür anfallenden Kosten werden von den dafür zuständigen Sozialbehörden aber nur selten übernommen. Weit häufiger springen Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, die schon etwas besser Deutsch sprechen, als Übersetzer ein. Aber auch diese Lösung birgt Stolpersteine - nicht in jeder Kultur herrscht das gleiche Verständnis von medizinischen und psychologischen Sachverhalten vor wie bei uns; Details werden auch mal bewusst verschwiegen oder fallen aufgrund fehlender Wörter unter den Tisch.

Smartphones mit Übersetzungs-Apps, Anamnesebögen in verschiedenen Sprachen, Online-Plattformen, Hefte mit Illustrationen oder auch ein telefonischer Übersetzerdienst sollen helfen, die Sprachbarrieren zu überwinden, um auch ohne Dolmetscher eine Behandlung zu ermöglichen. Einiges davon haben die niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein schon ausprobiert. Was sie für hilfreich und sinnvoll halten, was sie eher nicht empfehlen können und wo ein Dolmetscher nicht zu ersetzen ist, lesen Sie in unserer Titelgeschichte.


"Mit Händen und Füßen"

Es scheitert schon an den einfachsten Fragen: Viele Praxen geraten bei der Behandlung von Flüchtlingen an ihre sprachlichen Grenzen. Inzwischen sind verschiedene Hilfsmittel zur Verständigung auf dem Markt. Doch was erweist sich tatsächlich als sinnvoll?

Mehr professionelle Dolmetscher: So lautete kürzlich die Forderung der Pädiater bei der 112. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Hamburg. Die Sprachbarriere sei das größte Problem bei der Behandlung von Flüchtlingsfamilien und eine adäquate Behandlung nur mithilfe von Dolmetschern möglich. Doch nicht immer sind Dolmetscher verfügbar, noch seltener werden die Kosten von den zuständigen Sozialbehörden übernommen. Wie also soll man sich im Praxisalltag behelfen, wenn der Patient nur leidlich Deutsch beherrscht und nicht einmal seine Beschwerden schildern, geschweige denn komplizierte Anweisungen verstehen kann?

Seit Anfang 2016 erhalten Geflüchtete in Schleswig-Holstein, sobald sie einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt zugewiesen sind, eine elektronische Gesundheitskarte, die ihnen den eigenständigen Zugang zu den Praxen im Land ermöglicht. Damit kommen auch niedergelassene Mediziner fernab von Erstaufnahmeeinrichtungen in Kontakt mit Flüchtlingen und stoßen zuweilen an ihre (sprachlichen) Grenzen. "Zwei Stichworte zum Thema Kommunikation mit Flüchtlingen: zeitaufwendig und schwierig", kommentiert Dr. Michael Lauterbach, Allgemeinmediziner aus Kiel, die Problematik. Seine Praxis liegt in Gaarden, einem Stadtteil von Kiel, der als "Problemviertel" bekannt ist. "Der Wohnraum ist hier günstig, da werden auch viele Flüchtlinge untergebracht. Daher haben wir hier wahrscheinlich mehr Flüchtlingskontakte als Praxen in anderen Stadtteilen", so Lauterbach, der die Verständigungsprobleme auch von russischen Spätaussiedlern kennt. Teilweise kommen die Flüchtlinge mit Dolmetschern in seine Praxis. Besonders die Minderjährigen unter ihnen haben oft einen deutschsprachigen Betreuer dabei, der die Kommunikation erleichtert. Bei allen anderen, die allein den Weg in sein Sprechzimmer finden, muss sich Lauterbach anders behelfen. Bei Einsätzen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster hat er Dolmetscher-Blätter genutzt, mit denen er einfache Dinge wie Schmerzen durch Zeigen auf das Wort abfragen konnte. Solche Anamnesebögen bietet beispielsweise der Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" an, auf den auch die Kassenärztliche Vereinigung auf ihrer Webseite verweist. Die Bögen sind in 13 Fremdsprachen erhältlich und decken allgemeine Fragen zu Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahmen oder Allergien ab. "Das hat in der Situation ganz gut geklappt, aber letztendlich ist es nur ein Hilfsmittel. Man muss sich dann auf den eigenen Blick und die körperliche Untersuchung verlassen", so Lauterbach. In seiner Praxis dagegen verzichtet er weitgehend auf derartige Hilfen. Einzig das Handy dient noch als Unterstützung: "Manchmal rufen die Patienten dann jemanden an, der etwas besser Deutsch kann. Aber ansonsten versuche ich mit Bordmitteln klar zu kommen." Das kann dann schon mal das Fünffache der Zeit in Anspruch nehmen, die der Mediziner für die Anamnese und Behandlung von deutschen Patienten benötigt. "Das bringt einen manchmal ganz schön unter Druck, wenn das Wartezimmer voll ist."

Hilfe in solchen Situationen verspricht der kostenlose telefonische Dolmetscherdienst der ife-Gesundheits AG (das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt berichtete). Doch diesen nutzen weniger Ärzte als erwartet. Laut Dr. Thomas Schang, dem medizinischen Leiter, erreichen im Schnitt gerade einmal sechs Anrufe pro Tag den Sprachvermittler, der Übersetzungen auf Arabisch anbietet. Ein zweiter Sprachvermittler hat die ife-Gesundheits AG bereits wieder verlassen, um einen ganztägigen Deutschkurs zu besuchen.

Smartphone: Retter in der Not?

Auch Dr. Ulrich Berghof hat den Dienst bisher noch nicht genutzt. Der Allgemeinmediziner aus Mölln verständigt sich mitunter "mit Händen und Füßen". Bei einigen seiner Patienten aus den Flüchtlingsgebieten kommt er mit ein wenig Englisch weiter, bei gut ausgebildeten Patienten wie Ingenieuren auch mal mit ein paar Brocken Französisch. Mit Übersetzungs-Apps hat er ebenfalls schon sein Glück versucht und seine Fragen in das Smartphone getippt: "Aber da lachen die Patienten oft nur, weil da irgendetwas Wirres herauskommt. Da möchte ich mich dann doch nicht drauf verlassen", schmunzelt Berghof. Joachim Gross, Allgemeinmediziner aus Lübeck, erging es ähnlich: "Ich habe mal schnell ein Bild aus dem Internet runtergeladen oder eben Sprach-Apps verwendet. Aber das passt auch nicht immer zu 100 Prozent. Da muss man vorsichtig sein."

Petra Imme, Allgemeinmedizinerin in Kiel, hat fast täglich Kontakt mit Flüchtlingen in ihrer Praxis und kann bestätigen, dass Übersetzungs-Apps nicht unbedingt zielführend sind: "Einige der Patienten haben solche Apps auf dem Smartphone. Da zeigen sie mir ein deutsches Wort, mit dem ich aber oft nichts anfangen kann. Dann probieren sie es nochmal mit einem anderen Wort, aber auch das hilft nicht immer." Auf jeden Fall habe sie mit den Flüchtlingen unter ihren Patienten mehr apparativen Aufwand. Sie mache öfter eine Laboruntersuchung oder ein EKG als bei deutschen Patienten, bei denen man durch die Anamnese schon mehr abklären könne.

Wenn die Familie übersetzt ...

Selten bringen Immes Patienten einen staatlich bestellten Dolmetscher mit, sehr häufig dagegen Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder, die schon etwas besser Deutsch sprechen und sich im Übersetzen versuchen. Der zeitliche Aufwand wird dadurch u. U. noch vergrößert. Denn nicht immer werden nur die reinen Sachverhalte übersetzt, manchmal wird Imme auch Zeuge davon, wie über ihre Anweisungen diskutiert wird. "Da wird man dann schon manchmal etwas unruhig, wenn das Wartezimmer voll ist." Und nicht immer kommt alles so bei den Geflüchteten an, wie die Allgemeinmedizinerin es tatsächlich meint: "Es kann vorkommen, dass nicht alles oder nicht korrekt von Freunden und Bekannten übersetzt wird. Da ist Beobachtungsgabe gefragt. Ich schaue, wie sie miteinander reden, und achte auf die Körpersprache. Auch bei Kindern muss ich natürlich darauf achten, ob sie mich richtig verstanden haben, um auch korrekt übersetzen zu können. Hier muss ich mich auf meine Intuition verlassen." Aber das sei bei deutschen Patienten auch nicht anders: "Da bin ich auch nicht immer sicher, ob sie alles korrekt verstanden haben."

Allein die Sprache zu verstehen, reicht in einigen Situationen jedoch nicht aus. Auch kulturelle Unterschiede spielen eine große Rolle. So schildert Dr. Sibylle Scheewe bei einem Vortrag zur transkulturellen Medizin auf dem Pädiatriekongress in Hamburg den besonderen Fall einer arabischen Familie: Der Neffe übersetzte bei Arztbesuchen für seinen Onkel, der an einem urologischen Tumor litt. Der Onkel bekam eine Chemotherapie, wurde operiert und bekam eine Bestrahlung. Beim Abschlussgespräch nach erfolgreicher Therapie fiel dieser jedoch aus allen Wolken, als ihm der Arzt verkündete, dass seine Krebserkrankung soweit überstanden sei. Was war passiert? Der Neffe hatte seinem Onkel die Krebserkrankung verschwiegen und stets nur übersetzt, welche Behandlungen als nächstes anstehen, ohne den Grund dafür anzugeben. Denn in seiner Kultur durfte er seinem Onkel nichts mitteilen, was für diesen Schwäche bedeuten könnte. Daher plädieren die Pädiater auf dem Kongress einhellig für einen außenstehenden Übersetzer, der um die kulturellen Unterschiede weiß und die Distanz zum Patienten wahren kann.

Mukhtaar Cali ist ein solcher freiberuflicher Dolmetscher, der seine Fähigkeiten als Autodidakt erworben hat. 1995 kam der Somalier selbst als Flüchtling nach Deutschland. Seit 2004 übersetzt er überall im Norden Somali und wird von Behörden, Gerichten und Privatpersonen engagiert. Auch bei Arztbesuchen ist der 48-Jährige, dessen Auftragsvolumen sich in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert hat, tätig. Seine Ausbildung als Krankenpfleger bei einer amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation in Somalia kommt ihm dabei zugute. Häufig wird er vom Jugendamt für Arztbesuche und psychologische Gespräche mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen angefordert. Gerade beim Psychologen machen sich die kulturellen Unterschiede bemerkbar: "In Somalia gilt man als verrückt, wenn man zum Psychologen muss. Da merkt man schon Hemmungen bei den Flüchtlingen", so Cali. "Bei normalen Arztgesprächen gibt es dagegen weniger Probleme, abgesehen natürlich von Frauen. Sie sprechen nicht so offen, wenn ein Mann dabei ist. Da muss eigentlich eine Frau behandeln und auch dolmetschen. Deshalb versuche ich jetzt auch meine Frau mehr in die Tätigkeit einzubeziehen, damit sie das übernehmen kann." Als Freiberufler rechnet Cali bis zu 75 Euro für das Simultanübersetzen pro Stunde ab. "Ich schaue aber immer, wer der Auftraggeber ist. Bei gemeinnützigen Vereinen kann ich auch mal bis zu 30 Euro Rabatt geben."

Geht es doch nicht ohne professionelle Dolmetscher?

Es gibt Situationen, in denen ein Dolmetscher unverzichtbar ist, darin sind sich die befragten Allgemeinmediziner einig. Nämlich immer dann, wenn es sich nicht um Bagatellerkrankungen wie Erkältungen handelt, die, wie Berghof schildert, auch mit wenig verbaler Kommunikation auskommen: "Bei einfachen Sachen bekommt man das auch so hin. Da zeige ich dann das Medikament und mit den Fingern, wie oft am Tag sie das einnehmen sollen. Das verstehen sie schon. Aber bei schwerwiegenderen Sachen oder chronischen Erkrankungen muss ein Dolmetscher dazukommen. Ich hatte kürzlich einen Patienten, der einen Herzinfarkt hatte. Da wird es zu diffizil, da braucht man jemanden, der übersetzt, damit die Patienten das auch genau verstehen. Das gleiche gilt, wenn mehrere Medikamente eingenommen werden müssen."

Ohne Dolmetscher will auch Doris Scharrel, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Kronshagen, nicht auskommen: "Wir fordern immer Dolmetscher. Ich habe auch schon Leute wieder weggeschickt, die keinen dabei hatten. Es ist nicht meine Aufgabe, mit Händen und Füßen zu hantieren." Allerdings übt die Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte Schleswig-Holstein auch Kritik an einigen der professionellen Übersetzer: "Die Dolmetscher sind inzwischen zu einer richtigen Macht geworden. Sie müssen von uns unterschreiben lassen, wie lange sie da waren. Da wird auch gern mal eine Stunde mehr gefordert. Manchmal lassen sie auch auf sich warten. Dann sitzt die Frau schon hier in der Praxis und wir können nicht anfangen, weil der Dolmetscher fehlt." Zudem benötigt sie in ihrem Fachgebiet zumeist weibliche Dolmetscher, nicht nur wegen des Schamgefühls und der Religion, auch aus rein sprachlichen Gründen: "Es gibt viele Begriffe, die Männer in manchen Sprachen einfach nicht benutzen und mit denen sie dann auch nichts anzufangen wissen. Im Chinesischen beispielsweise benutzt der Mann das Wort Regelblutung nicht. Da wird dann mit vielen Umschreibungen gearbeitet. Arabische Männer wissen manchmal nicht, dass es die Regelblutung überhaupt gibt. Sexuelle Aufklärung gibt es da sehr häufig nicht, übrigens auch in einigen europäischen Ländern." So habe sie von einer türkischen Kollegin gehört, dass das Haarewaschen zur Vorbereitung auf den Geschlechtsverkehr gehört, und wenn gefragt wird, wann zuletzt die Haare gewaschen wurden, sei damit eigentlich gemeint, wann der letzte Geschlechtsverkehr war.

Alternativen

Daher behilft sich Scharrel auch mit anderen Methoden, z. B. mit der Online-Plattform Zanzu.de von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Zanzu stellt in 13 verschiedenen Sprachen einfach und anschaulich Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit zur Verfügung und soll so die Kommunikation über diese Themen erleichtern. "Das bildliche Material von Zanzu benutze ich vor allem zur Vorbereitung auf die Geburt. Ganz perfekt ist es auch nicht, z. B. trägt die Frau auf den Bildern kein Hemd, das erschreckt viele der Patientinnen. Vielleicht kann man da noch nacharbeiten", so Scharrel.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die private Initiative von Michael Schwarz, einem Verleger aus Husum, der gemeinsam mit einem Kreis aus (Fach-)Ärzten in Nordfriesland einen Sprachführer und Leitfaden mit über 500 Fragen und Antworten entwickelt hat. Der "MedGuide" umfasst 100 Seiten mit Übersetzungen ins Arabische und Persische sowie Illustrationen zu Anamnese, aktuellen Beschwerden, Untersuchungen und Therapien. Gemeinsam mit Amer Zakhour (29), einem syrischen Assistenzarzt im Klinikum Nordfriesland in Husum, der an der Initiative beteiligt ist, wurden sprachliche und kulturelle Details entwickelt und geprüft. "Ich erlebe selbst, wie akut auch die sprachliche Not gerade bei Unfällen oder Schmerzen ist, wenn die Patienten sich hier in der Notaufnahme unserer Klinik melden", so Zakhour. Die Übersetzungshilfe soll ab Mitte/Ende Oktober über die Webseite edition-willkommen.de kostenpflichtig bestellbar sein.

Trotz solcher Methoden bleiben einige Details naturgemäß auf der Strecke: "Einer deutschen Frau kann ich auch die Feinheiten erklären, bei den Flüchtlingen ist es mehr Basisversorgung. Da fange ich ganz von vorne mit der Anamnese an und stelle dann nach und nach fest, dass die Patientin vielleicht schon mal schwanger war oder dass sie Hepatitis C hat. Da wird das Hygienemanagement auf einmal wieder enorm wichtig", so Scharrel. Sie kennt auch Kollegen, die die Versorgung von Flüchtlingen aufgrund des Aufwandes ablehnen: "Das gehört nicht zum normalen Praxisdurchlauf und ist nicht so einfach. Manchmal sprengt das einen ganzen Vormittag. Man kommt auch in schwierige Situationen, wenn man z. B. einem aufgebrachten Ehemann, der kaum Deutsch spricht, die Stirn bieten muss, weil er draußen bleiben soll. Das ist anstrengend." Scharrel beobachtet auch, dass viele der Frauen aus Krisengebieten in Deutschland erstmals merken, dass sie Rechte haben. Teilweise würden sie aber von anderen Frauen in den Flüchtlingslagern drangsaliert, bedroht, wenn sie mal alleine einkaufen wollen oder auch von Sprachkursen abgehalten, um die kulturelle Ordnung der Heimat zu erhalten. Bei vielen Paaren merke man aber, dass der Wille zur Integration da sei, dass sie sich ein Leben in Deutschland aufbauen und sich anpassen wollen. "Diese Paare bemühen sich sehr. Da wundere ich mich manchmal, wie schnell da plötzlich Deutsch gelernt wird, wenn die Frau schwanger ist."

Besserung in Sicht

Die Beobachtung, dass sich die Deutschkenntnisse bei jenen, die schon länger im Land sind, verbessern, haben auch die anderen befragten Ärzte gemacht, wenn auch mit Abstrichen: "Manche sprechen inzwischen auch ein bisschen Deutsch, aber manchmal täuscht das ein wenig. Oft verstehen sie dann doch nicht so viel", meint Berghof. "Bei den jungen Leuten merke ich schon, dass sie inzwischen besser Deutsch sprechen und man sich mehr verständigen kann. Das geht natürlich eher auf dem Niveau einer Kindergartensprache: Ich benutzte einfache Verben und Substantive. Man merkt jetzt nach dem Sommer aber auch, dass viele in der Zeit nur ihre Muttersprache gesprochen haben. Da ist das Deutsch wieder schlechter geworden", so Imme.

Scharrel hegt aber die Hoffnung, "dass sich das alles in Zukunft gut einspielen wird" und die nächste Generation von den Integrationsbemühungen profitieren wird. Sybille Scheewe plädiert beim Pädiatriekongress trotz aller kulturellen Unterschiede für Einfühlungsvermögen und die einfachsten menschlichen Kommunikationsebenen: "Mimik und Gestik können wir alle. Wir sind eine Spezies. Auch damit kann man es probieren."

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FLÜCHTLINGSAMBULANZ NEUMÜNSTER

Sie sprechen in der Heimatsprache vieler Flüchtlinge und haben zum Teil selbst Fluchterfahrungen: die Ärzte der bundesweit einmaligen Flüchtlingsambulanz am Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) in Neumünster. In der bisherigen Form wird die Einheit Integrierende Versorgung (EIV) aber nur noch bis Ende des Monats bestehen bleiben. Im kommenden Jahr droht die Schließung, weil das Land die Personalkosten wegen zurückgehender Flüchtlingszahlen nicht mehr tragen will. Betroffen sind auch vier syrische Ärzte, die in der EIV Patienten behandeln.

Innerhalb eines Jahres waren nach FEK-Angaben rund 1.200 Flüchtlinge in die EIV gekommen, bei zuletzt rückläufiger Tendenz. Die EIV räumt deshalb zum Monatsende ihre Behandlungszimmer im FEK, das die verbleibenden, vom Land bezahlten Mitarbeiter dann in das Team der Notaufnahme integriert. Dort werden ab November auch die Flüchtlinge behandelt. Die Finanzierungszusage des Landes für diese Mitarbeiter gilt noch bis Ende Februar 2017.

Grund für die Einrichtung der EIV war die hohe Zahl an Flüchtlingen, die in FEK-Nachbarschaft auf dem Gelände der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung des Landes untergebracht waren - zu Spitzenzeiten bis zu 6.000 Menschen. Nach den Sprechzeiten ihres medizinischen Dienstes hatten sie in der Notaufnahme des Krankenhauses Unterstützung gesucht und die normale Notfallversorgung überlastet. Diese Situation wurde seinerzeit unbürokratisch und schnell mit Einrichtung der EIV entschärft. Das Modell galt bundesweit als vorbildlich, weil es die Notaufnahme entlastete, geflüchteten Ärzten eine Arbeit in ihrem Beruf verschaffte und diesen ein schnellerer Zugang zu den Patienten möglich war als deutschen Kollegen. Inzwischen ist die Zahl der Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung nur noch dreistellig. FEK-Chef Alfred von Dollen will trotzdem vor allem die vier syrischen Ärzte halten, deren Approbation in Deutschland noch nicht anerkannt ist. Derzeit befindet sich das FEK hierzu in Gesprächen mit dem Kieler Gesundheitsministerium. (DI)

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Kommunikationsmöglichkeiten mit Flüchtlingen in der Praxis

Dolmetscher -
Dolmetscher sind häufig die beste Möglichkeit, um mit Flüchtlingen zu kommunizieren. Es gibt jedoch Unterschiede zwischen professionellen Dolmetschern und Familienangehörigen/Freunden, die in der Arztpraxis übersetzen.

Internet-Plattformen -
Internet-Plattformen wie Zanzu.de bieten Übersetzungen und Bildmaterial zu verschiedenen medizinischen Themen in unterschiedlichen Sprachen. Sie können z. B. eine Unterstützung bei der Vorbereitung auf eine Geburt sein.

Smartphone-Apps -
Viele der Flüchtlinge besitzen ein Smartphone. Dieses kann mittels Übersetzungsapps eine Hilfe bei der Verständigung sein. Häufig führen diese aber nicht zum Ziel, da den Apps der medizinische Kontext fehlt. Hier will eine App der AOK Abhilfe schaffen (s. Anmerkung weiter unten).

Telefonische Übersetzung -
Beim kostenfreien Dolmetscher-Angebot der ife Gesundheits-AG übersetzt ein Sprachmittler telefonisch bei Arztbesuchen von Flüchtlingen. Häufiger rufen Migranten aber Freunde/Bekannte an, die übersetzen sollen.

(Wörter-) Bücher -
(Wörter-) Bücher wie der MedGuide wollen via Sprachführer mit Übersetzungen auf Arabisch und Farsi sowie Illustrationen Anamnese, Untersuchung und Behandlung vereinfachen. Anamnese-Bögen mit ähnlichem Ansatz bietet auch der Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" an.


Anmerkung

App -
Die AOK Nordost hat mit dem "AOK Health Navigator" eine App entwickeln lassen, die ebenfalls helfen soll, die Sprachbarrieren bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen zu überwinden.

Die Nutzung der App ist für die Smartphone-Betriebssysteme Android und OS verfügbar. Sie kann kostenfrei heruntergeladen werden und funktioniert ohne Internetanbindung. Grundlegende Abläufe, Fragen und Hinweise für einen Arztbesuch werden den Flüchtlingen in Persisch, Arabisch, Englisch oder Deutsch übersetzt und durch Piktogramme ergänzt.

Nach Auskunft der AOK wurde die App in den ersten beiden Monaten (Stand 30. August) rund 1.100 mal heruntergeladen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201610/h16104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Oktober 2016, Seite 1 + 6 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2016

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