Universität Luxemburg / Université du Luxembourg - 22.12.2015
Seltene Krankheiten: Spontanmutation führt zu Fanconi-Anämie
Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Beteiligung des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg hat eine bisher unbekannte Ursache der Fanconi-Anämie identifiziert: eine Spontan-Mutation in einem als RAD51 bezeichneten Gen, das für die DNA-Reparatur zuständig ist. Die Fanconi-Anämie (FA) ist eine seltene Erkrankung, die mit einer chromosomalen Instabilität verbunden ist und die bei einem von ungefähr 350.000 Neugeborenen auftritt. Die Betroffenen haben eine erhöhte Anfälligkeit für ein Versagen des Knochenmarks, Leukämie und verschiedene Tumorarten; ihre Lebenserwartung ist deutlich reduziert.
Die Wissenschaftler des "Institute of Systems Biology" (ISB) in Seattle (USA), des "Free University Medical Center" in Amsterdam (VUMC) und des LCSB haben ihre Ergebnisse, die sie in Zusammenarbeit mit etlichen weiteren Institutionen in den USA und in Europa erarbeitet haben, gerade im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht (DOI: 10.1038/ncomms9829).
Für ihre Untersuchungen setzten die Wissenschaftler modernste Sequenzierungsmethoden für das Gesamtgenom sowie weitere zell- und molekularbiologische Techniken ein. "So konnten wir die Mutation im RAD51-Gen identifizieren", sagt Dr. Patrick May von der Forschungsgruppe "Bioinformatics Core" am LCSB der Universität Luxemburg und eine der treibenden Kräfte dieses Forschungsprojekts. RAD51 ist wichtig für die Reparatur von Fehlern an der DNA, die unweigerlich bei der Zellteilung auftreten.
Das Team gewann seine Erkenntnisse bei der Untersuchung eines Kindes, das von der Fanconi-Anämie betroffen ist, dabei aber gesunde Eltern und eine gesunde Schwester hat. "Die Mutation bei dem Patienten war für uns eine Überraschung", sagt Patrick May. "Sie trat nämlich in nur einer der zwei Ausfertigungen des Gens auf, die jeder Mensch in seinen Zellen trägt. Zugleich war keines der RAD51-Gene bei den Eltern von der Mutation betroffen." Die Schlussfolgerung der Forscher: Der untersuchte Patient ist Träger einer nicht vererbten, sondern einer neu entstandenen Mutation - einer Spontanmutation - im RAD51-Gen. Bis zu diesem Fall war der Stand der Forschung, dass Mutationen, die zur Fanconi-Anämie führen, einem rezessiven Vererbungsgang folgen und deshalb von jedem Elternteil mutierte RAD51-Gene weitergegeben werden müssen. Spontanmutationen wie in diesem Fall wurden bisher nicht beobachtet. "Die Folge der Mutation des RAD51-Gens ist, dass das Protein mit der veränderten Aminosäuresequenz die Aktivität des ebenfalls vorhandenen unveränderten Proteins stört", sagt May. "So kommt es, dass das Kind an der Fanconi-Anämie erkrankt, obwohl die Eltern nicht Träger der Mutation sind."
Das Ergebnis hat Konsequenzen für die genetische Beratung von Familien mit erhöhtem FA-Risiko: Bisher werden Menschen, die Eltern werden wollen und die Verwandte mit Fanconi-Anämie haben, nur daraufhin untersucht, ob eines von 17 Genen, die mit der Erkrankung in Verbindung gebracht werden, eine Mutation zeigt. Das Risiko, ein krankes Baby zu bekommen, muss für diese Personengruppe nun neu berechnet werden. "Darüber hinaus gibt uns das Verständnis der Mutation auch Einblicke, wie das Genprodukt von RAD51 die DNA schützt und wie Störungen bei der DNA-Reparatur zu Leukämie und Tumoren führen können", sagt Patrick May: "Kenntnisse über die Entstehung menschlicher Krebsarten werden uns helfen, diese Erkrankungen besser und früher zu diagnostizieren und bessere Therapien zu entwickeln. Außerdem können wir eine bisher als schwach angesehene Verbindung zwischen Fanconi-Anämie, geistiger Retardation und Neuroentwicklung stärken. Daran sind Gene des DNA-Reparaturkomplexes beteiligt, die eine Relevanz für die Fanconi-Anämie haben. Ähnliches ist bereits für das Brustkrebs-Gen BRCA1 gezeigt worden."
Die Forschungsarbeit wurde organisiert und gefördert im Rahmen der
Kollaboration von ISB und LCSB sowie vom VUMC mit Unterstützung weiterer
Institutionen und Universitäten in den USA und Europa.
• Über das ISB:
Das ISB ist eine nicht-gewinnorientierte, biomedizinische
Forschungseinrichtung in Seattle, Washington (USA). Es wurde im Jahr 2000
vom Systembiologen Leroy Hood, dem Immunologen Alan Aderem und dem
Proteinchemiker Ruedi Aebersold gegründet. Der Gründung des ISB liegt die
Überzeugung zugrunde, dass konventionelle Modelle der Forschung und der
Forschungsfinanzierung nicht den wissenschaftlichen Potenzialen
entsprechen, die heute gegeben sind. Das ISB ist die ultimative Umgebung,
in der wissenschaftliche Zusammenarbeit disziplinenübergreifend
stattfindet, wo Wissenschaftler den intellektuellen Freiraum haben, den
Status-quo anzugreifen, und wo große Visionen, wie man Durchbrüche für die
menschliche Gesundheit erreichen kann, ein Kollektiv dazu inspirieren, das
scheinbar Unmögliche zu erreichen. Seit dem Jahr 2000 ist das ISB auf 200
Mitarbeiter mit neun Fakultätsmitgliedern und Arbeitsgruppen angewachsen.
Mehr unter
www.systemsbiology.org
Über das LCSB:
Das LCSB entwickelt und wendet Ansätze auf der System-Ebene
an, um Einblicke in molekulare und zelluläre Mechanismen menschlicher
Krankheiten zu gewinnen. Experimente und computerbasierte Ansätze werden
kombiniert, um die Komplexität biologischer Systeme zu analysieren, die
der Krankheitsentstehung zugrunde liegen. Das LCSB ebnet den Weg für eine
prädiktive, präventive und personalisierte Medizin. Neurodegenerative
Krankheiten, insbesondere die Parkinson-Krankheit, stehen im Mittelpunkt
der Aktivitäten des LCSB. Mehr unter
www.uni.lu/lcsb
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.nature.com/ncomms/2015/151218/ncomms9829/full/ncomms9829.html
Link zur Publikation
http://www.uni.lu/lcsb
Link zum Luxembourg Centre for Systems Biomedicine
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1085
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Luxemburg - Université du Luxembourg, Britta Schlüter, 22.12.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2015
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