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AUSLAND/1483: "Wege zur Gesunderhaltung" in China (f.i.t - Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie
Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 1/2009

Gesunderhaltung in China
Alte Menschen und ihre "Wege zur Gesunderhaltung" in China - Ergebnisse einer empirischen Studie

Ein Beitrag von Yongxian Li (Shanghai University of Sport) und Yu Xiao
(Institut für Rehabilitation und Behindertensport)


China ist ein altes Land. Seine alte Kultur, seine Philosophie sowie seine Geschichte von 5000 Jahren weisen viele Wege zur Gesunderhaltung. Von der Vergangenheit bis in die Gegenwart suchen zahlreiche Wissenschaftler, Philosophen, Herrscher und auch die normale Bevölkerung einen Weg, die Gesundheit möglichst lange zu erhalten. Zahlreiche Methoden und Ideen in der Literatur liefern Stichworte zu diesem Thema: Gesunde Lebensführung und Naturverbundenheit, Harmonie zwischen Körper und Seele, Yin und Yang, Balance zwischen Bewegung und Ruhe, Erholung der inneren Organe und der Stimmung, koordinierte und regulierte Energiebahnen etc. Lebensstil, Lebensphilosophie, Bewegungskultur und Freizeitsport bilden in der Regel den Rahmen bei der Suche nach Wegen zur Gesunderhaltung.


Gesundheit

Gesundheit ist nicht nur als Abwesenheit von Krankheit zu definieren, sondern positiv zu verstehen. Wesentliche Kriterien zur Beschreibung von Gesundheit sind:

Abwesenheit von Symptomen, Krankheit oder Behinderung;
Schmerz- und Beschwerdefreiheit;
Fehlende funktionelle Beeinträchtigung von Lebensaktivitäten;
Fähigkeit, interne und externe Anforderungen (Konflikte, Belastungen und Krisen) erfolgreich zu bewältigen;
Adäquate Einschätzung der eigenen Handlungskompetenz (Selbstvertrauen, Glaube an das "Ich", Selbstwirksamkeit);
Resistenz (Widerstandsfähigkeit) gegenüber Belastungen;
Fähigkeit, soziale Rollen zu erfüllen und zu bewältigen;
Liebes- und Genussfähigkeit, aber auch "Fähigkeit zu trauern";
Kapazität bzw. Potential, selbstständig (langfristige) Ziele zu setzen und diese zu verfolgen;
Fähigkeit zur Selbstgestaltung und Selbstverwirklichung;
Suchen und Finden von Sinn in allen Lebensaktivitäten.

Je älter die Menschen werden, desto überzeugter versuchten sie gesund und fit zu bleiben - die chinesische Bevölkerung versucht dies durch traditionelle chinesische Bewegungsformen. Nicht nur körperliche, sondern auch psychische und soziale Funktionsfähigkeit sollen dabei gestärkt werden. In der traditionellen chinesischen Medizin besteht eine ganz klare Auffassung von Gesundheit: Wenn Qi und Blut im Gleichgewicht sind und harmonisch durch den Körper fließen, sind geistiges, seelisches und körperliches Wohlbefinden sowie Vitalität die Folge. Qi ist das aktive Prinzip, das sich aus der Dynamik zwischen Yin und Yang ergibt und wird oft mit Energie übersetzt. Ist das harmonische Gleichgewicht von Qi und Blut gestört, bedeutet dass Krankheit, wobei es viele Faktoren gibt, die solche Unregelmäßigkeiten verursachen können. Einer der wichtigsten ist die Lebensweise, die zusammen mit Ernährung und Bewegung einen großen Einfluss darauf hat, ob wir uns wohl fühlen und entspannt oder gestresst sind. Es ist allerdings nicht sinnvoll, pauschal jedem dieselben Übungen und die gleiche Ernährung anzuraten. Es ist wichtig herauszufinden, was dem Einzelnen gut tut.


Lebensstil

"Wird ein Wesen hart, so wird es alt werden. Dies ist jedoch nicht die Art des Tao. Die Wurzeln senken und den Stamm stärken, das ist der Weg ewi-gen Lebens." Es ist über 2000 Jahre her, dass dies im alten China der weise Lao Tse schrieb. Von längst vergangenen Zeiten bis heute gibt es viele Menschen in China, die unterschiedliche Formen des Lebensstils diskutieren und versuchen, den richtigen Weg zu finden. Traditionell ist Lebensstil mit chinesischer Philosophie und Kultur verbunden und erscheint vielfältig: Lebensstil ist eine Lebensphilosophie, die das Leben erklärt; Lebensstil ist eine Kultur, an der sich menschliches Leben orientiert. Damit wird Lebensstil auch zu Gesundheitsstil, um (besonders im Alter) den Weg zur Gesunderhaltung zu finden, jedoch auf andere Art und Weise als die Anhänger des modernen Lifestyle-Gedankens, die in erster Linie versuchen sich vom allgemeinen Alltagsleben zu unterscheiden.

China hat durch seine Kultur ein anderes Verständnis des Lebens und des Alters. Lebensstil wird nicht nur bestimmt durch Lebenssituation und Lebenslage, sondern prägnant auch durch Philosophie, Kultur und Tradition. Ein im ganzheitlichen Sinne gesunder Lebensstil war in der Vergangenheit und ist bis heute das Hauptziel des Lebens.

Dieser Lebensstil hat besondere Bedeutung für ältere Menschen. Von der traditionellen Kultur und Lebensphilosophie beeinflusst, wird ihr Leben gleichzeitig von der Individualisierung der Lebensweise, der Modernisierung der Gesellschaft sowie vom Mammonismus der Denkweise beeinträchtigt. In diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und moderner Gesellschaft ist der Lebensstil älterer Menschen in China angesiedelt. Dies bedeutet auch entgegengesetzte Ansprüche vereinen zu wollen.

Folgende Merkmale des traditionellen Lebensstils im engeren Sinn gehören in China nach allgemeiner Ansicht zum Alter:

Geregeltes Alltagsleben; früh ins Bett gehen und früh aufstehen;
Wenig Habsucht und mehr Freude;
Harmonie der Bewegung und Ruhe;
Wenig, aber passende Nahrung;
Harmonie der Familienbeziehungen und Harmonie zwischen den Generationen;
Anpassung an die Jahreszeit und an die Natur;
Trainieren zur Erhaltung von Energie und Vitalität;
Enge Familienbindung und Kontakt zum Verwandtenkreis.

Als moderne positive Merkmale des Lebensstils im Alter in China werden immer wieder genannt:

- Soziale Altersversorgung;
- Stützung auf eine staatliche Krankenkasse;
- Gesundheit und Lebensfreude;
- Lebenswerte Bedingungen.

Dabei sollen die traditionellen Lebensstilelemente, wie sie oben aufgeführt sind, weiterhin ihren Platz einnehmen.

Ob dieser Lebensstil für die älteren Menschen in China in absehbarer Zeit tatsächlich lebbar wird, ist abhängig davon, ob die Situation der älteren Menschen, die Sozialpolitik, das Altersversorgungssystem und das Rentensystem besser werden und ob die älteren Menschen diese Ansprüche politisch einfordern.


Bewegungskultur

Jedes Land hat seine eigene Kultur. Jede Kultur stellt ein in sich sinnvolles, auf Werte und Normen ausgerichtetes Gefüge dar, das das alltägliche Leben bestimmt. Kultur ist das Dokument der geistigen Schöpfungs- und Gestaltungsfähigkeit einer Gesellschaft und repräsentiert zeitüberdauernde Werte. Im Gegensatz zu Zivilisation, die dem Zweck dient, materielle und vitale Bedürfnisse zu befriedigen, erhebt sich Kultur über solches Nützlichkeitsdenken und ist auf geistige Arbeit gerichtet, d. h. auf Sinn, Seele und zeitlos gültige Werte. Zur Kultur gehören Wissenschaft, Religion, Rechtsprechung, Kunst, Administration ebenso wie Sitten, Bräuche oder die Formen des Umganges mit dem Körper. Denn zu allen Zeiten und in allen Kulturen ist auch der Umgang mit dem Körper, seine Pflege und Präsentation durch jeweils geltende Normen bestimmt gewesen. Da diese Normen und die aus ihnen abgeleiteten Regeln in den einzelnen Kulturen verschiedenartig sind, begegnen uns unterschiedliche Formen der körperlichen Präsentation, des Bewegungsverhaltens und des körperlichen Ausdrucks. Jeder Kulturbereich besitzt demnach seine jeweils eigene Körper- oder Bewegungskultur, beispielsweise unterschiedliche Tanz-, Spiel- und Sportarten. Als konstituierende Bestandteile der menschlichen Bewegungskultur sind die vier bewegungskulturellen Bereiche der Sport-, Spiel-, Ausdrucks- und Gesundheitskultur gleichwertig und gleichgewichtig. Bewegungskultur ist ein wesentlicher Teil der Körperkultur und Ausdruck der Liebe zum Körper. Die Bewegungskultur des Menschen, als Ganzes und in ihren Spielarten, kommt nur über eine vielseitige, ziel- und planvolle Bewegungserziehung und Bewegungsbildung zustande.

Allgemein wird die Bewegungskultur jüngerer Menschen von der Bewegungskultur im Alter unterschieden. Die Bewegungskultur der Jüngeren ist kennzeichnet durch die heute zentralen Werte unserer Gesellschaft, wie z.B. Leistung, Aktivität, Flexibilität, Dynamik. Dabei steht die Fitness- und Schönheitskultur im Vordergrund. Eine Altenkultur unterscheidet sich in der Regel hiervon deutlich: Hier geht es u. a. um die "Gegenerfahrung zur Tempokultur", es geht um Beherrschung des Körpers, um Bewegungserlebnisse, Bewegungserfahrungen und Ästhetik.

Mit dem Begriff Bewegungskultur ist die Annahme verbunden, dass die menschliche Bewegung ein eigenes, von anderen Kulturaktivitäten abgrenzbares kulturelles System hervorbringen kann. Eine Bewegungskultur zu verstehen heißt also, die Bedeutungen des Bewegungsausdrucks anderer zu entschlüsseln und als persönliche, individuelle Eigenart, als Beitrag zur Aufrechterhaltung eines sozialen Systems oder als kulturspezifisches Muster zu erkennen. Es muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass Bewegungen bestimmte Bedeutungen haben, die in wechselseitigen sozialen Beziehungen verstanden und beantwortet werden können.

China erscheint als ein Land von enormen Ausmaßen, das sich von Sibirien bis nach Nepal und zu den tropischen Regenwäldern erstreckt. Unterschiedliche Völker, Kulturen und Religionen leben hier neben- und durchaus nicht immer miteinander. Verschiedene philosophische Strömungen haben sich im Laufe der Jahrhunderte in vielschichtigen Traditionslinien miteinander vermischt.

Ein weit verbreitetes Bild von China: Am frühen Morgen üben in einem Park oder auf einem freien Platz oder sogar im Hinterhof Chinesen alleine oder in Gruppen Taijiquan. Mit den anderen Bewegungsformen, wie QiGong, Baduanjin, Xiang-Gong, Meditation usw. erleben viele Menschen nicht nur neue Entspannungs- und Bewegungstechniken, sondern auch die damit verbundenen Philosophien, bei denen nicht die Beherrschung der Natur (oder des Gegners) im Mittelpunkt stehen, sondern der sanfte und harmonische Umgang damit. Chinesen haben ein anderes Verständnis von Kultur, Bewegung, Gesundheit und Lebensphilosophie.

Chinesische Bewegungskultur beachtet die Harmonie von Mensch und Natur, Körper, Geist und Seele. Die Lebensphilosophie - die Mitte des Weges, die Balance zwischen Yin und Yang - stimmt mit der Gesunderhaltung überein. Das chinesische Denken und Handeln ist durchzogen von dem Wunsch nach ursprünglicher Ganzheit und Harmonie. Jedenfalls ist der Wunsch nach Verbundenheit mit der Natur auch Ausdruck des Bewusstseins eines Verlustes und einer tief reichenden Erfahrung der Trennung und Differenz von Geist und Natur im Laufe der kulturellen Entwicklung. Die Sehnsucht nach Harmonie ist die andere Seite einer massiv empfundenen Teilung.

Das Ideal des harmonischen, im Gleichgewicht der Kräfte stehenden Beziehungsgeflechts, hat das soziale Zusammenleben in China maßgeblich geprägt. Die "Mitte" bedeutet in allen Lebensbereichen der Chinesen das zu erreichende und zu bewahrende Ziel.

Die chinesische Bewegungskultur basiert auf einem äußerst sensiblen Gespür für minimalste Gewichtsverlagerungen des eigenen Körpers oder von Gegenständen. Sie stellt ein perfektes Abbild der daoistischen Leitidee einer naturgemäßen Lebensführung dar. Danach besteht die ständige Aufgabe des Menschen darin, eine gelungene Balance zwischen den dynamisch veränderlichen, polaren Kräften aufrechtzuerhalten, in die er eingebunden ist. Dabei ist ein wesentlicher Grundzug der chinesischen Kultur das Vertrauen in die Natur und die dort sich zeigende Ordnung, der der Mensch selbst angehört.

Zwischen der Bewegung und der Ruhe, stark und weich, körperlich und seelisch auszubalancieren, vom Äußeren zum Inneren, von außen nach innen und von der Oberfläche zum Kern vorzudringen, ist ein wesentliches Merkmal der chinesischen Bewegung. Von sichtbar nach unsichtbar erreicht man die verdichtete Sublimation des Lebens und die optimale Persönlichkeit. Traditionelle chinesische Bewegung schenkt der körperlichen Entwicklung wenig Aufmerksamkeit, z.B. schönem Aussehen, starkem Körper, Muskulatur etc. sondern sie beschäftigt sich mit Erholung, Entspannung, mit gesunder Lebensführung, Prävention, Rehabilitation und Verlängerung des Lebens. Diese Abläufe und Vorgänge achten und zielen in besonderer Weise auf das "Selbst". Leben im umfassendsten Sinne ist die wesentliche Zielsetzung der traditionellen chinesischen Bewegung.


Literatur bei den Autoren.


Dr. Yongxian Li, geboren 1971, studierte im Bachelorstudiengang Sportpädagogik und im Masterstudiengang Sportpädagogik und Training an der Shenyang Sport University in China. 2007 schloss er sein Promotionsstudium an der Deutschen Sporthochschule Köln ab, wo er im Jahr 2008 als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Olympische Studien (OSC) tätig war. Zurzeit arbeitet er an der Shanghai University of Sport. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen Alter, Gesundheit und Sport, Lebensstil und Freizeitsport.

E-Mail: lyx128@hotmail.com


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln
Nr. 1/2009 (14. Jahrgang), Seite 38-41
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
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F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009