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ARTIKEL/402: Psychisch Kranke in vielen Teilen der Welt mittelalterlich behandelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juli 2011

Gesundheit: Psychisch Kranke in vielen Teilen der Welt mittelalterlich behandelt

Von Stephen Leahy


Uxbridge, Kanada, 25. Juli (IPS) - Ein junges Mädchen in Somalia sitzt angekettet vor einem Baum. In der Ukraine wandern Frauen ziellos durch baufällige psychiatrische Anstalten. Mit diesen Schicksalen hat eine internationale Kommission ihren Bericht über die Situation psychisch kranker Menschen in Entwicklungsländern aufgemacht.

Die Initiative 'Grand Challenges in Global Health', die die Kommission mit 422 Experten einberief, engagiert sich für eine bessere Versorgung geistig Behinderter in den Ländern des Südens. Finanziert wird sie vom 'U.S. National Institute of Mental Health' und von der 'Global Alliance for Chronic Diseases' in London. Die kanadische Sektion von 'Grand Challenges' kündigte Zuschüsse von 20 Millionen US-Dollar für neue Forschungen an.

In Ländern mit geringem oder mittlerem Bruttoinlandsprodukt zählten psychische Krankheiten zu den am meisten vernachlässigten Leiden, sagte der Geschäftsführer von 'Grand Challenges Canada', Peter Singer, im Gespräch mit IPS. Schizophrenie, Depressionen, Epilepsie, Demenz und Alkoholabhängigkeit machen etwa 13 Prozent aller weltweiten Krankheiten aus - mehr als Herz- und Krebsleiden zusammengenommen, wie aus einem im Magazin 'Nature' veröffentlichten Report der Kommission hervorgeht.

450 Millionen psychisch Kranke weltweit

Insgesamt rund 450 Millionen Menschen leiden unter psychischen Störungen. 75 Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer kürzlich verbreiteten Untersuchung feststellte. Bis zu 85 Prozent der ernsthaft Erkrankten seien im vergangenen Jahr nicht ärztlich behandelt worden.

Der Kommission zufolge gibt es in 83 Prozent der armen Länder keine Basisversorgung für Parkinson-Kranke. In etwa einem Viertel dieser Staaten fehlen Medikamente gegen Epilepsie. Wie der Co-Leiter der Kommission, Abdallah Daar, erklärte, sei es wegen mangelnder finanzieller Mittel in den Ländern kaum möglich, nach Lösungen für die Probleme zu forschen.

In Europa arbeiten 200 Mal so viele Psychiater wie in Afrika. Dort und in anderen einkommensschwachen Regionen könne man es sich nicht leisten, die Versorgung psychisch Kranker auf ein solches Niveau zu bringen, sagte Singer. Besonders wichtig sei es nun, dass Forscher in den betroffenen Ländern innovative Behandlungsformen entwickelten, die der dortigen Realität entsprächen.

Vor zehn Jahren hätten die meisten Afrikaner noch kein Telefon gehabt, erklärte Singer. Die Lösung habe nicht darin bestanden, wie in Europa und den USA teure Festnetzleitungen zu legen. Stattdessen hätten sich auf dem Kontinent Mobiltelefone durchgesetzt.

Kanada gibt großzügige Zuschüsse

Die Zuschüsse für 'Grand Challenge Canada' kommen von dem mit 228 Millionen US-Dollar bestückten kanadischen Entwicklungs-Innovationsfonds, der die Forschung zu globalen Gesundheitsfragen unterstützen soll. Auf dieser Basis hat Kanada in der jüngeren Vergangenheit sein Engagement in der internationalen Entwicklungshilfe gesteigert.

Für die besten Forschungsergebnisse zu neuen Behandlungsformen sollen Zuschüsse von jeweils einer Million Dollar vergeben werden. Dazu gehören etwa Behandlungsmodelle für Gesundheitsarbeiter in entlegenen Regionen, die Verbesserung des Medikamentennachschubs und eine günstige Gesundheitsversorgung auf Gemeindeebene.

Ebenso soll erreicht werden, dass psychisch Kranke nicht mehr sozial ausgegrenzt werden. "Es ist inakzeptabel, ein Kind an einen Baum zu binden oder kranke Menschen einzusperren", sagte Singer. "Wir müssen Behandlungslösungen finden." (Ende/IPS/ck/2011)

Links:
http://www.grandchallenges.ca/grand-challenges/gc4-non-communicable- diseases/mentalhealth/
http://grandchallengesgmh.nimh.nih.gov/
http://www.nimh.nih.gov/index.shtml
http://www.ga-cd.org/
http://www.hcp.med.harvard.edu/wmh/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56596

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2011

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