Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


ARTIKEL/1097: Gesundheitsversorgung für Illegalisierte in Schleswig-Holstein (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Gesundheitsversorgung für Illegalisierte in Schleswig-Holstein
Wer ist "illegal"? Kein Mensch ist illegal!

Von Enno Schöning


In Deutschland leben zwischen einer halben und einer Million Menschen ohne Papiere. Auch sie haben im Falle einer Erkrankung oder eines Unfalls ein Recht auf medizinische Versorgung - in der Praxis treten jedoch große Probleme auf. Um zwischen ÄrztInnen und Illegalisierten zu vermitteln, gibt es in einigen Städten "Medibüros". Auch in Kiel wird die Gründung einer solchen Anlaufstelle diskutiert.

Als "illegal" werden Menschen bezeichnet, die sich ohne Aufenthaltsstatus (auch ohne Duldung) in einem Land aufhalten. Dazu kommt es aus verschiedenen Gründen: Für viele MigrantInnen ist es nahezu unmöglich, auf legalem Weg nach Deutschland zu fliehen, einzureisen oder einzuwandern. So bleibt für sie nur noch die "illegale" Einreise über die "grüne" oder "blaue Grenze", die nicht selten mit tödlichen Gefahren verbunden ist. Andere Menschen reisen mit einem Visum ein, ändern im Laufe ihres Aufenthaltes ihre Pläne und bleiben nach Ablauf des Visums längerfristig ohne legalen Aufenthaltsstatus. Einige AsylbewerberInnen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, versuchen durch ein "Abtauchen" in die Illegalität einer drohenden Abschiebung zu entkommen. In die Illegalität zu gehen bzw. "illegal einzureisen" ist in der Regel auf der restriktiven Asylpolitik und der hermetischen Abschottung der Festung Europas begründet.

Nach verschiedenen Schätzungen leben zwischen 500.000 und einer Million Menschen "ohne Papiere" in Deutschland. Sie leben, arbeiten, wohnen und lernen mitten unter uns, und dennoch glauben die meisten Menschen, keine "Illegalen" zu kennen.

Illegalisierte betreuen alte Menschen, arbeiten auf Baustellen, in Gaststätten, Baumschulen und Gärten oder putzen in vielen Haushalten - in der Regel zu Dumpinglöhnen, die manchmal von ArbeitgeberInnen auch einfach einbehalten werden. Ihr Alltag ist geprägt von der allgegenwärtigen Angst vor Entdeckung und möglicher Abschiebung. Dadurch erhalten Ereignisse wie Lohnprellerei, horrende Mietforderungen, seelische und körperliche Gewalt, Krankheit, aber auch Geburten sowie der Zugang zu Bildung für Illegalisierte eine existenzielle Bedeutung. Ohne Zugang zu - für uns selbstverständlichen - Rechten und Hilfen bleiben Menschen ohne legalen Aufenthaltstatus auf ihre privaten Netzwerke und die Unterstützung von solidarisch gesinnten Menschen angewiesen.

"Krankheit fragt nicht nach dem Ausweis"

So stellt beispielsweise eine Lungenentzündung für Illegalisierte eine tödliche Gefahr dar. Zwar haben auch Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus im Falle einer akuten bzw. schmerzhaften Erkrankung ein Anrecht auf medizinische Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dafür müssten sie zuerst beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen - doch die Sozialämter sind gesetzlich (§ 87 AufenthG) zur Meldung des illegalen Aufenthalts und zur Übermittlung der Daten an die Ausländerbehörden verpflichtet.

Diese Übermittlungspflicht gilt nicht für ÄrztInnen und Krankenhäuser - das ist jedoch auf Seite der ÄrztInnen und der Krankenhausverwaltung noch nicht ausreichend bekannt, es bestehen weiterhin große Unsicherheiten. Auch Menschen, die hier ohne Papiere leben, zögern eine Behandlung aus Angst vor Aufdeckung so lange hinaus, bis sie absolut unumgänglich wird - und die Krankheit vielleicht schon chronisch geworden und entsprechend aufwendiger zu behandeln ist. Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz, die im Oktober 2009 beschlossen wurden, beinhalten eine Klarstellung: Für medizinisches Personal gilt generell die ärztliche Schweigepflicht. Informationen über den illegalen Aufenthalt dürfen nicht an Ausländerbehörde oder Polizei weitergeleitet werden. Dieses Übermittlungsverbot erstreckt sich gleichermaßen auf das Verwaltungspersonal in (auch staatlichen) Krankenhäusern und Praxen.

Die Frage der Finanzierung bleibt offen: ohne Weiterleitung personenbezogener Daten werden die Behandlungskosten weder den Arztpraxen noch den Krankenhäuser vom Sozialamt erstattet. Während sie also einerseits zur Behandlung zumindest in Notfällen verpflichtet sind (unterlassene Hilfeleistung ist strafbar), gehen sie damit andererseits privat finanzielle Risiken ein. Es geht hier nicht nur um unbezahlte Arbeitszeit: auch Arznei- und Materialkosten bzw. die Kosten bestimmter Untersuchungen sind zu decken.

Eine Lösung könnte das Modell des "anonymen Krankenscheins" darstellen, wie u.a. das "Netzwerk für Illegalisierte in Schleswig-Holstein - NISCHE" - bereits vor einigen Jahren gefordert hat. Doch solange eine solche Lösung noch nicht existiert, haben Gruppen und Einzelpersonen in den letzten zehn Jahren beschlossen, aktiv zu werden und Anlaufstellen für Menschen ohne Papiere zu schaffen. Etwa zwanzig "Medibüros" gibt es mittlerweile in Deutschland, meist in größeren Städten. Sie beraten ehrenamtlich, organisieren, wenn möglich, eine Vermittlung in ärztliche Behandlung und sammeln Spenden für Medikamente und aufwendigere Behandlungen. Gleichzeitig verbreiten sie Informationen über den Zugang zu Gesundheitsversorgung unter Illegalisierten und informieren ÄrztInnen. Doch die humanitäre Arbeit ist für die MedibürolerInnen immer auch eine politische. So erklärt das Hamburger Medibüro in seinem Selbstverständnis:

"Der Staat ist in der Pflicht, die gesundheitliche Versorgung von allen Menschen gleichberechtigt zu gewährleisten. Es ist nicht hinzunehmen und zu leisten, dass zivilgesellschaftliche Initiativen und Ärztinnen und Ärzte mit Hilfe von Spenden diese medizinische Versorgung tragen. Unsere praktische Arbeit ist keine Lösung, sondern ein notwendiges Provisorium in einer inakzeptablen Situation."

Medi-Projekt - bald auch in Schleswig-Holstein?

In Schleswig-Holstein gibt es bisher keine solche Anlaufstellen zur medizinischen Versorgung für Illegalisierte - auch wenn das Netzwerk NISCHE das Problem der Gesundheitsversorgung bereits in früheren Jahren thematisiert hat. Um die medizinische Versorgung für Illegalisierte wieder in den Blickpunkt zu rücken und die Möglichkeit eines Medibüros für Schleswig-Holstein zu diskutieren, veranstalteten der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, die ZBBS (Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für MigrantInnen) und der Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, im Rahmen der interkulturellen Woche in Kiel einen Informationsabend zur "Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere".

Schwerpunkt der Veranstaltung bildete der Bericht zweier Mitarbeiter des Berliner Medibüros über den Aufbau, die praktische Umsetzung und die Schwierigkeiten eines solchen Projektes. Erfreulicherweise stieß das Thema auf großes Interesse: zur Veranstaltung in die ZBBS kamen etwa 45 Menschen, von denen viele motiviert waren, sich an der Gründung eines "Mediprojekts" zu beteiligen. Es hat sich nun eine Gruppe gefunden, die über die Diskussion verschiedener Themen (z.B. rechtliche Situation und zur politischen Einordnung eines solchen Projektes) in den nächsten Wochen ausloten wird, ob und wie sie ein Medi-Büro in Schleswig-Holstein aufbauen können.

Enno Schöning studiert an der FH Kiel und ist im Praxissemester beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

Interessierte am Medi-Projekt in Schleswig-Holstein können sich melden bei:
Johanna Boettcher
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
office@frsh.de
Tel.: 0431 / 735 000
Mona Golla
Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle (ZBBS)
info@zbbs.de
Tel.: 0431 / 200 1150

*

Quelle:
Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009, Seite 15-16
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/73 50 00, Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm
 
Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
Nichtmitglieder können ihn für 18,00 Euro jährlich
abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2010

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang