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ARTIKEL/1063: Chaos um die Schweinegrippe-Schutzimpfung (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 33 vom 14. August 2009
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Chaos um die Schweinegrippe-Schutzimpfung

ISchGKVVLV oder ISchGKVKBV - das ist hier die Frage

Von Hans-Peter Brenner


Die seit Monaten mal mehr mal weniger heftig diskutierte Schweingrippe-Pandemie hat bislang in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern relativ glimpfliche Verlaufsformen angenommen. Zwar ist auch hier der quantitative Anstieg bemerkenswert - und nach Abschluss der Sommerferien-Periode und dem Beginn der kühleren Jahreszeit ist mit einem galoppierenden Anstieg zu rechnen -, aber die Zahl der Toten ist zu unser aller Glück noch niedrig. Anders sieht es bereits jetzt in einigen Staaten Lateinamerikas oder Asiens aus. Auch in den USA sind die Folgen heftiger als in den EU-Staaten. Ob dies aber so bleiben wird, oder um es zu Virus-Mutationen kommen wird, die dann viel ernsthaftere gesundheitliche Folgen haben werden, ist noch unklar.

Derweil beschäftigt die deutsche Gesundheitspolitik ein viel "wichtigeres" Thema.

Nicht etwa, dass es für Kinder noch überhaupt gar keinen Impfschutz gegen H1N1 gibt, was mehr als ein Skandal ist, sondern es geht um die erstaunlichen Kürzel "ISchGKVVLV" oder "ISchGKVKBV". Wer meint. er sei unter Legastheniker geraten oder Anhänger eines Geheimbundes, die sich mit nur ihnen verständlichen Formulierungen verständigen. sei hier aufgeklart: Es geht keineswegs um "Sonderlinge", die sich wie weiland die mittelalterlichen Theologen und Scholastiker wegen der Frage in die Haare kommen, ob auf einer Nadelspitze 130 000 oder 130 010 Engel Platz haben - und sich deshalb wechselseitig verdammten. Heute geht es um die Frage des schnöden Mammons nicht der "Seelen." Das ist ja auch viel handfester und praktischer.

"ISchGKVVLV" bedeutet "Influenzaschutzimpfung-GKV-Leistungspflichtverordnung" - wobei "GKV" meint "Gesetzliche Krankenversicherung". "ISchGKVKBV" bedeutet hingegen "Influenzaschutzimpfung-GKV-Kostenbeteiligungsverordnung".

Dahinter verbirgt sich die Frage, wer für den Hauptteil der auf 600 bis 700 Millionen Euro bezifferten Kosten der geplanten flächendeckenden Schutzimpfung aufkommen soll, die Krankenkassen - also die Versichertengemeinschaft - oder die Bundesländer bzw. die Kommunen.

Die Kassen erwarten allein wegen der Verwaltungskosten, die für die Information der Risikopatienten, der Schwangeren sowie des medizinischen Personals, der Mitarbeiter von Polizei und Feuerwehren anfallen, die vorrangig geimpft werden sollen, Kosten von 125 Millionen Euro. Sie erklären sich auch dazu bereit und auch zur Kostenübernahme für den Impfstoff und weitere "Sachleistungen" wie Spritzen und Tupfer, nicht aber für die Impfung selbst.

Denn das würde nach Meinung der Kassen eine Größenordnung erreichen, die mit den zur Verfügung gestellten Mitteln aus dem neuen zentralen Gesundheitsfonds nicht zu schultern wäre. Entweder, so die Kassen, müssten sie dann die Beiträge je nach Kassenart individuell um (theoretisch) bis zu monatlich 36,75 Euro anheben dürfen oder der allgemeine Beitragssatz müsste vorzeitig auf 14,9 Prozent angehoben werden. Das lehnt das Berliner Gesundheitsministerium (bisher noch) ab und verweist auf die nach seiner Meinung ausreichenden Finanzpolster der Kassen. Die hingegen kontern mit dem zu wartenden Einbruch der Beschäftigtenzahlen und damit mit dem zu erwartenden tiefen Einschnitt im Beitragsaufkommen in 2010.

Und dann ist da noch der nächste wunde Punkt. Es wird heftig darüber gestritten, wer die Impfaktionen durchführen soll bzw. darf. Die niedergelassenen Hausärzte oder die Gesundheitsämter. Das wiederum berührt natürlich dann die Thematik der Ärztehonorare. Werden für diese nicht vorhergesehenen Leistungen die Honorartöpfe der ambulant tätigen Ärzteschaft herangezogen - was dann zu neuen Umverteilungskämpfen zwischen den verschiedenen Ärztegruppen führen würde. Werden dann zu Ungunsten der Fachärzte diese nicht einkalkulierten Ausgaben dann aus dem Fachärzte-Honorartopf umgeleitet zu den Hausärzten oder werden dafür neue Mittel zur Verfügung gestellt? Dies alles ist nicht geklärt. Und derweil bekommen Patienten die ersten Rechnungen zugestellt. Eine Impfung kostet ca. 102 Euro; das kann für eine Familie richtig teuer werden.

Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte, so sagt der Volksmund. Und der hat dieses Mal auch Recht. Gewinner wird auf jeden Fall die Pharma-Industrie sein. Wie die "Süddeutsche Zeitung" vom 5. August meldet, kommt wenigstens eine Branche "gesund durch den Abschwung". Es heißt dort weiter: "Nach den USA haben auch in Deutschland die Konsumenten in der Krise angefangen zu sparen, die Umsätze im Einzelhandel sind zuletzt gesunken. Davon kaum beeinflusst bleibt die Arzneimittelindustrie. Die stabilen Halbjahresergebnisse der große Pharmakonzerne zeigen, dass die Menschen an ihrer Gesundheit als letztes oder gar nicht sparen. Davon profitieren auch die wichtigsten deutschen Arzneimittelfirmen."

So legte jetzt der Pharmakonzern Fresenius für das erste Halbjahr 2009 eine "glänzende Bilanz" vor. Auf 6,9 Milliarden ist der Halbjahresumsatz gestiegen, das entspricht einem Plus von 21 Prozent. Auch das Konzernergebnis legte zweistellig zu, sowohl im gesamten Halbjahr als auch im zweiten Quartal. Insbesondere die US-amerikanische Konzerntochter Fresenius Medical Care (FMC) trumpft gewaltig auf. FMC betreibt weltweit 190.000 Patienten mit chronischem Nierenversagen, Schwerpunkt ist dabei der US-Binnen"markt".

Pharmafirmen bilden insgesamt die "rentabelste Industrie weltweit". Im ersten Halbjahr 2009 haben die Top-20-Pharmakonzerne - aus Deutschland neben Bayer u. a. auch der Boehringer-Konzern - eine durchschnittliche operative Marge von 24 Prozent erzielt. Fresenius liegt mit 25 % noch darüber. Sein "operativer cash-flow" stieg in diesem Zeitraum auf 600 Millionen.

Hamlets Rätsel gelöst!

Lakonisch - aber bezeichnend - heißt es dann in dem Bericht weiter: "Dadurch sind die Bargeldbestände bei vielen Herstellern wie Novartis und Roche kräftig angeschwollen; das ermöglicht auch in Krisenzeiten und bei drohender Kreditklemme milliardenschwere Übernahmen von Wettbewerbern."

Damit wird so ganz nebenbei eine historische Frage beantwortet, die Generationen von psychologisch interessierten Theaterbesuchern gequält hat.

Warum hat Shakespeares Dänenprinz Hamlet eigentlich so eine melancholische Ausstrahlung?

Seine Frage vom "Sein oder Nichtsein" ist doch eigentlich kein Grund zum Trübsinn. Entweder "et iss wie et iss" - so "der Rheinländer" - und dann braucht man auch keine Melancholie oder Hamlet grübelte über etwas ganz anderes nach.

Ich denke, jetzt ist das Rätsel gelöst.

Hamlet sinnierte in Wahrheit gar nicht nur dieser einen Frage nach, sondern gleich über drei: über "ISchGKVVLV" und "ISchGKVKBV" und darüber, wie man "gesund durch den Abschwung" kommen kann.

Für ihn war das eine Überforderung und deshalb musste er damals auch trübsinnig werden. Aber heutzutage ist das alles überhaupt nicht mehr "die Frage".

Siehe Bayer, siehe Boehringer, siehe Fresenius.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 33
14. August 2009, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009

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