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KREBS/911: Der Krebsinformationsdienst - "Das Telefon ist eigentlich unschlagbar" (einblick - DKFZ)


"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ausgabe 1/2011

"Das Telefon ist eigentlich unschlagbar"

Wo steht der KID, wohin steuert er? Ein Gespräch


Was finden die Patienten beim Krebsinformationsdienst (KID), was sie anderswo nicht finden? Wie trägt der Dienst zu einer modernen Krebsmedizin bei - heute und in Zukunft? einblick sprach mit Dr. Regine Hagmann, der Leiterin des KID, und Professor Otmar D. Wiestler, dem Vorstandsvorsitzenden des DKFZ.


einblick: Herr Wiestler, wie wichtig ist heute Information für Krebspatienten? Kann der informierte Patient dazu beitragen, gut behandelt zu werden?

Wiestler: Ich glaube, er muss dazu beitragen. Je weiter sich die Krebsmedizin entwickelt, desto schwieriger werden die Entscheidungen, die der Arzt und der Patient in bestimmten Phasen der Erkrankung treffen müssen. Und umso wichtiger wird es, dass der Patient darüber Bescheid weiß, um welche Befunde es geht, welche Alternativen er hat, was die Vorteile und die Nachteile eines bestimmten Vorschlags sind. Ärzte haben oft nicht die Zeit, die Patienten mit all diesen Informationen zu versorgen, zumindest nicht so ausführlich und auch wiederholt, wie Patienten dies benötigen. Da kommt dem KID eine überaus wichtige Funktion zu und ich bin überzeugt, diese wird an Bedeutung zunehmen.

einblick: Erwartet der Arzt heute schon, den informierten Patienten vor sich zu haben? Oder scheut er ihn?

Wiestler: Ich glaube, dass die meisten Ärzte sich zunehmend einen informierten Patienten wünschen. Denn bei einer Krankheit wie Krebs, die sich oft über lange Zeiträume erstreckt und wo man dem Patienten auch einiges zumuten muss, ist es sicher sehr viel einfacher, wenn sich der Patient gut informiert für eine Behandlung entscheidet und im Voraus weiß, wo die Chancen und Risiken liegen. Das macht letztlich für den Arzt die Begleitung des Patienten leichter.

einblick: Frau Hagmann, 1986, als der KID gegründet wurde, hatten die wenigsten einen Computer zuhause. Heute, in Zeiten des Internet, sind die Patienten sicher schon sehr gut vorinformiert. Welche Rolle spielt da überhaupt das Telefongespräch?

Hagmann: Sehr viele Menschen informieren sich im Netz - und stoßen dort auf einen wahren Informationsdschungel. Es ist für sie enorm schwer, die Wertigkeit und die Qualität einer Information zu beurteilen. Vor allem aber besteht das Problem, diese Information, die richtig sein mag, in den persönlichen Kontext zu stellen. Das Eingehen auf die individuelle Situation des Anfragenden ist ganz wichtig bei unserer Arbeit und da ist das Telefon eigentlich unschlagbar, wenn man mal das persönliche Gespräch in einer Sprechstunde beiseite lässt. In diesem Punkt stößt unser E-Mail-Service, der schriftliche Anfragen per E-Mail beantwortet, an seine Grenzen - und die Information über das Internet natürlich erst recht.

einblick: Im NCT, dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg, bietet der KID eine persönliche Beratung an. Wie wird diese Sprechstunde angenommen?

Hagmann: Im Augenblick noch nicht sehr gut. Das liegt sicher auch daran, dass die Patienten bisher vor allem deshalb ins NCT kamen, um sich eine zweite ärztliche Meinung einzuholen. An diesem einen Tag im NCT sind sie in der Regel sehr angespannt und haben viele anstrengende Gespräche mit Ärzten, in denen sie zahlreiche Informationen bekommen. Es ist gut nachvollziehbar, dass an solch einem Tag nicht auch noch der KID in Anspruch genommen wird, zumal viele Fragen erst später auftauchen. Jetzt gibt es aber das neue NCT-Gebäude mit Tageskliniken, in denen die Patienten regelmäßig zur Behandlung kommen, und ich denke, dadurch wird die Nachfrage nach unserem Angebot kräftig steigen.

einblick: Dr. Hans-Joachim Gebest, der den KID von 2004 bis 2009 leitete, hat den Dienst so weiterentwickelt, dass dieser nun zum "Nationalen Referenzzentrum für Krebsinformation" ausgebaut wird. Was unternehmen Sie, damit der Dienst diesem bundesweiten Anspruch gerecht wird und die Anfragen nicht, wie bisher, vornehmlich aus Süddeutschland kommen?

Hagmann: Zum einen haben wir schon vor einem Jahr die erste Außenstelle des KID in Dresden gegründet. Dieser Standort in den östlichen Bundesländern ist für uns sehr wichtig, um von dort aus die Botschaft über die Angebote des KID auch in den neuen Ländern zu verbreiten. Im Augenblick arbeiten wir daran, den Bekanntheitsgrad des KID bundesweit zu steigern. Das geht zum einen über so genannte Multiplikatoren: Ärzte, Pflegende, Apotheker, Krebsberatungsstellen oder Kliniksozialdienste - also Menschen, die mit Patienten, Angehörigen oder sonstigen Personen, die Informationen zu Krebs suchen, Kontakt haben. Zum anderen ist es für uns natürlich wichtig, dass man in den Medien über uns liest oder von uns hört, und da arbeiten wir mit der Pressestelle des Deutschen Krebsforschungszentrums zusammen.

einblick: Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat sich gerade mit sieben Universitätskliniken bundesweit zum "Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung" zusammengeschlossen. Ist Krebsinformation da auch ein Thema?

Wiestler: Wir werden ganz sicher das Thema Krebsinformation in das Konsortium einbeziehen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir zunächst mit gemeinsamen Veranstaltungen beginnen, Krebsinformation für Betroffene und Patienten vor Ort. Ob sich im weiteren Verlauf daraus die Entscheidung ergibt, weitere Außenstellen einzurichten, müssen wir abwarten.

einblick: Die riesige Menge an neuen Erkenntnissen sowohl aus der Krebsforschung als auch in der Krebsmedizin ist ja nicht nur für die Patienten kaum noch zu überblicken, sondern zunehmend auch für den einzelnen Arzt. Wird sich der KID auch für Ärzte öffnen?

Wiestler: In der Tat denken wir darüber nach, auch ein spezielles Angebot für Ärzte zu schaffen. Momentan prüfen die Kolleginnen im KID in einer Umfrage, welche Angebote für medizinische Fachleute am besten geeignet sind. Ist ein telefonischer Informationsdienst sinnvoll oder sollte man andere Formate wählen - etwa Fortbildungsveranstaltungen, die vom KID bestritten werden, gegebenenfalls gemeinsam mit Fachorganisationen? Sobald wir da einen Weg gefunden haben, werden wir mit dem Aufbau eines KID für Mediziner beginnen.

einblick: Wo wird der KID in 25 Jahren stehen?

Hagmann: Ich hoffe, dass wir das Ziel erreichen, bundesweit DER Ansprechpartner für Krebsthemen zu sein, gemäß unserem Leitsatz: Krebsinformation hat eine Nummer. Als Referenzzentrum wollen wir den Bürgern auch verlässliche Krebsinformationen von verschiedenen Anbietern zugänglich machen und mit Kooperationspartnern ein Netzwerk aufbauen, das den Informationssuchenden die Orientierung erleichtert. Sehr wichtig ist es, dass wir dabei auch Bevölkerungsschichten erreichen, die wir bislang unzureichend ansprechen - insbesondere Menschen, die nicht so gut gebildet sind und wenig lesen. Die müssen wir dort abholen, wo sie stehen. Auch medizinische Fachkreise möchten wir künftig ansprechen und ihnen vertiefte, bedarfsorientierte Informationen anbieten über neue Erkenntnisse aus der Krebsforschung. Außerdem könnten wir dazu beitragen, spezialisierte Fachkreise zu vernetzen, die Krebspatienten und ihre Angehörigen versorgen und betreuen.

Wiestler: Ich glaube, die Gründung des KID vor 25 Jahren war eine geniale Idee, die in Deutschland ihrer Zeit ein wenig voraus war. Diejenigen, die diese Entscheidung damals getroffen haben, Hilke Stamatiadis-Smidt, Almuth Sellschopp und Harald zur Hausen, haben Pionierarbeit geleistet. Es ist über die Jahre ein fantastisches Team aufgebaut worden aus hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und das ist letztlich das Kapital, auf das wir uns stützen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, ein nationales Referenzzentrum für Krebsinformation zu begründen. Der Bedarf an hochwertigen Informationen wird sicher nicht abnehmen, im Gegenteil, die Krankheit Krebs wird leider eher an Häufigkeit zunehmen. Ich glaube, dass die Medizin es immer besser schaffen wird, Krebs in ein chronisches Leiden umzuwandeln, das zwar nicht immer heilbar ist, mit dem man aber lange Zeit leben kann. Das bedeutet aber auch, dass Krebspatienten über lange Zeit hinweg einen hohen Informationsbedarf haben und mit kompetenten Auskünften begleitet werden müssen. Dabei wird der KID auch in 25 Jahren noch ein zuverlässiger Partner sein.

Die Fragen stellte Stefanie Seltmann


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Otmar D. Wiestler (Foto)
- Regine Hagmann (Foto)


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Quelle:
"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums
(DKFZ)
Ausgabe 1/2011, Seite 18 - 20
Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum in der
Helmholtz-Gemeinschaft
Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg
Telefon: 06221 / 42 28 54, Fax: 06221 / 42 29 68
E-Mail: einblick@dkfz.de
Internet: www.dkfz.de/einblick

"einblick" erscheint drei- bis viermal pro Jahr
und kann kostenlos abonniert werden


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2011