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AUSLAND/1582: Pakistan - Die nächste Katastrophe ... Armut, Krankheit und Hunger (medico international)


medico international - August 2010

Pakistan - Die nächste Katastrophe: Armut, Krankheit und Hunger

Interview mit Dr. Tanveer Ahmed, Geschäftsführer von HANDS

Von Bernd Eichner


Hätte die Katastrophe, die der Flut folgte, vermieden werden können?

Dr. Tanveer: Ich glaube nicht, dass die Katastrophe komplett hätte vermieden werden können, aber man hätte das Ausmaß reduzieren können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Auf der einen Seite haben wir es mit den stärksten Regenfällen seit der Aufzeichnung der Regenmengen. Auf der anderen Seite hängt das enorme Ausmaß der Zerstörung sicherlich mit unserem schlechten Bewässerungssystem und Hochwasserschutz zusammen. Das System befindet sich in einem grauenhaften Zustand. Wir haben zu wenig Dämme und Stauanlagen, die Wasser speichern können. Sie sind schnell überfordert von solchen Wassermengen und werden deshalb undicht und nahe gelegene Dörfer werden überflutet. Ein besserer Hochwasserschutz hätte hier womöglich 50 % der Zerstörung verhindern können. Aber das ganze Ausmaß der Naturkatastrophe hätte nicht verhindert werden können.


Was für ein Land wird Pakistan nach dieser Katastrophe sein?

Es ist wirklich ein sehr tragisches Unglück. Betroffen sind Millionen von Menschen. Ein Terrain von ca. 2000 Kilometer Länge entlang des Indus ist überflutet. Dazu gehören die Provinzen Sindh und Punjab. Das sind die fruchtbarsten Regionen des Landes. Nun aber ist der Boden wegen der Flut vorerst nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar. Und auch in Zukunft wird die Ernte - vor allen Dingen Reis - aus diesem Gebiet eher mager ausfallen. Wir gehen davon aus, dass die Armut in Pakistan um ein Drittel zunehmen wird. Mit den steigenden Nahrungsmittelpreisen wird auch auch die Unterernährung zunehmen. Sich ausbreitenden Krankheiten werden zu höherer Sterblichkeit bei Kindern und Frauen führen. Betroffen sind auch das Gesundheits- und das Bildungssystem, viele Einrichtungen wurden zerstört. Wir erwarten einen Anstieg der Analphabetenrate. Zu befürchten ist dass Bildungsangebote und die Alphabetisierung der Armen ausgesetzt werden. Die Absicherung des Gesundheitssystems ist nicht mehr gewährleistet, was wiederum lässt die allgemeine Sterblichkeitsrate ansteigen. Eine weitere Katastrophe besteht darin, dass große Teile des Viehbestandes sterben werden. Das stellt aber die Lebensgrundlage der Menschen in der Region dar. ca 50% der Tiere werden nicht überleben, nicht nur aufgrund fehlender Nahrung, sondern auch, weil ihre Besitzer unter die Armutsgrenze fallen werden. Die Armut wird tatsächlich sehr stark ansteigen und damit auch Ausbeutung, politische und häusliche Gewalt gegenüber Frauen. Es ist auch zu erwarten, dass die Kriminalität ansteigen wird.


Immer wieder werden Befürchtungen geäußert, Islamisten könnten die Katastrophe ausnutzen, um ihren Einfluss zu vergrößern. Teilen Sie diese Befürchtung?

Nicht nur Fundamentalisten, sondern auch Kriminelle nutzen die Situation aus. Diese Gruppierungen profitieren immer von fehlender Bildung, Armut und Krankheiten. Da wir hier mit all diesen Missständen konfrontiert sind, können wir davon ausgehen, dass auch Fundamentalisten versuchen werden ihre Chance zu nutzen. Insbesondere bei jungen Menschen. Unsere Jugend hat wenig Perspektiven, kaum Möglichkeiten ihre Produktivität zu entfalten. Daher müssen wir unsere Jugend unterstützen, sie aus der Armut führen, ihr eine Perspektive geben.


Uns sind keine islamistischen Camps im Sindh aufgefallen.

Glücklicherweise sind die Fundamentalisten hier nicht sehr aktiv. Sindh ist von diesem Problem nicht stark betroffen. Aber wenn Sie in den Norden Pakistans gehen, werden Sie feststellen, dass Fundamentalisten viel Einfluss haben und sehr aktiv an den Hilfsaktivitäten beteiligt sind.


Dafür haben wir ein "Pepsi camp" gesehen, bei einer Fabrik in der Nähe der Brücke?

Das hier ansässige Pepsi-Werk hat im Rahmen seines Programmes von Corporate Social Responsibility Mittel für Flüchtlinge bereit gestellt.


Man könnte den Eindruck haben, dass es hier vor allen Dingen um Produktwerbung geht?

Sie nutzen das zu Werbezwecken. Das ist der Situation nicht angemessen.


Immer wieder kommt es zu Protesten der Flüchtlinge gegen die Regierung. Hat die Regierung versagt?

Auch die Regierungskapazitäten sind mit diesem Ausmaß überfordert. Aber das Hauptproblem ist die Korruption. Die Regierung erhält sehr wenig finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, weil befürchtet wird, das Geld könne in falschen Kanälen landen.


Sind Sie in ihrer Arbeit mit Korruption konfrontiert?

Bisher nicht. Wir erhalten zwar keine finanzielle Unterstützung durch die Regierung, aber die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Wir bekommen alles, was wir zur Versorgung der Flüchtlinge brauchen, nur kein Geld. Die Regierung hat immer noch die beste Infrastruktur, sie ist die wichtigste Institution im Lande. Ihre Aufgabe wäre es eigentlich, die Aktivitäten zu leiten zu koordinieren. Aber das tut sie nicht.


Wie beurteilen sie die Arbeit der großen internationalen Hilfsorganisationen, der UNO?

Die internationalen Organisationen werden ihren Aufgaben nicht gerecht. Sie entfalten aus meiner Sicht nicht die umfangreichen Aktivitäten, zu denen sie beim Tsunami oder dem Erdbeben in Haiti in der Lage waren. Dafür mag es viele Gründe geben. Einer davon war sicher, dass es sehr lange dauerte, bis finanzielle Zusagen der internationalen Geber in entsprechender Höhe zustande kamen. Ich halte das für fatal, da wir mit einer Katastrophe von enormen Ausmaßen konfrontiert sind und enorme Anstrengungen erbracht werden müssen. Das bringt die Demokratie in unserem Land in Gefahr, eben weil Fundamentalisten die Situation ausnutzen.


Nun überbieten sich die Hilfsangebote: Indien bietet finanzielle Unterstützung an, die USA erhöhen ihren Hilfsobolus. Aber damit verbunden sind auch politische Interessen. Wird humanitäre Hilfe so zum Instrument von Geopolitik?

Es ist unglücklicherweise so, dass viele Akteure nicht den humanitären Aspekt sonder ihre geopolitischen Interessen in den Vordergrund stellen. Wenn man Hilfe so plant, läuft alles falsch. Ich appelliere an alle Geber und an alle Länder: Bitte planen Sie ihre Hilfsaktionen auf der Grundlage reiner humanitärer Notwendigkeiten und entscheiden Sie Ihre Strategien nicht nach geopolitischen Gesichtspunkten. Ihre Unterstützung sollte auf dem Mitgefühl mit dem pakistanischen Volk aufgebaut werden und nicht auf politischen Interessen.


Und wenn sich diese nicht durchsetzt?

Dann suchen sich die Menschen andere Partner, und wie Sie schon festgestellt haben, bieten die Taliban den Menschen ihre Unterstützung an.


Wie sieht Ihre langfristige Vision für Pakistan aus?

Ich sehe ein wohlhabendes, gesundes Pakistan. Pakistanische Kinder und Jugendliche haben das gleiche Recht auf Gesundheit und Bildung wie die Kinder und Jugendlichen in anderen Ländern. Ich bin durchaus optimistisch. In den letzten Jahren hat es viele Verbesserungen gegeben. Unsere Medien haben große Unabhängigkeit erreicht, ein Zeichen, das Optimismus wecken kann. Unsere Demokratie ist nicht perfekt, aber einige Schritte der gegenwärtigen Regierung stärken die Demokratie und werden langsam, Schritt für Schritt, zu mehr Wohlstand und mehr Demokratie führen.


Was sind die größten Hindernisse auf diesem Weg?

Das größte Problem ist die geostrategischen Lage Pakistans, weshalb viele Mächte in Pakistan interferieren. Pakistan grenzt an den Iran und der Iran hat Konflikte mit der größten Weltmacht den USA. Pakistan grenzt an Afghanistan, auch dort haben die USA Interessen. Und dann grenzt Pakistan an Indien, das sich in einem Wirtschaftskrieg mit China befindet. Pakistan ist internationales Kriegsgebiet, das ist ein riesiges Problem. Gewalt und Krieg ist keine Lösung. Stattdessen müssen wir reden und verhandeln.


Was ist die Rolle von HANDS in einem Prozess der Veränderung in Pakistan?

Wir setzten uns für ein wohlhabenderes und gesünderes Pakistan ein. Das ist eine langsame Revolution. Es leben fast 150 Millionen Menschen in Pakistan, sie wollen Wohlstand und das Recht auf Gesundheit, sie sind bereit sich für eine positive Entwicklung einzusetzen, das wird eine Veränderung bringen.


Eine letzte persönliche Frage: Wieviel Schlaf bekommen Sie während dieser Hilfsaktion?

(Er lacht) Nun ja, in den letzten 48 Stunden habe ich vielleicht 2,5 Stunden geschlafen.


Das Interview führte Bernd Eichner Ende August in Pakistan


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Quelle:
medico international - August 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010