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DIABETES/1415: Insulindosis finden - mit Hilfe von Bolusrechnern (Diabetes-Journal Extra)


Diabetes-Journal Extra
Beilage zum Diabetes-Journal 10/2010 - aktiv gesund leben

Insulindosis finden - mit Hilfe von Bolusrechnern

Von Dr. Katrin Kraatz


Bolusrechner - dieser Begriff taucht zunehmend in Berichten über die Therapie des Diabetes auf. Was verbirgt sich dahinter? Welchen Nutzen haben sie? Unabhängig davon, ob man bereits seit vielen Jahren seinen Diabetes hat oder erst relativ neu: Interessant ist dieses Hilfsmittel für alle - denn es bietet auf jeden Fall Unterstützung bei der täglichen Therapie.


Den Blutzucker messen, an den Blutzuckerzielwert denken, den Korrekturfaktor kennen, den Kohlenhydratgehalt der Mahlzeit abschätzen, den Kohlenhydratfaktor kennen - und mit diesen Daten die richtige Insulinmenge berechnen: Diesen Vorgang führen Diabetiker, die ihren Diabetes mit einer intensivierten Insulintherapie mit Spritze, Insulinpen oder Insulinpumpe behandeln, täglich mehrfach durch. Die Formel dafür lautet: BE x BE-Faktor + (Blutzucker - Blutzuckerzielwert) / Blutzuckerkorrekturfaktor = Insulindosis. Manchmal ist diese Rechnung ganz einfach und schnell erledigt, manchmal sind die Zahlen so krumm, dass das Rechnen schon etwas länger dauern kann. Und wenn dann noch geplanter Sport zu berücksichtigen ist und außerdem, wie viel Insulin noch im Körper wirkt, kann es ziemlich knifflig werden.


Zauberwort Bolusrechner

Bisher haben Diabetiker diese Berechnung zwar hinbekommen - aber warum sollte man nicht Unterstützung, die einem angeboten wird, annehmen? Bolusrechner heißt hier das Zauberwort.


Beim Rechnen unterstützt

Bolusrechner unterstützen den Anwender beim Berechnen der Insulindosis. Sie machen anhand vorgegebener Algorithmen Vorschläge, denen man folgen kann, aber nicht muss. Damit ein Bolusrechner eine Insulindosis ausrechnen kann, benötigt er einige Informationen im Vorfeld, die gemeinsam mit dem behandelnden Arzt eingestellt werden. Diese Informationen sind

- die Blutzuckerzielbereiche,
- die Kohlenhydratfaktoren,
- die Korrekturfaktoren, die drei Faktoren jeweils für die unterschiedlichen Tageszeiten,
- außerdem die Wirkdauer und
- der Wirkbeginn des verwendeten Insulins.



Kohlenhydrate werden berücksichtigt

Wird jetzt der Blutzucker gemessen - praktischerweise mit dem Gerät, in dem auch der Bolusrechner integriert ist - und entschieden, dass Insulin für eine Mahlzeit gegeben werden soll, fragt der Bolusrechner noch nach der Kohlenhydratmenge, die er in der Rechnung berücksichtigen soll. Hier kann man meist auswählen zwischen unterschiedlichen Angaben, z. B. Kohlenhydrate in Gramm, Broteinheiten oder Kohlenhydrateinheiten.


Noch wirksames Insulin?

In die Berechnung geht neben aktuellem Blutzucker und Kohlenhydratmenge außerdem ein, wie viel Insulin noch im Körper wirksam ist, berechnet anhand der zuvor eingegebenen Insulinwirkdauer. Ob hier nur das zuvor eingesetzte Insulin für eine Blutzuckerkorrektur berücksichtigt wird oder auch das Insulin für die vorhergehende Kohlenhydrataufnahme, hängt vom verwendeten System ab. So lassen sich Unterzuckerungen, die durch ein Überkorrigieren von erhöhten Blutzuckerwerten nach einer Mahlzeit entstehen können, leichter vermeiden.


Sport geplant?

Aber intensiviert eingestellte Diabetiker wissen: Beim Berechnen einer Insulindosis ist manchmal mehr zu berücksichtigen als die bereits genannten Faktoren. Ist eine sportliche Aktivität geplant, kann auch die dafür notwendige Reduktion des Bolus berücksichtigt werden. Aufgrund eigener Erfahrungen wissen die meisten, wie sich welche Sportart auf den Insulinbedarf auswirkt: Sinkt der Bolus um 20 Prozent, oder sind nur 50 Prozent des Bolus nötig? Auch diese Faktoren kann man in Bolusrechnern hinterlegen - und bei Bedarf in die Rechnung einfließen lassen. Stress, Krankheit oder andere Dinge lasen sich ebenfalls auf diese Weise berücksichtigen.


Bolusvariante selbst entscheiden

Im Markt verfügbar sind Bolusrechner derzeit nur in Kombination mit Insulinpumpen, so dass eine mit diesem System berechnete Insulindosis direkt über die Pumpe abgegeben werden kann. Was der Bolusrechner bisher nicht kann, ist die Entscheidung, ob das Insulin sofort abgegeben werden soll oder über einen längeren Zeitraum, was beides über die Insulinpumpe gesteuert werden kann. Diese Entscheidung liegt weiterhin ausschließlich beim Anwender. Erste Systeme dieser Art werden, zwar bislang nur eingeschränkt, auch für ICT-Patienten zur Verfügung gestellt.


Individuelle Anpassung

Fragt man Diabetesexperten, wie sie den Einsatz von Bolusrechnern beurteilen, ist die Meinung durchaus positiv. Gerade nach Mahlzeiten sind Bolusrechner für das Berechnen der benötigten Korrekturinsulindosis eine große Hilfe, weil die Menge sehr individuell angepasst werden kann, denn dabei ist die Insulinwirkdauer das Wesentliche. Eine Studie im Institut für Diabetes-Technologie an der Universität Ulm, präsentiert bei einer Pressekonferenz während der Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft 2010, konnte den Nutzen bestätigen. Hierfür erhielten 24 Diabetiker mit Erfahrung in der Insulinpumpentherapie und einer guten Diabeteseinstellung Mahlzeiten, die hinsichtlich Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettgehalt standardisiert waren; für diese gaben sie sich bewusst eine um 25 Prozent reduzierte Insulindosis. Die anschließend erhöhten Blutzuckerwerte wurden durch den Bolusrechner korrigiert - und passten in vielen Fällen, die Zielwerte wurden sehr häufig erreicht. Voraussetzung für das Funktionieren der Bolusrechnervorschläge war dabei, dass die Dosierung des Insulins für die Grundversorgung, in der Insulinpumpe also die Basalrate, stimmt.


Bessere HbA1c-Werte

In einer Studie, bei der 86 Diabetiker (73 Typ-1- und 13 Typ-2-Diabetiker) über sechs Monate eine Insulinpumpentherapie in Kombination mit einem Bolusrechner durchgeführt hatten, wurde eine HbA1c-Reduktion sowie eine Verbesserung der Behandlungszufriedenheit beobachtet. Die vollständigen Studienergebnisse wurden zur Publikation beim Journal of Diabetes Science and Technology eingereicht (D. Kerr et al.).


Mehr Werte im Ziel

In einer weiteren Untersuchung mit 123 erwachsenen Typ-1-Diabetikern zeigte sich ein vergleichbarer Effekt auf das HbA1c. Gleichzeitig zeigte sich im Vergleich mit einer Gruppe, die den Bolusrechner nicht einsetzte, dass mehr Blutzuckerwerte der Bolusrechnergruppe im Zielbereich lagen. Diese Studie von S. Garg und Kollegen wurde bereits im Jahr 2008 publiziert in der Zeitschrift "Diabetes Technology & Therapeutics".


Auch Kinder profitieren

Diese Ergebnisse gelten nicht nur für Erwachsene. Auch bei Kindern bringt ein Bolusrechner Vorteile, wie eine Studie von B. Shashaj, publiziert 2008 in "Diabetic Medicine", zeigt. Die 36 Fünf- bis 18-Jährigen konnten mit Hilfe der Rechenunterstützung durch den Bolusrechner ihre Blutzuckerwerte sowohl vor als auch nach den Mahlzeiten näher an den Normbereich heranbringen.


Mehr Sicherheit

Fragt man Anwender, wie zufrieden sie mit der Unterstützung durch einen Bolusrechner seien, bekommt man meist positive Antworten. Denn sie erleichterten das tägliche Leben mit Diabetes und hülfen einem, mögliche Fehler in der bisherigen Diabetesroutine zu finden und zu beseitigen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist dabei auch die größere Sicherheit, die der Einsatz von Bolusrechnern bei den Befragten auslöste.


Bolusrechner entwickeln sich weiter

Die Entwicklung der Bolusrechner schreitet weiter voran. In Studien wird inzwischen der Effekt von Bolusrechnern untersucht, die nicht nur den Kohlenhydratgehalt einer Mahlzeit berücksichtigen, sondern auch den Eiweiß- und Fettgehalt. Aufgrund dieser Informationen gibt das System zusätzlich zur berechneten Insulindosis Tipps, ob die Dosis sofort - in der Insulinpumpentherapie als Normalbolus - oder über einen längeren Zeitraum - als verzögerter Bolus - abgegeben werden sollte und über welchen Zeitraum. Welche weiteren Entwicklungen in diesem Bereich zu erwarten sind, bleibt spannend.


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Womit muss ich rechnen?
- Aus Sicht der Diabetesberaterin

Welche Rolle spielt die Insulinwirkung im Tagesverlauf bei der Korrektur?

Susann Zierow: Die Insulinwirkung ist tageszeitenabhängig. Wir haben einen zirkadianen Insulinbedarf, zu bestimmten Tageszeiten reagiert das Insulin stärker Zum Beispiel morgens ist der Insulinbedarf höher. Das heißt: Bei einer Korrektur kann ich morgens stärker korrigieren als mittags. Die Wirkung von Insulin hängt auch von der Menge ab. Es sind sehr viele Dinge, die Einfluss nehmen. Ich muss immer daran denken: "Wann brauche ich mehr, wann brauche ich weniger Insulin?"

Welche Faktoren müssen bei der Berechnung einer Korrektur von hohen Blutzuckerwerten berücksichtigt werden?

Susann Zierow: Erst einmal spielt der Blutzucker eine Rolle, den ich vorher messen muss. Dann kommt es auf den Korrekturfaktor an. Das bedeutet, wenn ich eine Einheit Insulin abgebe, wie weit der Blutzucker sich dann absenkt. Das gibt der Arzt vor, nach den Erfahrungen, die er bei diesem Patienten gemacht hat. Dann gibt der Arzt auch vor, was der Zielbereich sein soll. Und in welchen Zeitintervallen dann eine Korrektur vorgenommen werden darf. Daneben gibt es andere Faktoren, die ich beachten muss: Hat jemand gerade eine Unterzuckerung gehabt oder hat er sich gerade bewegt und eine aktive Muskelanstrengung gehabt? Ich kann die Korrektur nicht stur ausrechnen wie eine Mathematikaufgabe, sondern muss noch ein paar Events berücksichtigen.

Welche Faktoren müssen bei der Festlegung des Zielwertes berücksichtigt werden?

Susann Zierow: Bei dem Zielwert spielt es eine Rolle, welche Patienten ich habe. Habe ich ein Schulkind, einen Jugendlichen? Es kommt auf das Alter an. Und wenn der HbA1c darauf hinweist, dass ein Patient schon längere Zeit schlecht eingestellt ist, darf ich nicht zu straff korrigieren. Dann wird ein höherer Zielwert angesetzt.

Susann Zierow, Diabetesberaterin, Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche am Sanaklinikum in Berlin-Lichtenberg


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Auch Kindern bringt der Einsatz eines Bolusrechners Vorteile in Hinblick auf ihre Diabeteseinstellung.

Mit einem Bolusrechner lässt sich die Insulindosis für eine köstliche Pizza einfach berechnen.

Mit dem Accu-Chek Aviva Combo lassen sich diabetesrelevante Daten leicht dokumentieren.

Auch in der Öffentlichkeit lässt sich das Blutzuckermessgerät mit integriertem Bolusrechner, der auch als Fernbedienung für die Insulinpumpe zu benutzen ist, gut einsetzen.

Einfaches Diabetes-Management: Das Accu-Chek Aviva Combo testet den Blutzucker, berechnet den Bolus, steuert die Pumpe und verwaltet die Daten.


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Quelle:
Diabetes-Journal Extra, Seite 8-11
Beilage zum Diabetes-Journal 10/2010
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/960 70 30, Fax: 06131/960 70 90
E-Mail: info@kirchheim-verlag.de
Internet: www.diabetes-journal.de

Das Diabetes-Journal erscheint monatlich.
Einzelheft: 3,80 Euro
Jahres-Abonnement: 39,00 Euro

Diabetes-Journal gibt es auch auf CD als
Daisy/MP3-Hörzeitschrift für Blinde und Sehbehinderte:
Westdeutsche Blindenhörbücherei
Harkortstr. 9, 48163 Münster, Tel.: 0251/71 99 01


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2010