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MELDUNG/1048: Patientenlotsen - Neues Projekt mit ermutigenden Ergebnissen (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 3, März 2022

Lotsenprojekt mit ermutigenden Ergebnissen

von Martin Geist


PATIENTENLOTSEN. Wer älter ist und unter komplexen Erkrankungen leidet, kann ein Lied davon singen, was für ein Labyrinth aus Versorgungsmöglichkeiten und Zuständigkeiten es zu durchdringen gilt. Ein von der Barmer geleitetes Lotsenprojekt soll Abhilfe schaffen. Die Krankenkasse setzt sich für eine flächendeckende Einführung ein.


Das im Sommer 2018 gestartete Projekt Rubin steht für "Regional ununterbrochen betreut im Netz". Wobei mit Netz nicht das Internet gemeint ist, sondern ein Beziehungsgeflecht aus Einrichtungen und den dahinterstehenden Menschen, die im Idealfall Hand in Hand im Sinne bestmöglicher Lebensqualität zusammenwirken.

Zumindest ziemlich nahe kommt man dem Idealfall nach Überzeugung von Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein, mit dem in Rubin erprobten Prinzip einer Tandemversorgung. Eine Pflegefachkraft und eine hausärztliche Praxis arbeiten nach diesem Modell eng zusammen und koordinieren mithilfe von Lotsen die komplette Versorgung, die ein Patient je nach individueller Situation benötigt.

Care- und Case-Management nennt sich das im Fachbegriff, zum Beispiel Nicole Tralau ist der Name im richtigen Leben. Die gelernte Ergotherapeutin hat sich in 180 Theorie- und vielen Praxisstunden weitergebildet, arbeitet nun im Praxisnetz Herzogtum Lauenburg als Patientenlotsin oder eben Case-Managerin und kümmert sich um ungefähr 140 kranke Menschen. "Das hört sich sportlicher an, als es ist", sagt Nicole Tralau, die bei jeder Person gewöhnlich etwa alle drei Monate einen Hausbesuch macht. Nach ihrer Erfahrung reicht das völlig aus, sofern gleich am Anfang eine gründliche Bedarfsermittlung erfolgt und in der Folge die nötigen Schritte in die Wege geleitet werden. Der Rest, so findet die Lotsin, ist "eine Frage der Organisation und auch des Telefons".

Zusammen mit der Hausarztpraxis die Medikation im Blick behalten, zusätzlich mit fachärztlichen Beteiligten Kontakt halten, aber auch mit Kliniken, Apotheken oder Pflegeeinrichtungen und den Angehörigen sowieso: Das beschreibt zumindest einen Teil des Aufgabenspektrums der Lotsin, die darüber hinaus bei Anträgen an Kassen oder andere Leistungsträger hilft und darüber wacht, dass die Sanitätshäuser Hilfsmittel zügig und bedarfsgerecht liefern. "Diese Arbeit macht großen Spaß, weil man immer wieder sieht, wie viel Gutes man erreicht", sagt Tralau. Sie ist überzeugt, dass sie diese Meinung nicht exklusiv hat: "Ich habe es mit ganz vielen Patienten und Angehörigen zu tun. Lob und Dankbarkeit gab es ganz oft, unzufrieden war bisher wirklich überhaupt niemand."

Dieser Eindruck verfestigt sich auch in großem Maßstab. Im Kreis Lauenburg und vier weiteren Regionen werden noch bis zum 31. Juni dieses Jahres regionale Praxisnetzwerke mit Rubin-Projekten für jeweils 640 Personen wissenschaftlich ins Visier genommen. "Die ersten Ergebnisse zeigen eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz", sagte Prof. Katja Götz vom Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Lübeck bei der Vorstellung der Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz im Februar in Kiel. Demnach zeigen sich in der Evaluation jeweils etwa 80 % der Patienten und Angehörigen sehr zufrieden mit dem Projekt, sogar knapp 90 % der Befragten beider Gruppen würden Rubin weiterempfehlen. Entlastet durch die Unterstützung fühlen sich allerdings nur 51,1 % der Angehörigen. "Das ist aber normal und bestätigt sich in anderen Studien", erläutert Götz. Angehörige fühlen sich demnach oftmals allein schon durch die emotionale Verbundenheit mit den bedürftigen Menschen sehr stark in die Pflicht genommen.

Aus anderer Perspektive überzeugt von dem Modell ist Markus Knöfler, Geschäftsführer des Praxisnetzes für die Rubin-Modellregion Herzogtum Lauenburg. Mehr als 140 ärztliche und therapeutische Fachkräfte, sieben Kliniken, eine Rehaklinik, drei Medizinische Versorgungszentren und zahlreiche medizinische Dienstleister haben sich in diesem Netzwerk zusammengeschlossen. Die Erfahrungen legen aus Sicht von Knöfler allemal eine Fortführung über den kommenden Sommer hinaus nahe. Gerade auch im ärztlichen Bereich werde die Arbeit der Lotsen oft als äußerst hilfreich empfunden, betont er.

"Jetzt muss der Bund ran", fordert der Mann aus dem schleswig-holsteinischen Süden und ist sich darin einig mit Hillebrandt. Der plädiert wie die Barmer bundesweit dafür, dieses Modell der Patientenlotsen flächendeckend in die Regelversorgung aller gesetzlich Versicherten zu übernehmen. Die Praxislotsin oder den Praxislotsen gäbe es also bald auf Rezept, sollte die Politik dieser Forderung folgen.

Hillebrandt zeigt sich in dieser Hinsicht hoffnungsfroh. Schließlich, so argumentiert er, habe die Ampel-Koalition festgelegt, dass erfolgreiche Projekte des Innovationsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung in die Regelversorgung zu überführen seien. "Explizit werden hier die Patientenlotsen genannt", fügt er hinzu. Die Krankenkasse ist sogar schon einen Schritt weitergegangen und hat die Verstetigung des Projekts juristisch prüfen lassen. Fazit von Rechtsanwalt Dr. Thomas Ruppel, Spezialist für Medizin- und Gesundheitsrecht: "Die Überleitung in die Gesetzliche Krankenversicherung wäre machbar, und zwar ohne weitere Bürokratie."


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Mehr als 4.000 Menschen machen mit

Im von der Barmer geleiteten Projekt Rubin sind noch bis zum 31. Juni 2022 neben dem Praxisnetz Herzogtum Lauenburg die Modellregionen plexxon (Ammerland), Leipziger Gesundheitsnetz, Gesundheitsregion Siegerland und Ärztenetz Lippe aktiv. Einbezogen sind jeweils 640 Patienten, die rechnerisch von 3,8 Lotsen an die Hand genommen werden. Um eine seriöse wissenschaftliche Betrachtung zu gewährleisten, kommen drei Kontrollgruppen mit je 400 Frauen und Männern hinzu, die nicht an Rubin teilhaben.

Damit erfasst Rubin 4.400 Menschen insgesamt und bietet eine breite Datenbasis. Durchschnittlich 81,6 Jahre alt und zu 64 % weiblich sind die Patienten, die an dem Modell teilnehmen. Von ihnen leben 38 % allein, immerhin 71 % gaben aber an, von Verwandten unterstützt zu werden. Das vierjährige Projekt kostet 8,1 Millionen Euro und wird aus dem Innovationsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Erklärtes Ziel des Innovationsfonds ist es, Modelle zu verstetigen, "die einen relevanten Beitrag zur Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens leisten können". Was die Zufriedenheit betrifft, sieht es für dieses regionale Betreuungsmodell gut aus, wie es sich wirtschaftlich darstellt, ist aber noch nicht abschließend berechnet. "Wir hoffen auf ein Ergebnis von plus-minus Null", sagt Bernd Hillebrandt von der Barmer, neben der neun weitere Krankenkassen an dem Projekt beteiligt sind. Zusätzliche Personalausgaben für die "Kümmerer" könnten demnach im Idealfall sogar mehr als ausgeglichen werden, weil die betreuten Menschen längere Zeit weniger krank sind und später oder gar nicht in stationäre Einrichtungen müssen. Dessen ungeachtet geht es mit dem Projekt Rubin in wenigen Monaten zu Ende. Sobald die Evaluation komplett vorliegt, wollen die Verantwortlichen im Herzogtum Lauenburg aber an die zuständigen kommunalen Stellen herantreten, um eine Folgelösung zu schaffen. Viel besser wäre aber nach Überzeugung von Bernd Hillebrandt: "Weg von der Projektitis, hin zu einer Dauerlösung."
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 3, März 2022
75. Jahrgang, Seite 16-17
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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