Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


POLITIK/2058: Diskussion um Datenschutz im Gesundheitswesen - "Höchster Alarm" bei Missbrauch (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2020

Datenschutz
"Höchster Alarm" bei Missbrauch

von Martin Geist


Profit vor Datenschutz? Transparency International und Rheuma Liga hatten zur Diskussion nach Kiel eingeladen.

Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen." So lautet der zentrale Satz von Transparency International (TI). Tauscht man das Wort Macht gegen Daten aus, wird klar, warum sich die Anti-Korruptionsorganisation mit Themen wie der elektronischen Gesundheitskarte auseinandersetzt. Gegen diese Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hegt Transparency International erhebliche Bedenken. Damit steht die Organisation nicht allein, wie eine Veranstaltung von TI und Rheuma-Liga Schleswig-Holstein im Februar in Kiel zeigte - auch Ärzte und das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) zeigten sich bei diesem Thema skeptisch.

Anfang Texteinschub
Info

Für ein "besonders anfälliges Gebiet für Korruption" hält Transparency International das Gesundheitswesen, "weil es intransparent ist und hier sehr viel Geld alloziert wird." Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen bedeute insbesondere, Interessenkonflikte der zahlreichen Akteure zu erkennen und ihre schädlichen Auswirkungen transparent zu machen.
Ende Texteinschub

"Wir Ärzte sind von Spahns Tempo wahrscheinlich genauso verunsichert wie die Patienten", sagte Dr. Svante Gehring vom Vorstand der Ärztegenossenschaft Nord bei der Podiumsdiskussion der Tagung. Um die Bestrebungen des von vielen als "umtriebig" wahrgenommenen Bundesgesundheitsministers wenigstens einigermaßen nachvollziehen und auch "kritisch begleiten" zu können, hat zum Beispiel die Ärztekammer Schleswig-Holstein, der Gehring als Vorstandsmitglied angehört, einen Arbeitskreis "Digitale Transformation" gegründet.

Ebenso wie die überwiegende Mehrheit seines Berufsstandes begrüßte der Hausarzt aus Norderstedt das Anliegen, durch Digitalisierung mehr wissenschaftliche und medizinische Transparenz zu schaffen. "Wenn wir heute wissen wollen, wie viele Menschen in Deutschland an Rheuma oder Schlafstörungen leiden, können wir das nicht sagen, sondern müssen Hochrechnungen anhand von Daten einzelner Krankenkassen machen", beschrieb Gehring den unbefriedigenden Status quo. Niemand könne also etwas dagegen haben, wenn Gesundheitsdaten für wissenschaftliche Zwecke "nach allen datenschutzrechtlichen Regeln und Gesetzen" erfasst werden.

Im Detail sieht der Vertreter der Ärztegenossenschaft aber allerhand Anlass zum Stirnrunzeln. Im Visier hat er vor allem das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), nach dem spätestens zu Beginn des Jahres 2021 eine elektronische Patientenakte eingeführt werden soll. Ein unscheinbarer Chip soll dann alle entscheidenden Angaben zum körperlichen und psychischen Befinden von mehr als 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland enthalten: Befunde, Diagnosen, Therapien, Behandlungsberichte und Impfungen. Sollten alle diese Daten - wie aktuell vorgesehen - tatsächlich zentral gespeichert werden, würde nach Gehrings Befürchtung im Fall einer Sicherheitspanne immenser Schaden drohen. Die Ärztegenossenschaft Nord pocht deshalb auf eine dezentrale Speicherung sowie auf eine möglichst umfassende Anonymisierung und Verschlüsselung der Informationen.

Marit Hansen, Landesbeauftragte für Datenschutz in Schleswig-Holstein, nannte einige sehr unappetitliche Beispiele für einen nicht auszuschließenden Datenmissbrauch: Wenn Krebskranke angebliche Wundermittel für teures Geld angeboten bekommen, wenn eine Job-Bewerbung am Wissen des potenziellen Chefs um gesundheitliche Probleme scheitert oder aus demselben Grund Versicherungsprämien ins Unermessliche steigen, wäre für die Landesdatenschützerin höchster Alarm angesagt. Auch seien Konzerne wie Google und besonders Amazon schon heute äußerst aktiv auf dem Gesundheitsmarkt und wenig zimperlich im Umgang mit Daten, die dem Geschäft förderlich sein könnten.

Nichts einzuwenden ist für Hansen gegen die Digitalisierung im Gesundheitswesen, sofern diese "reguliert und in fairer Form" erfolge. Das vorliegende Gesetz des Bundesgesundheitsministers dagegen weise "ein paar gute Ideen" auf, aber vor allem auch "ganz viele Fehler beim kleinen Einmaleins der Datensicherheit". Zu tun hat das aus ihrer Sicht wohl nichts mit bösem Willen, sondern mit übertriebenem "Schnellschnell" im Gesundheitsministerium. Immerhin zeichneten sich jedoch Nachbesserungen ab, seit Ende 2019 Sicherheitsforscher auf erhebliche Defizite hingewiesen haben.

Noch drastischer formulierte Dr. Wolfgang Wodarg, Lungenarzt und Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland, seine Vorbehalte. "Es geht häufig ums Geldverdienen", lautete sein Befund. Die von Spahn angeschobene "riesige Datensammelei" ist aus seiner Sicht vom wissenschaftlichen Nutzen her fragwürdig, fördert aber umso mehr den Profit anderer Akteure im Gesundheitswesen.

Unterdessen äußerte sich der frühere Landesdatenschützer Thilo Weichert differenzierter. Im Gesetz zur elektronischen Patientenakte sei doppelte Pseudonymisierung und manch weitere hohe Sicherheitshürde vorgesehen. Ein Missbrauch etwa durch die Pharmaindustrie oder Versicherungen sei "absolut unmöglich", sofern das Gesetz tatsächlich befolgt werde. Wenig glücklich ist es aus Sicht Weicherts aber beispielsweise, dass die vorgesehene zentrale Datenerfassungsstelle zugleich kontrollieren soll, wer auf diese Daten zugreifen darf.

Ganz machtlos sind die Patienten der Entwicklung nicht ausgeliefert, stellte derweil Joanna Batista vom Rechtsreferat der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein klar. Widerspruch speziell gegen die Speicherung eigener Daten mittels der elektronischen Patientenakte sei durchaus möglich. Das sieht zwar auch die Landesdatenschutzbeauftragte Hansen so, mehr würde es aber aus ihrer Sicht bewirken, die Politiker dazu zu bringen, sich für Nachbesserungen im Gesetz stark zu machen.

Derweil plädierte Hausarzt Gehring, der von seinen Patienten immer wieder Unerfreuliches aus dem ganz und gar nicht digitalen Leben hört, trotz aller Bedenken für eine Portion Gelassenheit: "Die reale Welt ist ja auch nicht absolut sicher."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202003/h20034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, März 2020, Seite 22
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang