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ARTIKEL/113: Gestresst, erschöpft, blockiert - Hilfe gegen Burnout (Securvital)


Securvital 4/2012 - Oktober-Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Hilfe gegen Burnout
Gestresst, erschöpft, blockiert

Von Norbert Schnorbach


Ab wann macht Stress krank? Was tun, wenn man am Ende ist und es einfach nicht mehr geht? Und wie schützt man sich davor?


Burnout ist ein vieldeutiger Begriff. Viele fürchten sich davor. Hunderttausende leiden darunter. Aber ob es eine genau definierte Krankheit, eine Summe von Symptomen oder eine in Mode gekommene Erklärung für die verschiedensten Erschöpfungszustände ist, bleibt unklar. Während die Medien jede Menge prominenter Fälle präsentieren, diskutieren die Fachleute noch über eine Definition des Syndroms, das Manager genauso trifft wie stressgeplagte Krankenschwestern, Lehrer oder Fußballer.

Einer, der einen sehr klaren Blick auf das Phänomen Burnout hat, ist der Schweizer Psychotherapeut Horst Kraemer. "Burnout ist ein Modebegriff, der mir nicht gefällt", meint Kraemer. "Genauso wie das Bild vom abgebrannten Streichholz suggeriert er, dass der Mensch ab- und ausgebrannt ist, dass kein Brennstoff mehr da ist." Das aber sei ein falscher Ansatz, der die Regenerationsfähigkeit des Menschen ausblende. Was landläufig Burnout genannt werde, sei vielmehr ein neurobiologischer Ausnahmezustand als akute Folge von hochgradigem Stress.


Überlebensmodus

"Wenn beim mehrstufigen Stressempfinden die aktuelle Belastung zu hoch steigt, dann setzt im Gehirn eine sogenannte Neurofragmentierung ein", meint Kraemer. Dann tritt ein mentaler Knock-out-Zustand ein, als wären elektrische Schaltkreise kurzgeschlossen, wie eine Zwangspause für den Organismus. Die Informationsverarbeitung spielt verrückt, das gewohnte Urteilsvermögen ist gestört, die Emotionen liegen auf Eis, die Entscheidungsfähigkeit ist getrübt - so als würde das Gehirn blockieren und in eine Art reduzierten Überlebensmodus umschalten.

"In dieser akuten Stresssituation braucht der Betroffene schnelle Hilfe, nicht aber langwierige therapeutische Behandlungen", meint der Coaching-Experte. Die neurologische Blockade müsse aufgelöst werden, um jemanden erfolgreich zu behandeln. Mit der geeigneten Methode sei es machbar, die mentale Fitness innerhalb weniger Tage wieder zu erlangen. "Es gibt keinen Grund, länger als fünf Tage außer seiner Kraft zu bleiben", schreibt Kraemer in seinem Praxisbuch "Soforthilfe bei Stress und Burnout". Wer dann wieder seine gewohnte Kraft und einen klaren Kopf hat, kann selbst die Schritte gehen, um dem Sog der Überforderung zu widerstehen.

Mit dem von ihm entwickelten Coaching-Konzept der Neuroimagination spricht Kraemer vor allem diejenigen Persönlichkeiten an, die ihre Stressfolgen selbst aktiv überwinden wollen. Mit einer Kombination von Atemtechnik, Stimulation beider Gehirnhälften, Entspannung und dem Steuern innerer Bilder (Imagination) beginnt das Anti-Stress-Training. So könnten die Opfer einer hochgradigen Stress-Attacke lernen, wieder gesund zu werden und Konsequenzen aus ihren Erfahrungen zu ziehen, sagt Kraemer.

"Die Blockade kann oft in wenigen Tagen behoben werden."
Horst Kraemer, Coach und Psychotherapeut

"Gerade leistungsgewohnte Menschen mit hoher Eigenkompetenz tragen viele Ressourcen in sich, die sie zur Bewältigung der Krise benötigen und dann auch einsetzen wollen und können", meint Kraemer. Zu seinem Angebot gehören Kurse und Beratungen für Unternehmen zum Thema Stressprävention und Burnout-Gefährdung (www.brainjoin.de). Das ist für Mitarbeiter und Personalabteilungen gleichermaßen interessant. Auch für Versicherungen, die für Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitation aufkommen müssen, ist es erfreulich, wenn Burnout-Betroffene ihre Stressfolgen in den Griff bekommen und zur Arbeit zurückkehren können.

Psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Sie zählen mittlerweile zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, und sie dauern oft besonders lang. Ein Siebtel aller Krankheitstage geht darauf zurück. Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen schätzt die direkten Versorgungskosten dafür auf knapp 30 Milliarden Euro jährlich. In der Krankheitsstatistik taucht Burnout besonders häufig in der Lebensmitte auf, während Depressionen eher ein Problem der Jüngeren ist. Die 40- bis 60-Jährigen sind besonders burnoutgefährdet, Frauen deutlich häufiger als Männer.

Die richtige Hilfe zu finden ist keineswegs einfach. Das gilt für akute Burnout-Fälle ebenso wie für langwierige Depressionen. "Nicht jeder, der sich ausgebrannt und erschöpft fühlt, ist auch im engeren Sinn psychisch krank und behandlungsbedürftig", meint der Münchener Psychiater Michael Welschehold. Für diese Menschen wäre in vielen Fällen eine konkrete Anleitung, die einen Weg aus der Erschöpfungsspirale zeigt, hilfreicher als eine langwierige Analyse.


Lange Wartezeiten

Viele psychotherapeutische Praxen und psychiatrische Kliniken sind bereits mit schweren Fällen von seelischen Erkrankungen ausgelastet und haben lange Wartezeiten von mehreren Monaten. Statt so lange nur zu warten, ist Eigenaktivität gefragt. "Entscheidend ist oft schon der Schritt, die Situation vertrauensvoll zu besprechen und die Perspektiven zu sortieren", meint Hans-Christian Hansen, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Psychiatrie in Neumünster.

In vielen Fällen hilft es Stressgeplagten schon, regelmäßig zu Joggen oder Tennis zu spielen und zu lernen, mit Yoga oder autogenem Training zu entspannen. Die Arbeits- und Lebensgewohnheiten und auch die Einstellungen sich selbst gegenüber müssen auf den Prüfstand, um die innere Balance wiederherzustellen und Überforderungen einzudämmen. Nicht ganz einfach für burnoutgefährdete Menschen, wenn sie einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst haben und zur Perfektion neigen. Aber notwendig, um sich aus einer krankmachenden Abwärtsspirale zu befreien.

Burnout sei "ein Prozess zwischen klar definierter Gesundheit und klar definierter Krankheit", sagt der Hamburger Psychiater Hans-Peter Unger in einem Spiegel-Interview. Die Menschen reagierten unterschiedlich: Manche "marschieren die ganze Erschöpfungsspirale durch bis zum Zusammenbruch". Anderen gelingt es, auf die Bremse zu treten, wenn sie die Warnzeichen rechtzeitig erkennen.


Bücher

• Angela. Gatterburg, Annette Großbongardt: Diagnose Burnout. Spiegel Buchverlag 2012, 288 Seiten, 14,99 EUR

• Horst Kraemer: Soforthilfe bei Stress und Burnout - das Praxisbuch. Kösel-Verlag 2012, 146 Seiten, 14,99 EUR.

• Annejet Rümke: Burnout-Sprechstunde. Verlag Urachhaus, 438 Seiten, 25 EUR

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Quelle:
Securvital 4/2012 - Oktober-Dezember, Seite 22 - 24
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2012

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