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FORSCHUNG/093: Wie der Tuberkulose-Erreger in der Lunge überlebt (idw)


Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung - 14.09.2011

Wie der Tuberkulose-Erreger in der Lunge überlebt

Ein vielseitiges Enzym macht Mykobakterien besonders gefährlich.


Manchmal ist es nur ein einziges Molekül, das den Unterschied zwischen einem harmlosen Keim und einem hoch gefährlichen Krankheitserreger ausmacht. Das Enzym Ag85A beispielsweise hat entscheidenden Anteil daran, dass der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis weltweit einer der größten bakteriellen "Killer" ist. Es produziert den sogenannten Cord-Faktor. Dieser sitzt auf der Oberfläche des Erregers und sorgt dafür, dass der Erreger in den Fresszellen der Lunge überleben und sich so vor dem Immunsystem verstecken kann.

Forscher des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) haben nun herausgefunden, dass Ag85A noch weit mehr zur Gefährlichkeit des Bakteriums beiträgt: Es stellt wichtige Speicherstoffe her, die ein jahrelanges Überleben des Erregers im Menschen ermöglichen. Die Ergebnisse veröffentlichte jetzt das Wissenschaftsmagazin "Molecular Microbiology" in seiner aktuellen Ausgabe.

Mehr als zwei Milliarden Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mit Tuberkulose infiziert. Etwa zwei Millionen Tote fordert die Krankheit jährlich. Vor allem in Afrika und Asien breiten sich viele neue gefährliche Stämme aus, die gegen die bekannten Antibiotika resistent sind. Solche Fälle sind nur sehr schwer zu behandeln. Oft kann den Patienten nicht mehr geholfen werden, da gegen viele Erregerstämme kein Medikament mehr wirkt.

Eine Vielzahl von Enzymen hilft dabei, die Zellwand des Tuberkuloserregers Mycobacterium tuberculosis aufzubauen. Ag85A gehört zu ihnen: Es verknüpft eine spezielle Fettsäure mit einem bestimmten Zucker - so entsteht der Cord-Faktor. Da Erreger ohne Cord-Faktor nicht mehr krankmachend sind, ist das Enzym Ag85A ein wichtiges Ziel in der Medikamentenforschung gegen Tuberkulose. "Ein Hemmstoff gegen dieses Enzym hat ein großes Potential für einen neuen Wirkstoff gegen Tuberkulose", sagt Matthias Stehr, Wissenschaftler in der Abteilung "Genregulierung und Differenzierung" am HZI. "Die Zellwand des Tuberkulose-Erregers ist eine der kompliziertesten und dicksten aller bekannten Bakterien", so Stehr.

Dies verhindere sehr effektiv, dass zum Beispiel Antibiotika dem Bakterium schaden könnten. Alternative Medikamente würden dringend gesucht. Um das Enzym näher zu charakterisieren, brachten die Forscher die genetische Information in eine harmlose Variante der Mykobakterien ein. "Die Zellwand der Bakterien wurde wie erwartet dicker", erklärt Matthias Stehr. Die eigentliche Überraschung war jedoch: Die Bakterien bildeten zusätzlich Fettspeicher. "Wir vermuten, dass Ag85A daran beteiligt ist, diese Reserven aufzubauen." Wenn die Wissenschaftler dagegen ein verändertes Ag85A verwendeten, das keine Fettsäuren mehr binden kann, unterblieb auch die Bildung der Fettspeicher.

Neu gefundene Mechanismen zeigen, dass das Enzym eine Reihe von Substanzen binden kann, von denen nicht bekannt war, dass sie mit Ag85A reagieren. "Wir müssen nun untersuchen, welche Reaktion genau in den Bakterien abläuft", sagt Stehr. "Dieses Wissen kann neue Ansätze für Medikamente, Therapien und Impfstoffe eröffnen - oder die Entwicklung neuer Schnelltests ermöglichen. Substanzen, die mit Ag85A reagieren, könnten beispielsweise künftig als Basis für neue Hemmstoffe gegen Tuberkulose verwendet werden."


Originalartikel:
The Mycobacterium tuberculosis Ag85A is a novel diacylglycerol acyltransferase involved in lipid body formation.
Elamin AA, Stehr M, Spallek R, Rohde M, Singh M. Mol
Microbiol. 2011 Aug 8.
doi: 10.1111/j.1365-2958.2011.07792.x. [Epub ahead of print]

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig ist eine von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen gemeinsam finanzierte Forschungseinrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Aufgabe des Zentrums ist es, biomedizinische Forschung auf dem Gebiet der Infektionsbiologie sowie deren klinische Anwendung und praktische Umsetzung zu betreiben.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Dr. Bastian Dornbach, 14.09.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011