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MELDUNG/761: 19. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit - "Rettet die Medizin" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2016

Hauptstadtkongress
"Rettet die Medizin"

Von Horst Kreussler


Viele Funktionäre und Unternehmensvertreter, wenige Ärzte, die primär in der Patientenversorgung tätig sind, waren beim HSK 2016.


Der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit (HSK, der 19.) versteht sich nicht erst seit dem räumlichen Umzug vor zwei Jahren in den nüchternen Betonbau "City Cube" auf dem Berliner Messegelände zunehmend als gesundheitspolitischer, aber auch als Gesundheitswirtschafts-Kongress. Viele Ärzte dürften jedoch Schwierigkeiten haben, das Gesundheitswesen mit seinem seit jeher auf den kranken Menschen bezogenen Heilauftrag in erster Linie ökonomisch zu sehen, nämlich als zuerst gewinnorientierte Branche und nicht als Sektor eigener Art.

Allerdings: Primär am Patienten tätige Ärzte waren hier auch weniger zu sehen, eher Ärztefunktionäre und Ärzte mit einem Mandat neben vielen Vertretern von Krankenhäusern, Krankenkassen, Organisationen und Firmen sowie aus der Pflege. Typisch für den zuletzt nach dem Deutschen Ärztetag schlagzeilenträchtig kritisierten Ökonomismus (Montgomery versus Asklepios) war eine Pressemitteilung des Veranstalters WISO S.E. Consulting: "Menschen sind keine Autos!" Dieser "Schlachtruf" sei falsch, weil die Individualität der Patienten ein standardisiertes Vorgehen nach "Workflow-Management" keineswegs unmöglich mache. Dass die moderne Medizin Standardisierung und andere ökonomische Verfahren anwendet und nutzt, dürfte kaum ernsthaft bestritten werden. Sehr wohl aber, dass ökonomisches Denken im Vordergrund stehen muss. Ein bewusstes Missverständnis?! Dagegen scheint sich zunehmend Protest zu regen, so etwa eine auf der Begleitausstellung stark beworbene Veröffentlichung mit dem furiosen Titel "Rettet die Medizin!".

Diese zentrale Unterscheidung spielte in Diskussionen und Gesprächen beim HSK durchaus eine Rolle. Die Veranstaltungsregie hatte aber natürlich die innovationsaffinen Themen gut positioniert. Mehrfach kam die Fülle innovativer Möglichkeiten durch die zahlreichen neuen Gesetze der letzten Jahre zur Sprache. Jedoch bremst die Gesetzesflut oder der "Gesetzesstaat" auch, so der bekannte Medizinrechtler Prof. Christian Dierks aus Berlin, Innovationen im Gesundheitswesen. Als Beispiel nannte er die Neugründung anwendungsorientierter Unternehmen aus der medizinischen Forschung.

Ein Beispiel für neue Gesetze: Das vor wenigen Tagen in Kraft getretene Antikorruptionsgesetz mit dem Ziel, auch in der Beziehung Industrie zu Ärzten zu mehr Unabhängigkeit und Sauberkeit zu kommen. Die Folge sei aber, so mehrere Referenten, zunächst eine erhebliche Verunsicherung darüber, was noch erlaubt sei, welche Absprachen zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern der neuen Rechtslage entsprächen. Das sei aber für redliche Ärzte im Grunde kein Problem, wie Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann beim Satellitensymposion "Mit einem Bein im Gefängnis?" sagte: "Ein Arzt, der auf dem Boden des ärztlichen Berufsrechts handelt, braucht keine Angst vor dem Staatsanwalt zu haben." Die Berufsordnung regele klar die Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten, z. B. mit Krankenhäusern. Allerdings, so Moderator Uwe Preusker, werde in der Praxis in den Bundesländern und Kammerbezirken manches unterschiedlich gehandhabt. Ein sinnvolles Mittel, um wo auch immer den staatsanwaltlichen Vorwurf des Vorsatzes auszuschließen, sei die Vorlage der Kooperationsverträge bei der zuständigen Kammer, so Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Bernd Halbe aus Köln.

"Wichtigstes Thema" auf dem HSK sei die Verbindung von guter, ganzheitlicher Medizin mit wirtschaftlichem Erfolg, meinte Moderator Holger Strehlau im Forum "Der Patient ist König? Leistungsversprechen durch stabile Prozesse". Zur guten Medizin gehöre, so die Referenten und besonders Dr. Stefan Stiegler, Vorstand des Albertinen-Diakoniewerks in Hamburg, nicht zuletzt die spirituelle Seite. Sie werde von Patienten verschiedener Glaubens- (und Nicht-glaubens-)richtungen zunehmend angesprochen. Er hoffe, dass die Kassen eines Tages einer "Spiritual-care-DRG" zustimmen könnten.

Die in Berlin stark vertretenen gesetzlichen Krankenkassen fühlten sich durch die formalen gesetzlichen Neuerungen nicht besonders zu inhaltlichen Aufbrüchen (vom Payer zum Player) ermutigt. Das ganze Sozialgesetzbuch V sei nicht gerade innovationsfreundlich, meinte Bettina am Orde von der Knappschaft-Bahn-See. DAK-Vorstandschef Prof. Herbert Rebscher will dennoch neue Wege für seine Versicherten gehen und sinnvolle Versorgungsmodelle anbieten.

Wünschenswerte Innovationen wurden ebenfalls genannt, so beim "Apothekertag" mehr Evidenz über neue Arzneimittel in den Apotheken und damit auch für die Kunden. Bessere Arzneimittel-Studien auch im OTC-Bereich sollten die Hersteller nicht erst 2030 vorlegen (aber Konzept "Apotheke 2030").

Die Medizin der Zukunft werde informationstechnische Innovationen brauchen bei E-Health, Telemedizin und der weiteren Digitalisierung etwa in Richtung "Big Data", war beim Hauptstadtforum Gesundheitspolitik zu hören. Aber, so der Leiter des gesamten Kongressteils "Ärzteforum", Prof. Axel Ekkernkamp (Berlin/Greifswald) auf Nachfrage, nur im Zusammengehen mit den Skeptikern und dem bewährtem ärztlichem Wissen und nicht konträr.

Deshalb werden manche beim Hauptstadtkongress vorgestellten und genannten Innovationsprojekte gründlich zu prüfen sein. Als Beispiele lassen sich etwa der (gegenüber dem Projekt im Kreis Herzogtum Lauenburg größere, aber immer noch recht enge) DB Medibus für unterversorgte Regionen oder etwa der BA-Studiengang "Physician Assistant" der Fresenius-Hochschulen nennen.

Insgesamt dürften viele der Kongressteilnehmer die begründete Hoffnung auf künftige wichtige Innovationen im Gesundheitswesen teilen, die Prof. Detlev Ganten (Berlin) in seiner Eröffnungsrede beschwor. In der Immunologie, in der Onkologie sei durch "Präzisionsmedizin" (stratifizierte oder früher personalisierte Medizin) einiges zu erwarten, aber: Da die Hoffnungen oft enttäuscht wurden, "sollten wir hier bescheiden, ja demütig bleiben". Mit zunehmender Evolution würden die negativen Seiten deutlicher ("Evolutionsfalle").


HSK

Zum diesjährigen Hauptstadtkongress (HSK) kamen rund 8.000 Teilnehmer, darunter rund 50 aus Schleswig-Holstein. Sie hatten die Wahl zwischen 200 Einzelveranstaltungen mit rund 500 Referenten.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201607/h16074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Juli/August 2016, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2016

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