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ARTIKEL/1328: Notfallrettung - Kommt 2030 die medizinische Hilfe aus der Luft? (idw)


Fachhochschule Köln - 24.02.2014

Kommt 2030 die medizinische Hilfe aus der Luft?


"2030 wird es eine andere Versorgungsstruktur bei der Notfallrettung geben" - darüber waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums "Notfallrettung im ländlichen Raum - Luftrettung als Lösung?!" im Rahmen des Forschungsprojektes PrimAIR einig. Da Rettungswachen "auf dem Land" immer weniger Einsätze verzeichnen, geht Routine verloren. Damit sinkt zugleich die Qualität der notfallmedizinischen Versorgung. Zudem wird das System der Notfallrettung in diesen Gebieten ineffizient.

In immer mehr dünn besiedelten ländlichen Gebieten gibt es bereits heute keine wohnortnahe medizinische Versorgung mehr. Grund hierfür sind u. a. der "Landarztmangel" und die zunehmende Spezialisierung und Zentralisierung von Krankenhäusern. Diese Entwicklungen haben einen massiven Einfluss auf die Notfallrettung in ländlichen Gebieten. Da Rettungswachen "auf dem Land" immer weniger Einsätze verzeichnen, geht Routine verloren. Damit sinkt zugleich die Qualität der notfallmedizinischen Versorgung. Zudem wird das System der Notfallrettung in diesen Gebieten ineffizient, da 24 Stunden am Tag Rettungsmittel bereitstehen müssen, die bei weitem nicht ausgelastet sind. Das "Doppelte System" (Rettungshubschrauber sind derzeit in Deutschland ausschließlich ergänzend zur "Bodenrettung" im Einsatz) erhöht diese Ineffizienz weiter. In wie weit eine Notfallversorgung mit Rettungs- und Notarztwagen in zunehmend dünner besiedelten Flächenländern durch eine primäre Hubschrauberrettung "rund um die Uhr" und bei jedem Wetter abgelöst werden kann und sollte, untersucht das vom Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) geförderte Forschungs- und Verbundprojekt PrimAIR ("Luftrettung als innovatives Konzept zur Notfallrettung in strukturschwachen Gebieten"). Zur Halbzeit des dreijährigen Forschungsprojekts diskutierten jetzt Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Praxis über das brisante Thema auf dem Fachsymposium "Notfallrettung im ländlichen Raum - Luftrettung als Lösung?!" auf dem Campus Deutz der Fachhochschule Köln. Veranstaltet wurde das Symposium vom Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) der Fachhochschule Köln, das maßgeblich an dem Forschungsprojekt beteiligt ist

Unabhängig von der hohen Qualität des deutschen Rettungsdienstes, einig waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums darüber, dass es 2030 eine andere Versorgungsstruktur geben wird. Die vielleicht größte Herausforderung dabei ist: "Viele Notfallrettungs- und Notarzteinsätze sind laut Prof. Dr. Stefan Opperman (Asklepios Institut für Notfallmedizin) rettungsmedizinisch nicht notwendig, die "Rettung" wird gerufen, weil die Betroffenen im Moment der größten Not schnelle Hilfe suchen", berichtet Ulrike Pohl-Meuthen, Initiatorin des Projekts PrimAIR und Leiterin des Teil-Forschungsprojekts beim IRG der Fachhochschule Köln. "In diesem Zusammenhang muss auch über eine Erweiterung der notärztlichen Aufgaben hin zur Akutmedizin nachgedacht werden, also etwa eine hausärztliche Qualifizierung, die - so Vorschläge von Symposiumsteilnehmern - auch Bereiche wie Geriatrie und Palliativmedizin beinhaltet."

Der ärztliche Notdienst und die Notfallrettung existieren in Deutschland als Systeme parallel und werden von unterschiedlichen Leitstellen disponiert. Genau an dieser Schnittstelle zu den Bedürfnissen der Hilfesuchenden könnte ein Lösungsansatz liegen, der u.a. in Norwegen durchgeführt wird und auf dem Symposium vorgestellt worden ist. Über eine einheitliche medizinische Notrufnummer gelangen alle medizinischen Hilferufe in eine zentrale Leitstelle. Hier wählen die Mitarbeiter das richtige Rettungsmittel aus oder verweisen auf den niedergelassenen Arzt vor Ort. Das System ist komplett staatlich finanziert. "Eine wesentliche Voraussetzung scheint in Norwegen dabei zu sein, die Notfallversorgung als Daseinsvorsorge des Staates zu begreifen." erläutert Pohl-Meuthen. Zurzeit tragen in Deutschland die Krankenkassen nahezu alle Kosten.

Ob ein System der primären Luftrettung die Lösung für die Notfallrettung im ländlichen Raum ist, wurde auf dem Symposium aus technischer Sicht mit einem klaren "Ja" beantwortet. Technisch, organisatorisch wie strukturell ist ein solches Konzept möglich, wenn auch erst in einigen Jahren umsetzbar. Doch benötigt wird ein Konsens, welche bodengebundenen Systeme dann aufzugeben wären - und welche Versorgungsaufgaben ein luftgestütztes Angebot um welchen Preis zu leisten hätte. Auch müssen noch Konzepte entwickelt werden, wie z. B. Hubschrauberlärm minimiert und die Hubschrauberbesatzung vor Ort von bodengebundenen Rettungskräften unterstützt werden kann oder auch wie Großschadensereignisse bewältigt werden können.

Nachdem die Ist-Analyse im Forschungsprojekt Prim AIR abgeschlossen ist, stehen jetzt Szenarien orientierte Analysen auf dem Programm. Am Ende des Forschungsprojekts soll den politischen Entscheidern ein Leitfaden zur Verfügung gestellt werden, auf dessen Grundlage entschieden werden kann, ob es in einer Region sinnvoll ist, ausschließlich auf luftgestützte Rettungssysteme umzustellen.

Das interdisziplinäre Projektkonsortium besteht aus den Partnern antwortING Ingenieurbüro PartG, Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI), Institut für Notfallmedizin (IfN) der Asklepios Kliniken Hamburg, Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement am Klinikum der Universität München (INM) sowie Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der Fachhochschule Köln (IRG). Weiterhin sind Partner aus dem Bereich der Luftrettung (ADAC Luftrettung gGmbH, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bundespolizei-Fliegergruppe, DRF Stiftung Luftrettung gAG) sowie der Modellregion Mecklenburg-Vorpommern (Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales; AOK Nordost) involviert.

Das Projekt wird vom BMBF im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramms der Bundesregierung gefördert. Projektträger ist das VDI Technologiezentrum (VDI TZ), Verbundkoordinator des Projektes ist das antwortING Ingenieurbüro in Köln.

Die Fachhochschule Köln ist die größte Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Deutschland. Mehr als 21 800 Studierende werden von rund 420 Professorinnen und Professoren unterrichtet. Das Angebot der elf Fakultäten und des Instituts für Tropentechnologie umfasst mehr als 70 Studiengänge aus den Ingenieur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und den Angewandten Naturwissenschaften. Die Fachhochschule Köln ist Vollmitglied in der Vereinigung Europäischer Universitäten (EUA), sie gehört dem Fachhochschulverband UAS 7 und der Innovationsallianz der nordrhein-westfälischen Hochschulen an. Die Hochschule ist zudem eine nach den europäischen Öko-Management-Richtlinien EMAS und ISO 14001 geprüfte umweltorientierte Einrichtung und als familiengerechte Hochschule zertifiziert.

Bildzeilenergänzung zum Foto Podiumsrunde "Rettungsdienst 2030 - Nichts ist undenkbar, alles ist möglich"
v.l.: Dr. Christian Ebersperger (Bayrisches Staatsministerium des Innern), Stephan Prückner (INM), Dierk Heimann (Moderator), Andreas Schöllner (AOK Nordost), Dr. Bernd Böttiger (German Resuscitation Council), Dr. Heinzpeter Moecke (Asklepios IfN), Ralf Iwohn (Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales MV)

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.projekt-primAIR.de


Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

http://idw-online.de/de/image227544
"Rettungsdienst 2030 - Nichts ist undenkbar, alles ist möglich" lautete der Titel der Abschluss-Podiumsdiskussion des PrimAIR-Symposiums

http://idw-online.de/de/image227545
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums "Notfallrettung im ländlichen Raum - Luftrettung als Lösung?!" im Rahmen des Forschungsprojekts PrimAIR

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution21

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Fachhochschule Köln, Petra Schmidt-Bentum, 24.02.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2014

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