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FORSCHUNG/028: Neue Biomarker ermöglichen Vorhersage der Anfälligkeit für Tuberkulose (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 21. März 2011

INFEKTIONSBIOLOGIE
Bio-Signatur der Tuberkulose

Max-Planck-Forscher finden Biomarker, mit denen sie Tuberkulose-Patienten identifizieren können


Der Tuberkulose-Erreger ist hoch-infektiös, aber nicht sehr effektiv: Weltweit tragen rund 2 Milliarden Menschen das Bakterium Mycobacterium tuberculosis in sich, aber nur bei jedem Zehnten davon bricht die Krankheit nach der Infektion aus. Niemand weiß, wer erkrankt und wer nicht. Deshalb suchen Wissenschaftler nach biologischen Markern, mit denen sie die Anfälligkeit für Tuberkulose vorhersagen können. Forscher vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin haben nun mehrere Kandidaten für solche Biomarker entdeckt. Sie verglichen die Genaktivität zwischen Tuberkulose-Patienten und latent mit dem Erreger infizierten Menschen. Demnach kann eine Tuberkulose-Infektion die Aktivität von fast 2000 Genen des Menschen verändern. Darunter sind Gene, die die Aktivität des Immunsystem regulieren und das Selbstmord-Programm von Immunzellen steuern.

Eine Fresszelle, ein spezialisiertes weißes Blutkörperchen, ist im Begriff, Tuberkulose-Bakterien in sich einzuschließen und zu verdauen. Geschützt durch eine widerstandsfähige Zellwand können die Erreger jedoch in den Fresszellen jahrelang überleben. - © MPI für Infektionsbiologie/Volker Brinkmann

Eine Fresszelle, ein spezialisiertes weißes Blutkörperchen (grün), ist
im Begriff, Tuberkulose-Bakterien (orange) in sich einzuschließen und
zu verdauen. Geschützt durch eine besonders widerstandsfähige Zellwand
können die Erreger jedoch in den Fresszellen jahrelang überleben und
bei einer Schwächung des Immunsystems wieder freigesetzt werden.
© MPI für Infektionsbiologie/Volker Brinkmann

Bislang sind keine Biomarker bekannt, die den Verlauf einer Tuberkulose-Infektion anzeigen. "Dies ist einer der Gründe, warum die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe gegen Tuberkulose so schwierig ist", sagt Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Als Biomarker eignen sich Substanzen, die im Körper leicht nachweisbar sind. Die Max-Planck-Forscher haben deshalb Blutproben von Tuberkulose-infizierten und gesunden Menschen aus Südafrika analysiert und die Genaktivität der darin enthaltenden Blutzellen mittels RNA-Screening gemessen. Die Arbeiten mit Partnern aus Afrika, den USA und Europa werden von der Bill und Melinda Gates Stiftung unterstützt.

Im Vergleich zu latent infizierten Patienten unterscheiden sich bei erkrankten Tuberkulose-Patienten 1935 Gene in ihrer Aktivität. Die größten Unterschiede konnten die Berliner Forscher dabei beim Fc Gamma Rezeptor feststellen. Der Rezeptor sitzt auf der Oberfläche von Immunzellen und sorgt dafür, dass die Zellen Antikörper-beladene Bakterien erkennen und beseitigen können. Im Blut von erkrankten Tuberkulose-Patienten sind seine Werte deutlich höher als bei latent infizierten oder nicht infizierten Gesunden.

Ähnlich wie der Fc Gamma Rezeptor besitzen vier weitere Gene ein für latente Infektionen charakteristisches Aktivitätsprofil. Mit diesen fünf Biomarkern konnten die Forscher Tuberkulose-Patienten mit 94 prozentiger und latent infizierte Gesunde mit 97 prozentiger Sicherheit diagnostizieren. "Diese Gene bilden eine Art Signatur für Tuberkulose. Sie können künftig als Marker dafür dienen, ob ein Patient krank ist oder lediglich Tuberkulose-Bakterien in sich trägt, ohne krank zu sein. Langfristig möchten wir natürlich eine Signatur definieren, die eine Voraussage zulässt, ob ein latent infizierter Gesunder später an Tuberkulose erkranken wird oder nicht", hofft Stefan Kaufmann. Allerdings müssen die Kandidaten zuvor noch bei Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft getestet werden. Denn die Aktivität einzelner Gene kann sich bei Tuberkulose-Patienten anderer Abstammung unterscheiden. Allerdings hatte die Gruppe in früheren Untersuchungen ein ähnliches Muster bei Europäern festgestellt.

Die Analyse der Genaktivität zeigt zudem, dass nur ein Immunsystem im Gleichgewicht die Tuberkulose-Bakterien unter Kontrolle halten kann. Gerät das Immunsystem aus der Balance, wird aus einer latenten Tuberkulose-Infektion eine akute Erkrankung. So sind bei Tuberkulose-Patienten eine bestimmte Gruppe von Killerzellen sowie so genannte Apoptose-Gene weniger aktiv, die das Selbstmord-Programm von Zellen steuern. Möglicherweise entgehen die Erreger auf diese Weise der Vernichtung durch die Immunabwehr.
HR


Originalveröffentlichung
J Maertzdorf, D Repsilber, SK Parida, K Stanley, T Roberts, G Black, G Walzl and SHE Kaufmann
Human gene expression profiles of susceptibility and resistance in tuberculosis
Genes and Immunity (2011) 12, 15-22

Ansprechpartner

Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan H.E. Kaufmann
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
E-Mail: kaufmann@mpiib-berlin.mpg.de

Dr. Sabine Englich
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
E-Mail: englich@mpiib-berlin.mpg.de


HINTERGRUND

Wissenswertes zu Tuberkulose

Geschätzte 2 Milliarden Menschen sind mit Mycobacterium tuberculosis infiziert, von diesen erkrankt jeder Zehnte an Tuberkulose. Jedes Jahr sterben rund 2 Millionen Menschen daran. Die Bakterien werden ausgehustet und gelangen in mikroskopisch kleinen Tröpfchen in die Lunge. Dort werden sie von Fresszellen des Immunsystems aufgenommen. Dank eines raffinierten Mechanismus werden sie von den Immunzellen nicht verdaut, sondern verbleiben dauerhaft im Inneren der Zellen. So entkommen sie den Attacken des Immunsystems.

Tuberkulose-Bakterien in einer Fresszelle des Immunsystems. - © MPI für Infektionsbiologie

Tuberkulose-Bakterien (grün) in einer Fresszelle des Immunsystems.
Die Lysosomen, das Verdauungssystem der Zelle, sind rot, Lysosomen
mit Bestandteilen der Bakterien sind gelb gefärbt.
© MPI für Infektionsbiologie

Verschiedene Arten von Immunzellen bilden so genannte Granulome, in denen die Tuberkulose-Bakterien Jahre überdauern können (latente Infektion). Sie verfallen in einen inaktiven Dauerzustand mit verringertem Stoffwechsel und können deshalb vom Immunsystem nicht restlos beseitigt werden. So lange das Immunsystem die Erreger auf diese Weise in Schach hält, merken die latent infizierten Betroffenen nichts davon. Sie sind auch nicht infektiös. Ein geschwächtes Immunsystem kann die Infektion jedoch nicht mehr kontrollieren und die Erreger werden aus den Granulomen frei gesetzt. Der Infizierte wird krank und verbreitet die Keime.

Eine wichtige Rolle beim Ausbruch von Tuberkulose spielen andere Infektionen, die das Immunsystem in Anspruch nehmen oder schwächen. So ist die starke Zunahme von Tuberkulose-Patienten seit den 1980er Jahren auch eine Folge von HIV. Viele Tuberkulose-Patienten sind gleichzeitig auch HIV-Patienten. Tuberkulose ist inzwischen die häufigste Todesursache dieser Patienten. Auch Infektionen mit Wurmparasiten, wie sie gerade in ärmeren Ländern allgegenwärtig sind, können das Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen und so eine Tuberkulose begünstigen.

Ein weiterer Grund für die Ausbreitung der Tuberkulose ist der Mangel an Impfstoffen und die zunehmenden Resistenzen gegen die herkömmlichen Medikamente. Der einzige heute verfügbare Impfstoff schützt nur Neugeborene und Kinder und auch diese nur vor einem schweren Krankheitsverlauf. Dieser Impfschutz lässt zudem im Laufe der Jahre nach. Impfungen im Erwachsenenalter bieten überhaupt keinen Schutz. Die zwölf heute in klinischen Studien getesteten Impfstoff-Kandidaten sollen den jetzigen 90 Jahre alten Impfstoff entweder in seiner Wirksamkeit verstärken oder komplett ersetzen. Sie können eine Infektion zwar nicht unterbinden, aber den Ausbruch der Erkrankung verhindern.

Insgesamt gibt es heute über 20 Medikamente zur Behandlung von Tuberkulose, die medikamentöse Behandlung ist jedoch sehr aufwändig. Die Patienten müssen zunächst zwei Monate lang einen Cocktail aus vier Medikamenten einnehmen, gefolgt von zwei weiteren Medikamenten über vier bis sieben Monate hinweg.

Da dieses Schema oft nicht sorgfältig eingehalten oder vorzeitig abgebrochen wird, haben sich in den letzten Jahren immer mehr resistente Mycobacterium tuberculosis-Stämme entwickelt. Manche sind unempfindlich gegen die besten verfügbaren Medikamente und sprechen nur noch auf Wirkstoffe zweiter Wahl an, die jedoch stärkere Nebenwirkungen mit sich bringen. Andere können mit den verfügbaren Medikamenten nicht mehr behandelt werden.
HR


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 21. März 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2011